Selbstoptimierung ist der grosse Trend unserer Zeit
Warum wir immer besser werden wollen

Selbstoptimierung wird im Zeitalter von Instagram und Selfies zum Lebensinhalt, das Bestreben nach Perfektion zum Diktat. Der Wille, sich in allen Lebensbereichen zu optimieren, ist einer der ganz grossen Trends der Zeit.
Publiziert: 30.03.2018 um 16:42 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 01:45 Uhr
Der Drang nach einen guten Platz in der Gesellschaft treibt die Selbstoptimierung an.
Foto: Thinkstock
Christiane Binder

Die ersten Siegerlisten der griechischen Olympiaden stammen aus dem Jahr 776 v. Chr. Die Römer veranstalteten bereits Pferderennen. Die Ur-Frage aller Beauty-Besessenen stellte die Königin im Märchen «Schneewittchen»: «Wer ist die Schönste im ganzen Land?»

Der Drang, schneller, besser, schöner, leistungsfähiger zu sein als alle anderen, liegt in der Natur des Menschen. «Wir sind soziale Wesen und wollen einen möglichst guten Platz in der Gesellschaft finden», erklärt Daniel Süss (55), Professor für Medienpsychologie an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW).

Haben wir ein Recht auf Glück?

Doch heute hat der Drang, sich selbst zu perfektionieren, eine neue Dimension erreicht. Die Technologie schafft unendliche neue Möglichkeiten der Selbstvermessung. Jedem wird versprochen, er könne aus sich den perfekten Menschen erschaffen. Nicht genug damit: Wir wollen auch noch glücklicher werden, ja glauben, ein Recht auf Glück zu haben. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung hat schon 1776 das «Bestreben nach Glückseligkeit» in der Verfassung verankert.

Selbstoptimierung ist heute ein Boomgeschäft. Vor allem mit dem Verbesserungspotenzial des Körpers wird viel Geld verdient. Laut Gottlieb-Duttweiler-Institut (GDI) setzt allein der Bereich «Wellness» in den USA fast 4000 Milliarden Dollar um. Doch Gesundheit, ein faltenfreies Gesicht und ein fettfreier Körper allein reichen nicht. Wir wollen im Beruf Erfolg haben, politisch korrekt sein und weniger Müll produzieren, bessere Eltern sein, weniger fernsehen und neue Sprachen lernen. Am besten alles zugleich.

Wir vergleichen uns permanent

Dass das offenbar geht, führen uns scheinbare Idealbilder in den Medien vor. «Früher konnte man sich in seinem Dorf mit 20 bis 50 Leuten vergleichen. Durch die Globalisierung und das Internet verfügen wir heute über eine unbegrenzte Zahl von Vergleichsmöglichkeiten, die uns mit weltweiten Trends konfrontieren», erklärt Medienpsychologe Daniel Süss.

Das kann von Vorteil sein, betont er. «Etwas wird bemerkt, das man vorher nicht realisiert hat», man erhalte Anregungen und Ideen. Die Zürcher Unternehmerin Jeanette Scherrer (32) zum Beispiel nutzt regelmässig mehr als 20 Apps – und empfindet sie als hilfreich, Job, Privatleben und Sport zu organisieren.

Doch für viele dreht sich die Spirale zu schnell, die Selbstoptimierung wird zum Nachteil. «Wir bewegen uns in einem Hamsterrad», erklärt Arbeitspsychologin Stefanie Birrer (37). Viele Menschen, die ihre Beratung suchen, geraten unter Stress, weil sie zu vieles gleichzeitig wollen und sich abstrampeln, bis sie nicht mehr können. «Sind es zu viele Ziele, sind sie nicht mehr erreichbar», sagt Birrer. 

Lernen, mit Unperfektem zu leben

In der Berufswelt bedingen sich Selbstoptimierung und die Karriere, die man dann tatsächlich macht, sowieso nicht automatisch, behaupten Dorothea Assig und Dorothee Echter. Als «Assig und Echter» bieten sie Beratung im Top-Management an. Für die Karriere massgeblich sei das, «was bereits in einem steckt». Es gehe nicht um Perfektion, stattdessen müssten die eigenen Stärken eingesetzt werden, erklärt Echter. Sie rät dazu, nicht akribisch im Voraus zu planen, sondern Entscheidungen lieber intuitiv zu treffen. To-do-Listen solle man wegwerfen und alle Apps deinstallieren. Um wirklich erfolgreich zu sein, sei die Überzeugung das Wichtigste, «dass man etwas bewirkt. Apps machen nur ein schlechtes Gewissen». Dorothea Assig rät, sich nach jedem Tag für das zu loben, was man erreicht hat und nicht an alles zu denken, was man nicht geschafft hat. «Im Lernmodus zu bleiben und sein Bestes zu geben reicht völlig.»

Arbeitspsychologin Birrer rät übertriebenen Selbtsoptimierern, es halblang zu machen. Man müsse lernen, auch mit Unperfektem zu leben und nicht so streng mit sich zu sein. Und Prioritäten setzen, sich trotz Dauerberieselung durch die sozialen Medien nicht zu sehr von der Umwelt beeinflussen zu lassen: «Sortieren Sie alles aus, was Sie nur um der anderen Willen machen.» 

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