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Medikamenten-Konsumenten werden immer jünger – Schüler dealen damit untereinander
«Ich habe mir eine Kapsel für 15 Franken über zwei andere Lehrlinge besorgt»

Immer jüngere Jugendliche greifen aufgrund des steigenden Drucks zu leistungssteigernden Medikamenten. Die Pillen werden bereits ab der Oberstufe über Schulkollegen beschafft und weiterverkauft. Die Pandemie hat die Situation noch verschärft.
Publiziert: 19.10.2021 um 01:10 Uhr
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Aktualisiert: 19.10.2021 um 12:23 Uhr
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Maria* (20) gibt nur anonym Auskunft. Sie hat für einen Lerntag kurz vor ihrer Lehrabschlussprüfung zu einem konzentrationssteigernden Medikament gegriffen.
Foto: Zvg
Céline Trachsel

Sie werfen Oxycodon, Xanax, Ritalin und Co. ein: Immer jüngere Schweizer Schülerinnen und Schüler greifen missbräuchlich zu Medikamenten, um sich damit zuzudröhnen oder beim Lernen und bei Prüfungen die Anforderungen erfüllen zu können. Laut einer Studie des Schweizerischen Instituts für Sucht- und Gesundheitsforschung haben 250 von 6000 Befragten schon «Hirndoping» betrieben – das sind 4,1 Prozent der Studierenden.

Doch es fängt schon viel früher an, sagt Barbara Weber von der Suchtfachstelle Zürich zu Blick. Die jüngsten Jugendlichen, die bei der Suchtfachstelle Zürich eine Behandlung in Zusammenhang mit dem Konsum dieser Substanzen in Anspruch nahmen, waren erst 13 Jahre alt.

Ein Polizist, der in der offenen Drogenszene tätig ist, erzählt anonym: «Aus den Vororten von Bern weiss ich, dass vielfach Oxycodon, Ritalin und auch Xanax unter Minderjährigen und Schulabgängern gehandelt wird. Nebst dem Dauerbrenner Marihuana.»

Zu diesen verschreibungspflichtigen, aber illegal erworbenen Medikamenten greifen seiner Erfahrung nach Gymnasiasten, Studierende oder Lernende. «Verkauft wird es von Patienten, die ihre verschriebene Ration nicht selbst konsumieren und sie weiterverkaufen», so der Polizist.

Schüler kennen über mehrere Ecken meist einen Dealer

Doch wie einfach kommt man auf Schweizer Pausenplätzen zu diesen Substanzen? Blick hat den Test gemacht. Und schnell gemerkt: Die Schüler kennen über ein paar Ecken fast immer jemanden, der das Gesuchte verkauft. Vor einer Berufsschule im Zürcher Unterland greifen zwei Jugendliche sofort zum Telefon, als nach Ritalin oder Xanax gefragt wird. Sie rufen einen Freund an, der kürzlich an «Leo» ein paar «Xenis vertickt» hat. «Sorry, im Moment hat er nichts», sagt der Lehrling nach dem Anruf entschuldigend.

Auch vor einer Kantonsschule im Mittelland wird Blick fündig: Nach ein paar Gesprächen gibts eine Nummer eines angeblichen Dealers, der «alles im Angebot» habe, sehr wahrscheinlich auch Ritalin. Dieser redet sich aber heraus. Er verkaufe nichts dergleichen – und hält die Reporterin für eine Polizistin.

Auch eine Konsumentin ist schnell gefunden. Sie ruft anonym an, nennt sich Maria* (20). Sie hat im Kanton Zürich eine Lehre im Gesundheitswesen gemacht und nahm nach eigenen Angaben einmalig für einen Lerntag vor der Lehrabschlussprüfung das Medikament Elvanse. «Ich habe mir eine Kapsel für 15 Franken über zwei andere Lehrlinge besorgt», erzählt sie.

Stundenlang am Stück gepaukt

Eingenommen hat sie das Medi ein paar Tage vor der Prüfung. «Ich nahm es um 14 Uhr ein und begann zu lernen. Rund 20 Minuten später setzte die Wirkung ein. Ich war voll konzentriert auf meine Bücher und Unterlagen und habe gelernt, gelernt, gelernt. Ich hatte keinen Hunger, keinen Durst und blickte nie aufs Handy, das mich sonst immer sehr ablenkt.»

Bis fast 23 Uhr abends sass die junge Frau über dem Lernstoff. «Ich weiss nicht, ob ich ohne das die Lehrabschlussprüfung geschafft hätte.» Am Tag der Prüfung habe sie sich aber nichts eingeworfen: «Zu riskant. Wenn mein Körper irgendwie anders reagiert hätte und ich die Tests dann nicht hätte schreiben können, hätte es sich nicht gelohnt.»

So wirken die «Hirndoping»-Medikamente

Ritalin

Ritalin wird eigentlich zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) eingesetzt – bei Nicht-ADHS-Patienten sorgt der Wirkstoff Methylphenidat für eine gesteigerte Wachheit und Konzentrationsfähigkeit.

Elvanse

Elvanse enthält den Wirkstoff Lisdexamfetamindimesilat, der hilft, die Aktivität des Gehirns zu verbessern. Er kann dazu beitragen, die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit zu verbessern und die Impulsivität zu verringern.

Xanax

Xanax gehört zur Gruppe der Benzodiazepine und enthält den Wirkstoff Alprazolam. Es dient der Behandlung von Angstzuständen und Panikstörungen. Das Medikament macht extrem schnell süchtig – der Entzug ist laut Experten schlimmer als bei Heroin.

Oxycodon

Der Wirkstoff Oxycodon ist in verschiedenen Medikamenten enthalten, etwa in Oxycontin. Es ist ein schmerzstillender, psychoaktiver Wirkstoff aus der Gruppe der Opioide. Er macht etwa so abhängig wie Heroin. Oxycodon gilt in den USA als mitverantwortlich für die grösste Opioidkrise, jedes Jahr sterben mehrere Zehntausend Menschen an einer Überdosis.

Ritalin

Ritalin wird eigentlich zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) eingesetzt – bei Nicht-ADHS-Patienten sorgt der Wirkstoff Methylphenidat für eine gesteigerte Wachheit und Konzentrationsfähigkeit.

Elvanse

Elvanse enthält den Wirkstoff Lisdexamfetamindimesilat, der hilft, die Aktivität des Gehirns zu verbessern. Er kann dazu beitragen, die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit zu verbessern und die Impulsivität zu verringern.

Xanax

Xanax gehört zur Gruppe der Benzodiazepine und enthält den Wirkstoff Alprazolam. Es dient der Behandlung von Angstzuständen und Panikstörungen. Das Medikament macht extrem schnell süchtig – der Entzug ist laut Experten schlimmer als bei Heroin.

Oxycodon

Der Wirkstoff Oxycodon ist in verschiedenen Medikamenten enthalten, etwa in Oxycontin. Es ist ein schmerzstillender, psychoaktiver Wirkstoff aus der Gruppe der Opioide. Er macht etwa so abhängig wie Heroin. Oxycodon gilt in den USA als mitverantwortlich für die grösste Opioidkrise, jedes Jahr sterben mehrere Zehntausend Menschen an einer Überdosis.

Trotzdem würde sie das Medikament zum Lernen wieder einnehmen. «Obwohl ich weiss, dass es sich um Medikamentenmissbrauch handelt», sagt sie.

Deals in der Schule besprochen und ausserhalb abgewickelt

Laut der Suchtfachstelle Zürich werde an den Schulen nicht offen mit den Medikamentenpackungen gedealt, sondern eher über den Bekanntenkreis – so, wie es Maria schilderte. «Der Verkauf von Drogen und Medikamenten wird nach unseren Informationen im schulischen Kontext besprochen, aber ausserhalb abgewickelt», sagt Barbara Weber.

Über die Verkäufer sei den Beratungsstellen aber wenig bekannt. «Es ist die Rede von erwachsenen Dealern, älteren Geschwistern, anderen Schülerinnen und Schülern, Weiterverkauf von verschriebenen Medikamenten sowie digitaler Beschaffung.»

«Leistungsdruck auf Kinder und Jugendliche hat zugenommen»

Ähnliches berichtet das Beratungsteam von Marianne Peyer vom Sorgentelefon für Kinder. «Wir hören ab und zu im Gespräch, dass Medikamente dieser Art von Jugendlichen konsumiert werden.» Sie nehme an, dass die Konsumenten über Schulfreunde zu den Mitteln gekommen sind. Zu Oxycodon, Xanax, Ritalin und Co. greifen ihrer Erfahrung nach Jugendliche ab zirka 15 Jahren bis zur Volljährigkeit, «da jüngere Kinder eher andere Dinge wie Alkohol oder Zigaretten konsumieren». Man nehme an, dass Kinder sowohl an Alk und Zigis wie an die erwähnten Medis «in der Hälfte der Fälle via Pausenplatz» kommen.

Gründe, wieso bereits in jungen Jahren solche leistungssteigernden Medikamente konsumiert werden, können sich die Berater des Sorgentelefons gut erklären: «Der Leistungsdruck auf die Kinder und Jugendlichen hat in den letzten Jahren klar zugenommen. Aufgrund der Pandemiesituation ist der Druck nochmals gestiegen, trotz unklaren Perspektiven eine Lehrstelle zu ergattern. Dass die Jugendlichen dann zu Mitteln greifen, um die Leistung zu steigern, ist besorgniserregend, jedoch eine traurige Tatsache geworden.»

* Name geändert

Hier finden Sie Hilfe

Bei Medikamenten- oder anderem Substanzen-Missbrauch helfen diverse Schweizer Suchtfachstellen weiter. Man darf sich nicht nur als Betroffener, sondern auch als Angehöriger melden.

Für Kinder und Jugendliche gibt es das Sorgentelefon: 0800 55 42 10

Im Kanton Zürich wenden Sie sich an die www.suchtfachstelle.zuerich

Im Kanton Bern wenden Sie sich an www.bernergesundheit.ch

Im Kanton Basel wenden Sie sich an www.suchthilfe.ch

Im Kanton St. Gallen wenden Sie sich an www.stiftung-suchthilfe.ch

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