«Sie tun so, als sei nichts geschehen»
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Familie von Yves (†15):«Sie tun so, als sei nichts geschehen»

Maurerstift (†15) von Betonplatte erschlagen – Behörden und Arbeitgeber halten Eltern hin
«Sie tun so, als sei nichts geschehen»

Über ein Jahr ist es her, dass der Lehrling Yves Radakovits (†15) während der Arbeit von einer Betonplatte erschlagen wurde. Die Familie ist von der Strafuntersuchung und von den verantwortlichen Baufirmen enttäuscht. Sie fühlt sich alleingelassen.
Publiziert: 05.01.2021 um 00:44 Uhr
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Aktualisiert: 06.01.2021 um 16:04 Uhr
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Yves Radakovits war erst drei Monate in der Lehre, als er bei einem Unfall auf der Baustelle in Dietikon ZH starb.
Foto: zvg
Beat Michel

Immer wieder stellen sich die Angehörigen von Yves Radakovits (†15) die gleichen Fragen: Warum musste der Unerfahrenste am gefährlichsten Ort der Baustelle arbeiten? Weshalb hat die eine beteiligte Firma die Betonplatten so platziert, dass sie jederzeit umkippen konnten? Und wieso war der Baukran so schwach, dass er die Elemente nicht anheben konnte, sondern ein Bagger die Aufgabe übernehmen musste? Seit über einem Jahr geht das so.

Am Grab des toten Teenagers brennen unzählige Kerzen. «Wir lassen das Licht nie ausgehen», sagt Nicole Radakovits (42), die Mutter von Yves. Vater Christian Radakovits (51) und Yves’ grosser Bruder Mike (25) zünden am Grab jeden Tag Kerzen an: «Das gibt etwas Trost. Wir fühlen uns Yves hier nahe.»

Drama auf der Baustelle

Am 5. Dezember 2019 starb ihr Junge auf einer Baustelle in Dietikon ZH. Eine mehrere Tonnen schwere Betonplatte krachte unkontrolliert auf den Boden – genau auf die Stelle, wo der Maurerstift arbeitete. Seitdem läuft die Untersuchung zum tödlichen Unfall. Bis jetzt hat die Familie Radakovits weder von den Behörden noch von den beteiligten Firmen irgendeine Antwort auf ihre vielen Fragen bekommen.

Die Dietiker Baufirma, bei der Yves zum Zeitpunkt des Unfalls seit drei Monaten in der Lehre war, transportierte gegen 20 Betonelemente auf die Baustelle. Die mehrere Tonnen schweren Platten brauchte es, um die senkrechten Ränder der Grube zu stabilisieren.

Eine Woche lang lagerten die Platten dort. Anfangs standen sie angelehnt an einen Baucontainer. Um diesen zu verschieben, mussten die Platten senkrecht gestellt werden. Wann und wie das geschah und warum sie nicht sachgemäss gesichert wurden, ist ein zentraler Punkt der Ermittlungen.

Betonplatten fallen wie Dominosteine um

Sicher ist: Alle auf der Baustelle sahen die Platten. Der Bauleiter, der Polier, die Bauarbeiter. Niemandem fiel auf, dass die vielen Tonnen Beton hätten umkippen können. «Es wirkte wie eine Einheit und sah darum nicht gefährlich aus», sagt ein Augenzeuge zu BLICK.

Am 5. Dezember übernahm eine grosse Weininger Firma die Platzierung der Betonplatten. Weil der Baukran für die schweren Elemente zu schwach war, benutzten die Bauarbeiter den Schaufelbagger. Es war 10.30 Uhr. Ein Arbeiter stellte eine Leiter an eines der Betonelemente, um eine Kette für die Umplatzierung anzubringen. Mit fatalen Folgen. Die Betonplatten stürzten wie Dominosteine um. In der Falllinie der letzten Platte spitzte Yves gerade Beton vom Boden. Warum der Lehrling nicht gewarnt wurde und wer ihm den Auftrag gegeben hatte, ist noch immer unklar.

Die Ungewissheit nagt an der Familie. «Wir halten es fast nicht mehr aus. Es geht uns immer schlechter. Die Verantwortlichen verhalten sich, als sei nichts Schlimmes passiert», sagt Yves’ Vater. Die Mutter fügt an: «Es ist beschämend, wie sich die Firmen verhalten.»

Blumenstrauss vor die Tür gelegt

Erst am Abend nach dem Unfall besuchte Yves’ Lehrmeister die Familie, sprach kurz über die Umstände. Nach einem halben Jahr kam der Inhaber der Lehr-Firma. Doch weil niemand zu Hause war, legte er einen Blumenstrauss und den Lohnausweis vor die Tür. Seither haben die Angehörigen von keinem mehr etwas gehört. Auch gegenüber BLICK wollen sich die Baufirmen nicht äussern.

Die Untersuchung der Staatsanwaltschaft läuft noch immer – und ein Ende ist nicht abzusehen, schreibt die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich. Im Rahmen des Verfahrens gehe es darum zu klären, wie es genau zu diesem tragischen Unfall kommen konnte und ob ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorliege. Es gelte die Unschuldsvermutung.

«Wir wollen Gerechtigkeit», sagen die Eltern von Yves. Denn: «Mit jedem Tag, mit dem wir mit der Katastrophe allein gelassen werden, leiden wir mehr. Alle tun so, als sei nichts geschehen.»

Gefährliche Jobs sind für Lehrlinge tabu

Gefährliche Arbeiten sind Jugendlichen unter 18 Jahren grundsätzlich verboten. Ausnahmen sind nur möglich, wenn sie für die berufliche Grundbildung unentbehrlich und vom kantonalen Berufsbildungsamt ausdrücklich genehmigt worden sind. Das schreibt der Bund in der Jugendarbeitsschutzverordnung so vor. Wie der Versicherer Suva schreibt, verunfallen in der Schweiz aber immer noch jedes Jahr 25'000 Lernende. Zwei dieser Unfälle enden im Jahresdurchschnitt tödlich. Beat Michel

Gefährliche Arbeiten sind Jugendlichen unter 18 Jahren grundsätzlich verboten. Ausnahmen sind nur möglich, wenn sie für die berufliche Grundbildung unentbehrlich und vom kantonalen Berufsbildungsamt ausdrücklich genehmigt worden sind. Das schreibt der Bund in der Jugendarbeitsschutzverordnung so vor. Wie der Versicherer Suva schreibt, verunfallen in der Schweiz aber immer noch jedes Jahr 25'000 Lernende. Zwei dieser Unfälle enden im Jahresdurchschnitt tödlich. Beat Michel


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