Höhere Aufmerksamkeit, bessere Konzentration, mehr Flexibilität, grössere Reaktionsfähigkeit – Selbstoptimierung ist der Mega-Trend der Leistungsgesellschaft, in der alle in allem immer besser werden wollen (BLICK berichtete). Doch Hirndoping mit Chemie bringt weniger als man denkt, sagt der ETH-Bioethiker Markus Christen.
BLICK: Herr Christen, was ist Hirndoping?
Markus Christen: Das ist die Nutzung pharmakologischer Wirkstoffe oder elektrische Stimulation des Gehirns mit dem Ziel, bei gesunden Personen geistige Fähigkeiten zu verbessern. Das können Aufmerksamkeit und Gedächtnis, aber auch soziale Fähigkeiten sein.
Womit genau kann ich mein Hirn «dopen»?
Meistens versteht man darunter den Gebrauch bestimmter Medikamente, die für andere Zwecke entwickelt wurden – beispielsweise Modafinil, das für Narkolepsie verschrieben wird. Weit bekanntere Wirkstoffe wie Koffein oder Nikotin haben aber ähnliche Effekte.
Wann soll ich Hirndoping machen – hilft das bei Prüfungen?
Die beste Wirkung tritt ein, wenn Menschen viel vor Prüfungen lernen oder sonst in erschöpfenden Situationen Leistung erbringen müssen, weil Aufmerksamkeit und Wachheit gestärkt werden.
Geht das punktuell und kurzfristig oder muss man das monate- oder jahrelang machen?
Die meisten Leute nutzen solche Wirkstoffe punktuell. Die Effekte sind individuell sehr verschieden, was unter anderem auch genetische Gründe hat. Bei manchen Personen oder auch bei komplexeren Aufgaben kann die Wirkung auch negativ sein.
Wie funktioniert es genau – was kann man besser mit Hirndoping?
Die genaue Wirkungsweise hängt von der verwendeten Substanz ab. Und weil das Gehirn bei all unseren geistigen Fähigkeiten eine wichtige Rolle spielt, könnte man prinzipiell sehr viel mit Hirndoping verbessern. Ein «Breitband-Hirndoping» gibt es aber nicht.
Was kostet Hirndoping, bezahlt eine Krankenkasse?
Auch die Kosten hängen vom Wirkstoff ab. Koffein in Form von Kaffee ist offensichtlich nicht teuer. Medikamente für Hirndoping wird man aber nicht einfach so vom Arzt bekommen. Man müsste beispielsweise eine krankhafte Prüfungsangst haben. Sonst bleibt nur der Schwarzmarkt.
Welche Risiken gibts für den Körper und die Psyche, braucht es ärztliche Aufsicht?
Medikamente wie Modafinil haben natürlich Nebenwirkungen, in seltenen Fällen ernste. Doch auch Koffein kann in hohen Dosen zu gesundheitlichen Problemen führen.
Wenn das auf einmal viele Menschen machen, welche Vorteile habe ich dann noch? Oder muss ich irgendwann mitmachen, um mit allen anderen mithalten zu können?
Koffein ist immer noch das weitaus bekannteste und am häufigsten genutzte Hirndoping – auch wenn es den meisten nicht bewusst ist. Wir haben uns also bereits an ein breit angewendetes Hirndoping gewöhnt. Die Vorteile, die man gewinnt, sind eher klein; die Effekte der heutigen Wirkstoffe werden überschätzt.
Gibt es auch Gründe, weshalb ich das nicht mitmachen soll?
Zwei Gründe: Erstens könnten Sie zu einer Personengruppe gehören, bei denen kaum eine Wirkung eintritt. Zweitens sind die Effekte nicht nachhaltig. Bei einer sorgfältigen Prüfungsvorbereitung werden Sie das Gelernte länger behalten als bei einer Nachtschicht auf Modafinil.
Wie viele Menschen betreiben schon Gehirndoping und gibt es immer mehr?
Zählt man Wirkstoffe wie Koffein oder Nikotin zum Hirndoping, ist das natürlich verbreitet. Im Fall von Medikamenten ist die Studienlage unübersichtlich – die Zahlen schwanken zwischen einem bis 20 Prozent. Ich vermute, dass es nicht wenige einmal probieren, die meisten dann aber merken, dass es nicht sehr viel bringt.
Markus Christen (49) ist Forschungsgruppenleiter am Institut für biomedizinische Ethik und Medizingeschichte der Universität Zürich sowie Geschäftsführer der «Digital Society Initiative» der Universität Zürich. Er forscht über Ethik in der Informationsgellschaft und die Anwendungsfolgen von Informations- und Kommunikationssystemen. Live zu sehen ist er an einem Podiumsgespräch im Vögele Kultur Zentrum in Pfäffikon SZ am Freitag, 6. Juli 2018, im Rahmen der Ausstellung «Ist gut nicht gut genug? Warum fordern wir so viel von uns?».
Markus Christen (49) ist Forschungsgruppenleiter am Institut für biomedizinische Ethik und Medizingeschichte der Universität Zürich sowie Geschäftsführer der «Digital Society Initiative» der Universität Zürich. Er forscht über Ethik in der Informationsgellschaft und die Anwendungsfolgen von Informations- und Kommunikationssystemen. Live zu sehen ist er an einem Podiumsgespräch im Vögele Kultur Zentrum in Pfäffikon SZ am Freitag, 6. Juli 2018, im Rahmen der Ausstellung «Ist gut nicht gut genug? Warum fordern wir so viel von uns?».
Untersuchungen haben ergeben, dass Apps nicht unbedingt jedem gut tun. Psychologen sprechen vom «Korrumpierungseffekt». Das heisst: Wenn jemand etwas ungern macht, aber dafür belohnt wird, dann bleibt er dran. Denn die Belohnung motiviert ihn. Trackt man aber etwas, das man sowieso gern macht, dann fühlt man sich dazu verpflichtet – und wird durch demotiviert.
Beispiel 1: Herr Müller macht ungern Sport. Er lädt sich eine Tracking-App runter. Jedes Mal, wenn er widerstrebend Sport treibt, trägt er das danach in der App ein. Das wird ihn motivieren, häufiger Sport zu treiben, denn der anschliessende Vermerk in der App ist eine Belohnung für ihn.
Beispiel 2: Frau Huber macht begeistert Sport. Sie lädt sich eine App herunter, in der sie einträgt, wann sie Sport macht. Auch für sie ist der anschliessende Vermerk in der App eine Belohnung. Aber nach einer Weile verliert Frau Huber die Motivation. Durch das Tracken fühlt sie sich gezwungen, Sport zu machen. Macht sie mal keinen Sport, ist sie gestresst, weil sie keinen Vermerk in ihrer App machen kann (und keine Belohnung erhält). Hier tritt der Korrumpierungseffekt auf: Frau Huber macht nicht Sport, weil es ihr Spass macht, sondern weil sie auf ihre Belohnung fixiert ist. Die Motivation am Sport selbst ist durch das Tracking deutlich gesunken. Larissa Jurczek
Untersuchungen haben ergeben, dass Apps nicht unbedingt jedem gut tun. Psychologen sprechen vom «Korrumpierungseffekt». Das heisst: Wenn jemand etwas ungern macht, aber dafür belohnt wird, dann bleibt er dran. Denn die Belohnung motiviert ihn. Trackt man aber etwas, das man sowieso gern macht, dann fühlt man sich dazu verpflichtet – und wird durch demotiviert.
Beispiel 1: Herr Müller macht ungern Sport. Er lädt sich eine Tracking-App runter. Jedes Mal, wenn er widerstrebend Sport treibt, trägt er das danach in der App ein. Das wird ihn motivieren, häufiger Sport zu treiben, denn der anschliessende Vermerk in der App ist eine Belohnung für ihn.
Beispiel 2: Frau Huber macht begeistert Sport. Sie lädt sich eine App herunter, in der sie einträgt, wann sie Sport macht. Auch für sie ist der anschliessende Vermerk in der App eine Belohnung. Aber nach einer Weile verliert Frau Huber die Motivation. Durch das Tracken fühlt sie sich gezwungen, Sport zu machen. Macht sie mal keinen Sport, ist sie gestresst, weil sie keinen Vermerk in ihrer App machen kann (und keine Belohnung erhält). Hier tritt der Korrumpierungseffekt auf: Frau Huber macht nicht Sport, weil es ihr Spass macht, sondern weil sie auf ihre Belohnung fixiert ist. Die Motivation am Sport selbst ist durch das Tracking deutlich gesunken. Larissa Jurczek
Nehmen wir Ritalin: Das Medikament hilft Menschen mit einem Aufmerksamkeitsdefizit. Greifen Gesunde zu Ritalin, erhoffen sie sich eine übernatürliche Leistung. Ob jemand tatsächlich über seine Grenzen hinauswachsen kann, ist umstritten. Wissenschaftlich nachgewiesen wurde die leistungssteigernde Wirkung von Hirndoping bei Gesunden bisher jedenfalls nicht. Der Wirkstoff von Ritalin heisst Methylphenidat. Die Substanz findet sich auch in den Präparaten Concerta, Medikinet oder Equasym. Eine noch stärkere Wirkung wird Focalin zugeschrieben, das Dexmethylphenidat enthält. Auch Elvanse mit dem Amphetaminähnlichen Wirkstoff Lisdexamphetamin wird zur Leistungssteigerung verwendet. Weil diese Stoffe abhängig machen können, unterstehen sie dem Betäubungsmittelgesetz.
Eine ähnliche Wirkung wie Ritalin erzeugt Modasomil mit dem Wirkstoff Modafinil. Laut Zulassungsbehörde Swissmedic unterliegt das Mittel nicht dem Betäubungsmittelgesetz, die Abgabe wird nicht kon-trolliert. Bei Jugendlichen seltener im Einsatz sind die rezeptfrei erhältlichen Präparate Dynamisan oder Gly-Coramin.
Zu den sogenannten Soft-Enhancern zählen pflanzliche Stoffe und koffeinhaltige Getränke wie Red Bull. Sie werden extrem häufig konsumiert: 75 Prozent der Schüler gaben an, sich regelmässig damit aufzuputschen.
Nehmen wir Ritalin: Das Medikament hilft Menschen mit einem Aufmerksamkeitsdefizit. Greifen Gesunde zu Ritalin, erhoffen sie sich eine übernatürliche Leistung. Ob jemand tatsächlich über seine Grenzen hinauswachsen kann, ist umstritten. Wissenschaftlich nachgewiesen wurde die leistungssteigernde Wirkung von Hirndoping bei Gesunden bisher jedenfalls nicht. Der Wirkstoff von Ritalin heisst Methylphenidat. Die Substanz findet sich auch in den Präparaten Concerta, Medikinet oder Equasym. Eine noch stärkere Wirkung wird Focalin zugeschrieben, das Dexmethylphenidat enthält. Auch Elvanse mit dem Amphetaminähnlichen Wirkstoff Lisdexamphetamin wird zur Leistungssteigerung verwendet. Weil diese Stoffe abhängig machen können, unterstehen sie dem Betäubungsmittelgesetz.
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Markus Christen (49) ist Forschungsgruppenleiter am Institut für biomedizinische Ethik und Medizingeschichte der Universität Zürich sowie Geschäftsführer der «Digital Society Initiative» der Universität Zürich. Er forscht über Ethik in der Informationsgellschaft und die Anwendungsfolgen von Informations- und Kommunikationssystemen. Live zu sehen ist er an einem Podiumsgespräch im Vögele Kultur Zentrum in Pfäffikon SZ am Freitag, 6. Juli 2018, im Rahmen der Ausstellung «Ist gut nicht gut genug? Warum fordern wir so viel von uns?».
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