Hier kontrolliert Geschäftsführer Mike Toniolo(40) die Cannabisblüten
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«Gibt keinen THC-Grenzwert»:Hier kontrolliert Geschäftsführer Mike Toniolo (40) die Blüten

Medizinisches Cannabis – bald auch aus Schweizer Produktion
Thurgauer bringen die ersten Hanfblüten auf den Markt

Seit dem 1. August darf medizinisches Cannabis auf Rezept erworben werden. Seit Dezember sind die ersten Blüten in Schweizer Apotheken verfügbar. Momentan kommen sie noch aus dem Ausland, bald soll auch im Thurgau Medizinalhanf blühen.
Publiziert: 14.12.2022 um 11:02 Uhr
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Aktualisiert: 15.12.2022 um 07:12 Uhr
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Seit Dezember sind die ersten medizinischen Cannabisblüten auf dem Markt. Bald soll auch bei der TB Farming AG in Schönenberg TG der erste Schweizer Medizinalhanf blühen.
Foto: Philippe Rossier

Cannabis als Hoffnung für Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen, Spastiken und Krämpfen: Seit Dezember sind in Schweizer Apotheken die ersten Hanfblüten auf Rezept verfügbar – rund vier Monate, nachdem der Bund das Verbot für medizinische Zwecke aufgehoben hatte. Ärztinnen und Ärzten in der Schweiz steht es seither frei, das Betäubungsmittel zu verschreiben. Noch stammen die Rohstoffe aus dem Ausland. Bald soll aber auch im Thurgau medizinisches Cannabis wachsen.

Medizinalhanf als neues Standbein

In Schönenberg TG hängt ein süsser Duft in der Luft. Hier baut die TB Farming AG Cannabis an. Seit 2016 blühen in ihrer Lagerhalle an der Thur Hanfpflanzen, welche sowohl zu Industrieprodukten als auch für den Freizeitkonsum verarbeitet werden. Solange in den Blüten das psychoaktive Cannabinoid THC den Anteil von einem Prozent nicht überschreitet, ist der Anbau und Verkauf in der Schweiz legal. Diese Pflanzen machen also nicht high.

Lange war in der Branche Goldgräberstimmung. Start-ups sprossen förmlich aus dem Boden, seitdem der Bund den Anbau und Verkauf von CBD-Hanfpflanzen erlaubt. TB Farming baute etwa in den Spitzenzeiten bis zu 50 Hektaren Outdoorhanf an. Doch lange hielt der Hype nicht: Vor zwei Jahren brach der Markt in der Schweiz zusammen. Für Geschäftsführer Mike Toniolo (40) war es ein Weckruf. Er gründete zusammen mit dem niederländischen Hanfpionier Ben Dronkers eine Firma für den pharmazeutischen Vertrieb von Cannabisprodukten. Vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) erhielt man zusätzlich eine Forschungslizenz für die Arbeit mit psychoaktivem Hanf.

Das Cannabis soll weg vom schlechten Image

Mit der Gesetzesänderung im August ist es nun tatsächlich möglich, auch Cannabis mit hohem THC-Gehalt für medizinische Zwecke zu produzieren und zu vertreiben. TB Farming und die Dronkers Group bieten unter dem Namen Cymphonia die ersten medizinischen Blüten an, die jetzt in Apotheken abgegeben werden. Die beiden Cannabissorten haben einen THC-Gehalt von 18, respektive 24 Prozent. Sie stammen aus den Niederlanden und Dänemark. Geprüft und gelagert werden sie vom Herisauer Pharmakonzern Hänseler, der aus den Hanfrohstoffen der Firma auch CBD- und THC-Extrakte herstellt. Toniolo will das Medizinprodukt klar vom Freizeitkonsum abgrenzen: «Es ist mir ein Anliegen, dass das nicht durcheinandergebracht wird. Da gelten ganz andere Anforderungen.» Sowieso hofft er, dass durch die neue Gesetzgebung Cannabis sein schlechtes Image endlich abstreifen kann.

Patientinnen und Patienten suchen den Weg aus der Illegalität

Franziska Quadri (47), Präsidentin des Vereines Medical Cannabis Schweiz, kämpft seit Jahren für einen einfacheren Zugang zu Medizinalhanf. Als Tetraplegikerin leidet sie selbst an neuropathischen Schmerzen und Spastiken. Um ihre Beschwerden zu lindern, inhaliert sie Cannabis und konsumiert Cannabinoid-Extrakte. Sie ist erleichtert, dass Hanfblüten in der Schweiz nun endlich legal verfügbar sind. Gemäss Quadri gäbe es in der Schweiz rund 100'000 Betroffene, die bisher gezwungen waren, ihr Cannabis illegal zu erwerben. «Es ist für uns Betroffene Alltag, dass wir kriminalisiert werden», sagt Quadri. «Cannabiskonsum ist ein Stigma, das nur schwer wegzukriegen ist.»

Die Abgabe in der Apotheke löse aber die Probleme nicht von alleine. «Die Ärztinnen und Ärzte bleiben weiterhin skeptisch, ihnen fehlt auch das Wissen», sagt Quadri. «Es ist etwas absurd, dass wir Patientinnen und Patienten weiterhin die Fachpersonen aufklären müssen.» Seit der Gesetzesänderung kämen aber immer mehr Unternehmen in die Schweiz, um medizinische Fachleute zu schulen. Eine Hürde bleibt auch der Preis. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten höchstens teilweise. «Wenn die Preise in der Apotheke den Schwarzmarkt übertreffen, löst sich das Problem nicht», sagt Quadri.

Franziska Quadri, Präsidentin des Vereins Medical Cannabis Schweiz.
Zvg

Franziska Quadri (47), Präsidentin des Vereines Medical Cannabis Schweiz, kämpft seit Jahren für einen einfacheren Zugang zu Medizinalhanf. Als Tetraplegikerin leidet sie selbst an neuropathischen Schmerzen und Spastiken. Um ihre Beschwerden zu lindern, inhaliert sie Cannabis und konsumiert Cannabinoid-Extrakte. Sie ist erleichtert, dass Hanfblüten in der Schweiz nun endlich legal verfügbar sind. Gemäss Quadri gäbe es in der Schweiz rund 100'000 Betroffene, die bisher gezwungen waren, ihr Cannabis illegal zu erwerben. «Es ist für uns Betroffene Alltag, dass wir kriminalisiert werden», sagt Quadri. «Cannabiskonsum ist ein Stigma, das nur schwer wegzukriegen ist.»

Die Abgabe in der Apotheke löse aber die Probleme nicht von alleine. «Die Ärztinnen und Ärzte bleiben weiterhin skeptisch, ihnen fehlt auch das Wissen», sagt Quadri. «Es ist etwas absurd, dass wir Patientinnen und Patienten weiterhin die Fachpersonen aufklären müssen.» Seit der Gesetzesänderung kämen aber immer mehr Unternehmen in die Schweiz, um medizinische Fachleute zu schulen. Eine Hürde bleibt auch der Preis. Die Krankenkassen übernehmen die Kosten höchstens teilweise. «Wenn die Preise in der Apotheke den Schwarzmarkt übertreffen, löst sich das Problem nicht», sagt Quadri.

Beim Vertrieb bleibt es aber nicht: Toniolos Firma erhielt zudem von Swissmedic als erster Betrieb in der Schweiz eine Lizenz zum Anbau von medizinischem Cannabis. Ende Januar soll der erste Anbau von medizinischen THC-Blüten in Schönenberg TG beginnen. Dafür wird die Lagerhalle, die ursprünglich für die Trocknung der Outdoorblüten gedacht war, zweistöckig ausgebaut. Die Investition lohnt sich auch, weil die neuen Richtlinien zusätzlich den Export ermöglichen. «Wir haben bereits seit längerer Zeit einen Vertrag mit einem Pharmaunternehmen in Deutschland», sagt Toniolo. Das Nachbarland ist der grösste Absatzmarkt für medizinisches Cannabis in Europa.

Viele Schmerzpatienten sind auf Cannabis angewiesen

Über Geld möchte Toniolo nicht allzu viel sprechen. Viel wichtiger ist ihm der Nutzen für Patientinnen und Patienten, die nun einen einfacheren Zugang erhalten. Zuvor benötigten sie eine Spezialbewilligung, um in Apotheken THC-Extrakte zu erwerben. Für viele Betroffene sei dies keine Lösung: «Gemäss Studien ist die Bioverfügbarkeit bei THC-Tropfen deutlich tiefer. Dazu dauert es auch länger, bis sie im Körper ankommen», sagt Toniolo. Menschen mit Epilepsie oder Spastiken sind zur Linderung ihrer Leiden auf die Blüten angewiesen. Bis anhin gab es diese nur auf dem Schwarzmarkt oder aus Eigenanbau – neu geht es auch ganz legal in der Apotheke. Und bald auch mit Blüten aus der Schweiz.

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