Abgerissene Dächer, zerstörte Fahrzeuge und ein umgekippter Kran. Am Montag verwüstet ein heftiger Sturm die Stadt La Chaux-de-Fonds. Eine Person kam dabei ums Leben. Solche schweren Unwetter sind in der Schweiz eine Seltenheit.
Michael Eichmann von Meteo News ordnet den Sturm auf Anfrage von Blick ein: «In La Chaux-de-Fonds wurden am Montagmittag Windspitzen von bis zu 217 km/h gemessen. Sollte dieser Wert bestätigt werden, wäre das schon ein aussergewöhnliches Ereignis, und in dieser Höhenlage bisher noch nie registriert worden.» La Chaux-de-Fonds befindet sich auf rund 1000 Meter über Meer. Noch stärkere Windspitzen wurden aber ausschliesslich auf exponierten Bergen gemessen, Rekordhalter ist der Grosse St. Bernhard mit 268,2 km/h.
Tornado oder Fallwindböe?
Eichmann fügt an, dass diese Zahl nicht verifiziert ist. Ob es sich tatsächlich um einen Tornado gehandelt hat, ist laut jetzigem Stand noch unklar. Eine andere und nach neusten Daten wohl wahrscheinlichere Variante ist ein Downburst. Ein Downburst ist eine schwere Fallwindböe im Vorfeld eines Superzellengewitters. Er wird durch das Verdunsten von fallendem Regen in etwas trockeneren Wolkenschichten verstärkt, da durch die Verdunstung Energie der Umgebung entzogen wird. Die Luft kühlt sich ab und sinkt durch die höhere Dichte ab. Das Phänomen ist räumlich stark eingegrenzt und kann ähnliche Zerstörung wie bei einem Tornado hervorrufen. Vor zwei Jahren trafen Downbursts auf Zürich.
Ein Tornado könne nicht ganz ausgeschlossen werden, erklärt der Experte. «Tornados entstehen, wenn die Auf- und Abwinde in einem starken Gewitter getrennt voneinander erfolgen.» Dies könne eine Eigendynamik annehmen, die alles herumwirbelt. Konkret: Unterschiedliche Windgeschwindigkeiten finden sich in unterschiedlichen Höhen. Tornados sind «rotierende Systeme», daher komme auch ihre säulenartige Form.
Jura besonders begünstigt für Tornado-Ereignis
Der Kanton Jura liefert beste Entstehungsbedingungen für einen Tornado. Durch die Hügellandschaften könne es besser zu Windscherung kommen. Das bedeutet, dass die unterschiedliche Windgeschwindigkeit und die unterschiedlichen Höhen der Luftmassen ausgeprägter vorkommen können.
Grundsätzlich könne es zwar überall in der Schweiz zum Auftreten eines Tornados kommen, «im Mittelland sorgen die Alpen jedoch dafür, dass die Luft besser kanalisiert wird und es darum zu weniger Windscherung kommt».
1971 flogen Autos davon und Dächer wurden durch die Luft gewirbelt
Im August 1971 traf der bisher heftigste Tornado der Schweiz den Waadtländer Jura. Mit einer Stärke von F4 auf der Fujita-Skala (Windspitzen zwischen 333 und 418 km/h) war er der stärkste Tornado, der je in der Schweiz wütete. Der Sturm schaffte es, Autos 100 Meter weit durch die Luft zu schleudern.
«Es tönte wie ein Düsenjet, alles zitterte. Die Fenster waren aussen wie verklebt vom herumgewirbelten Heu und Stroh, und man sah gar nichts mehr», sagte ein Augenzeuge (86) im Juli 2021 gegenüber SRF. 100 Menschen waren nach dem Sturm obdachlos.
Letztes Ereignis im Juni 2020
1926 ereignete sich, ebenfalls in La Chaux-de-Fonds, ein Tornado von Stufe F3. Auch damals wurde die Stadt schwer getroffen und verwüstet.
2004 suchte ein Tornado der Stufe F2 die Freiburger Ortschaft Villargiroud heim. Bestätigen sich die Windspitzen vom Ereignis am Montag, liesse sich der Tornado ebenfalls der Stufe F2 auf der Fujita-Skala zuordnen. Die höchste mögliche Stufe F5 wurde in der Schweiz übrigens noch nie dokumentiert.
Der bisher letzte bestätigte Tornado der Stufe F1 wurde im Juni 2020 in Oberebersol, Hohenrain LU registriert. Videos zeigten damals, wie Bäume entwurzelt wurden. Auch Dächer wurden teilweise beschädigt. (ene)