Wer in diesen Tagen die Dolce Vita am Lago sucht, macht besser einen grossen Bogen um Lugano TI. Denn zwei Mammut-Events in der Tessiner 67'000-Einwohner-Stadt sorgen für Unruhe. Während der «Swiss Harley Days» von Freitag bis Sonntag brausten über 3000 Biker durch die City und lockten 50'000 Schaulustige an den See.
Nun reisen Delegationen aus 38 Ländern für die internationale Ukraine-Konferenz vom Montag und Dienstag an, darunter Staatschefs und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (63). 1000 Gäste werden erwartet. Über 2000 Soldaten und Polizisten sollen sie schützen. Kampfflugzeuge des Typs F/A-18 Super Hornet durchflogen bereits am Freitagvormittag den Luganeser Luftraum. Militär-Patrouillenboote dümpeln neben Pedalos. Auch Panzerfahrzeuge, Anti-Terror-Sperren, hohe Zäune und eine Fliegerabwehrkanone am Badestrand passen nicht in die sonst so touristische Skyline.
«Drei Tage Absperrung sind noch nicht schlimm»
Marie-Jeanne Kunz (84) trägt schnell die Einkäufe durch den Parco Ciani nach Hause. Bald wird dieser Ort zur roten Zone. «Ich finde die Absperrungen nicht schlimm», sagt die gebürtige Schwedin, «schliesslich geht es um den Frieden in der Ukraine.»
«Ich werde in die Berge fliehen», sagt Susanna Plata (38), Produktionsleiterin und Mutter von Federico (18 Monate). Noch einmal spaziert sie durch den Park, bevor er geschlossen wird. «Ich komme mir vor wie in einem James-Bond-Film. Das ist nichts für kleine Kinder», so die Tessinerin.
Auch Silvia Taddei-Speck (75) fährt in die Ferien, weit weg vom Trubel. «Das ist mir zu viel hier», sagt die Rentnerin aus Lugano. Mit ihrer tschechischen Freundin Olga Jackson (65) führt sie ihren Cocker «Happy» durch den Park Gassi. Olga schaut dem Treiben mit gemischten Gefühlen entgegen. «Ich war elf Jahre alt, als die Russen 1968 in Prag einmarschierten. Beim Anblick der schweren Geschütze kommen die Erinnerungen hoch. Es macht mir schon ein wenig Angst.»
Die Fliegerabwehrkanone im Nacken
Luca Kruisinga (34) hat sein Handtuch am Strand der Mündung ausgebreitet. Auf der anderen Flussseite ist das Militär in Stellung gegangen. «Ich komme jeden Tag her, um zu schwimmen», so der gelernte Koch. «Jetzt habe ich eine Fliegerabwehrkanone im Nacken.» Es habe etwas von einer Theatervorführung, sagt er.
Noch stehen die Kunden Schlange vor dem Tresen der Gelateria Vanini an der Piazza Riforma. Die Eisdiele liegt nicht in der roten Zone. Dennoch ist Glaceverkäufer Luca Cadei (34) skeptisch: «Anfahrt und Parkgelegenheiten sind ab Montag wegen der Absperrungen stark beeinträchtigt. Ich weiss nicht, wie viele Besucher sich in die Altstadt trauen.» Er hofft auf die Teilnehmer der Konferenz. «Es wird ein anderes Publikum sein», sagt er.
Flugplatz in Agno für Polit-Prominenz reserviert
Schon seine Grosseltern hatten den Obst- und Gemüseladen in der Luganeser Altstadt – aber so etwas habe er noch nicht erlebt, sagt Massimo Mion (55). «Solange die Konferenz läuft, machen wir zu. Unsere Kunden bleiben wegen der Störung sicher fern.» Dass die Veranstaltung nun in Lugano stattfindet, hält der Obst- und Gemüsehändler für überflüssig: «Bundespräsident Ignazio Cassis tut damit weder Lugano noch der Schweiz einen Gefallen.»
Der Direktor vom Lugano Airport in Agno TI steht auf dem verwaisten Rollfeld. Schon am Freitag durfte kein Privatflieger mehr starten oder landen. Der Flugplatz steht ausschliesslich den Gästen der Ukraine-Konferenz zur Verfügung. «Das Militär hat einen Sicherheitsbereich rund um den Airport geschaffen», sagt Davide Pedrioli (65). Für den Flugplatz bedeute dies mehrere Zehntausend Franken Verdienstausfall. Der Airport Lugano kämpft schon jetzt um seine Existenz. Die Swiss-Linienflüge wurden längst gestrichen. Pedriolis Hoffnung: «Vielleicht erkennt man jetzt, welche wichtige Rolle unser kleiner Flugplatz spielen kann.»