Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Lugano ist gut. Lugano ist aber auch ein Feigenblatt

Ukrainische Medien berichten über Maschinenlieferungen aus der Schweiz für Putins Rüstungsindustrie. Und eine ukrainische Zeitung kritisiert Magdalena Martullos Geschäfte in Russland. Die Schweiz ist nicht die selbstlose Vermittlerin, als die sie sich so gerne sieht.
Publiziert: 03.07.2022 um 14:00 Uhr
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Aktualisiert: 21.11.2022 um 13:35 Uhr
Gieri Cavelty, SonntagsBlick-Chefredaktor
Foto: Paul Seewer
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Gieri CaveltyKolumnist SonntagsBlick

Unter der Schirmherrschaft von Bundespräsident Ignazio Cassis beginnt morgen in Lugano eine zweitägige Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine. In dem kriegsversehrten Land ist das selbstverständlich ein Thema. Staatschef Wolodimir Selenski kam neulich bei einem Treffen mit dem luxemburgischen Premier Xavier Bethel kurz darauf zu sprechen. Zuvor hatte die Parlamentsabgeordnete Olena Kondratiuk angekündigt, ihre Regierung werde in Lugano den Entwurf für einen Wiederaufbauplan vorlegen. Und Yuri Golik, Koordinator des nationalen Programms «Big Construction», gab gegenüber der Nachrichtenagentur Urkinform seiner Hoffnung Ausdruck: «In Lugano erfahren wir, wie viel Geld für unsere Bedürfnisse zur Verfügung steht.»

Ja, Lugano taucht in den ukrainischen Medien immer wieder auf – allerdings weniger prominent als bei uns. Da war die Rolle der Schweiz bei der Nichtlieferung von Waffen eindeutig das wichtigere Thema.

Und sonst? Welche Rolle spielt die Schweiz in den ukrainischen Medien? Mitte Mai berichtete «Fakty i Kommentarii», die grösste Zeitung des Landes, Bern wolle bei einem möglichen Austausch russischer und ukrainischer Kriegsgefangener vermitteln. Viel Lob gab es in mehreren Blättern für das Engagement von Claude Wild, dem Schweizer Botschafter in Kiew. Er setzte sich insbesondere dafür ein, dass die im Südwesten gelegene Grossstadt Winnyzja mit Medikamenten und Nahrungsmitteln versorgt wurde.

Es gibt aber auch Berichte wie jene auf den Plattformen «InformNapalm» und «Argument». Darin werden schwere Vorwürfe an die Adresse von Schweizer Firmen laut.

Demnach wurden 2018 sogenannte Rundschleifmaschinen der Fritz Studer AG aus Steffisburg an die Firma JSC Kuznetsov geliefert, die Motoren für Putins Kampfjets fertigt. Ein weiteres dieser Präzisionswerkzeuge ging 2019 an MMZ Avangard, einen Hersteller von Boden-Luft-Raketen.

Demnach lieferte das Schweizer Unternehmen GF Machining Solutions 2017 über eine Drittfirma, die Galika AG in Volketswil, eine Drahtschneidemaschine an Izhevsky Mekhanichesky Zavod, Russlands wichtigsten Produzenten von Kleinwaffen. 2018 lieferte GF Machining Solutions wiederum über die Galika AG Fräsmaschinen an den russischen Rüstungsbetrieb Konstruktorskoe Buro Priborostroeniya, der Flugabwehrraketen und Artilleriesysteme entwickelt.

Demnach landeten – ebenfalls über die Galika AG – Apparaturen der jurassischen Codere SA, einer Spezialistin für Industrieöfen, bei Elektronmashina, einem Unternehmen, das Komponenten für russische Panzer baut.

GF Machining Solutions teilt SonntagsBlick mit, man habe in Russland niemanden direkt beliefert. Es sei nicht im Einflussbereich der Firma gelegen, bei den damaligen Distributionspartnern der Galika AG eine Kundenliste zu verlangen. «Nach Beginn des Krieges haben wir Maschinen zurückgekauft, um zu verhindern, dass sie möglicherweise nach Russland exportiert werden könnten.» Die anderen Schweizer Firmen reagierten nicht auf unsere Anfragen. Das Staatssekretariat für Wirtschaft hält summarisch fest, bis zur Übernahme der EU-Sanktionen am 4. März 2022 sei die Ausfuhr von Industriegütern nach Russland grundsätzlich legal gewesen. Gleichwohl hört man in Bern, die Bundesanwaltschaft untersuche derzeit, ob es eventuell zu Verstössen gegen das Güterkontrollgesetz gekommen ist. Die Behörde selbst will das freilich nicht bestätigen.

Und noch ein Schweizer Konzern sorgt in der Ukraine für schlechte Schlagzeilen. Unter dem Titel «Unternehmen, denen Gewinne wichtiger sind als ihr Ruf» berichtete die auflagenstarke Zeitung «Holos Ukrajiny» unlängst unter anderem über die Ems-Chemie von SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo. Diese betreibt in Russland zwei Fabriken für Autolacke und Ähnliches, die ihre Tätigkeit trotz Putins Vernichtungsfeldzug einfach fortsetzten. Ems lässt SonntagsBlick wissen, man könne sich dazu «aus börsenrechtlichen Gründen» nicht äussern. Derweil appelliert «Holos Ukrajiny» an das Bündner Unternehmen, «sich nicht an Putins Verbrechen mitschuldig zu machen!»

Im Spiegel der ukrainischen Zeitungen erkennen wir unser Land als einen zwielichtigen Kantonisten. Die Konferenz in Lugano wird hoffentlich viel Positives bewirken. Lugano dient der Schweiz ganz offensichtlich aber auch zur Selbstvergewisserung, dass sie eigentlich doch zweifelsfrei auf der richtigen Seite der Geschichte steht. – Obschon wir es besser wissen.

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