Mit 17 Kreditkarten und zwei Privatkrediten
Spielsüchtiger Marcel Saner (39) verzockte 300'000 Franken

Marcel Saner (39) ist einer von rund 200'000 Spielsüchtigen in der Schweiz. Er bricht das Tabu und erzählt die Geschichte, wie ihn die Zockerei fast alles gekostet hätte.
Publiziert: 20.06.2023 um 00:05 Uhr
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Aktualisiert: 20.06.2023 um 13:49 Uhr
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Familienvater Marcel Saner (39) ist spielsüchtig. Ehefrau Fabienne (33) hält zu ihm.
Foto: Siggi Bucher
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Michael SahliReporter News

Die Zocker-Karriere von Familienvater Marcel Saner (39) begann mit Losen vom Kiosk. Und endete Jahre später mit der Diagnose Spielsucht und einem finanziellen Totalschaden. Die Zahl auszusprechen, kostet den Postmitarbeiter noch immer Überwindung: «300'000 Franken. So hoch sind unsere Schulden», sagt er leise auf der Terrasse der Familienwohnung in Rabius GR. 300'000 Franken – eine tonnenschwere Last, die alles erdrückt: die Ehe, das Familienglück, die Zukunftspläne.

Ehefrau Fabienne (33) erinnert sich an den Moment, in dem ihr Mann sie am letzten Neujahrsmorgen über den Schuldenberg informierte. All die Jahre hatte sie gedacht, man sei als Doppelverdienerpaar finanziell gut aufgestellt. «Es war, als würde ich erschlagen. Innert einer Sekunde verwandelte sich unser Leben in einen Scherbenhaufen», sagt sie.

17 Kreditkarten und zwei Privatkredite

Spielsucht ist eine Krankheit und lässt sich Aussenstehenden nur schwer erklären. Aus den Kiosk-Lösli wurden bei Marcel Saner innert fünf Jahren Sportwetten und Spiele in Online-Casinos. Der Wetteinsatz stieg vom Fünfliber auf vierstellige Beträge. «Das Kribbeln war da längst weg. Ich wollte nur noch meine Verluste zurückgewinnen», so Saner. Die Abwärtsspirale drehte sich immer schneller. Er setzte Geld, das die Familie nicht hatte. «Ich habe dafür zwei Privatkredite aufgenommen», erklärt er. Dazu kamen über ein Dutzend Kreditkarten. «Ich war ein Meister darin, Schulden hin- und herzuschieben. So kam ich immer irgendwie wieder an ein paar Hundert Franken.» Von den diversen involvierten Geldinstituten habe selten jemand kritisch hingeschaut. Den genauen Überblick, wie viel er in den Miesen war, hatte Saner bald verloren.

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Ehefrau Fabienne bemerkte vom Drama nichts. «Mein Mann hat sich immer um die Finanzen gekümmert.» Und: Er gab sich einige Mühe, die Zockerei zu verstecken. Er spielte auf dem Handy, in Arbeitspausen oder auf dem WC. Am virtuellen Roulette-Tisch verschwand das Geld innert Sekunden, der Ruin kam nebenbei. «Um nicht aufzufliegen, habe ich die Korrespondenz von den Kreditkartenherausgebern schon auf der Post abgefangen», erklärt der Familienvater.

«Wie konntest du nur so dumm sein?»

Letztes Jahr glaubte Saner, dass sich das Blatt endlich gewendet hat. Er gewann einige zehntausend Franken. «Ich dachte, jetzt kommt es gut. Aber ich brauchte mehr.» Kurz darauf war der Gewinn – und noch viel mehr – wieder weg. Und Saner wieder ganz unten. Er begriff: Immer mehr zu spielen, führte nur zu noch mehr Problemen. Anfang des Jahres beichtete er dann seiner Frau, was passiert war. Die ist seitdem hin- und hergerissen. «Er kann nichts dafür. Spielsucht ist eine Krankheit», sagt sie heute und hält ihrem Mann die Hand. Aber es kommt auch Wut hoch: «Wie konntest du nur so dumm sein?», fragt sie.

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Die Konsequenzen der Spielsucht tragen nämlich alle, auch Ehefrau Fabienne und die drei Kinder. «Hätte ich das nicht getan, müsste Fabienne nicht hundert Prozent arbeiten. Wir könnten in die Ferien gehen. Oder in den Zoo», sagt Saner. Manchmal droht er unter der Last zu zerbrechen. «Wenn ich nicht wäre, würde es allen besser gehen», sagt er dann.

«Zusammen werden wir das schaffen»

Die ersten Schritte in ein neues Leben hat er inzwischen gemacht. «Ich bin in Therapie, eine Schuldensanierung läuft.» Ein Drittel des Familieneinkommens wird direkt zur Tilgung der Schulden verwendet. Und Fabienne schaut ihrem Mann genau auf die Finger: «Ich habe ihn auf allen Spiel-Apps und in allen Casinos sperren lassen. Und ich kümmere mich jetzt um die Finanzen.» Was bleibt, ist verlorenes Vertrauen, ein Schuldenberg und Unverständnis von einem Teil der Familie und des Umfelds. Immerhin: Weil Saner die Kreditkarten-Raten immer rechtzeitig anzahlte, gibt es bisher keine Betreibungen. Dennoch droht der Privatkonkurs, etwas, was die Familie unbedingt verhindern will.

Verhindern wollen die beiden auch, dass andere im gleichen Schlamassel landen. Deshalb erzähle Marcel und Fabienne Saner Blick ihre Geschichte. «Wir wollen mit dem Tabu brechen», sagt er. Denn in der Schweiz gibt es fast so viele Spielsüchtige wie Alkoholiker. Das Ehepaar appelliert: «Sucht euch Hilfe, je früher, desto besser.» Sie selbst wollen unterdessen den Blick nach vorne richten: «Zusammen werden wir das schaffen!»

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