Die Migros-Genossenschaft beschäftigt in der Schweiz rund 100'000 Menschen. Sie ist die grösste Arbeitgeberin des Landes.
Die meisten Mitarbeitenden sind in den Lebensmittel-Supermärkten tätig. Sie hatten in den vergangenen Monaten mehr als genug zu tun. Genauer: Sie mussten schuften wie nie.
Es gibt aber auch Tausende, die wegen Covid-19 in Kurzarbeit stecken – und diese Migros-Angestellten müssen in den nächsten Wochen und Monaten mit weniger Geld über die Runden kommen als sonst: Im Gegensatz zur ersten Corona-Welle im Frühjahr will der orange Riese die Lohneinbusse von 20 Prozent für Betroffene der Kurzarbeit künftig nicht mehr generell ausgleichen.
Nur noch das gesetzliche Minimum
Sprecher Marcel Schlatter bestätigt Recherchen von SonntagsBlick: «Es trifft zu, dass die Migros die Kurzarbeitsentschädigung per Januar 2021 auf die gesetzlich vorgeschriebene Abdeckung angepasst hat.»
Betroffen von der Massnahme sind Mitarbeiter der 330 Fitness- und Freizeitanlagen in der Schweiz, die zum Migros-Imperium gehören, darunter etwa Activ Fitness, ONE Training Center sowie Dutzende Golf- und Wasserparks. Hinzu kommen 1600 Angestellte der Klubschule Migros sowie 2600 Mitarbeitende des Reiseunternehmens Hotelplan.
Doch damit nicht genug: Das gleiche Schicksal droht auch dem Personal in der Migros-Gastronomie sowie den behördlich geschlossenen Fachmärkten.
Dazu gehören zum einen rund 300 Restaurant- und Take-away-Betriebe sowie ein Cateringservice, zum anderen die Elektronikkette Melectronis, das Einrichtungshaus Micasa sowie das Sportartikelgeschäft SportXX.
«Für die Mitarbeitenden in diesen Bereichen ist der Entscheid zur Höhe der Kurzarbeitsentschädigung noch nicht gefällt», sagt Sprecher Schlatter. Geprüft werde unter anderem, wie viele dieser Betroffenen in anderen Bereichen eingesetzt werden könnten, zum Beispiel in den Supermärkten. «Dann würde der Lohn bei 100 Prozent bleiben.»
Verrat an den eigenen Idealen
So oder so: Dass die Migros einen Teil der Mitarbeiter hängen lässt, dürfte auch intern umstritten sein. Schliesslich ist die Migros nicht irgendein Grosskonzern, der sich Gewinnmaximierung um jeden Preis auf die Fahne geschrieben hat – sondern eine Genossenschaft, die oft und gerne betont, wie sehr sie auch ihre soziale Verantwortung wahrnehme.
In den Statuten heisst es nach wie vor: «Im Sinne des Sozialen Kapitals und nach dem Ideengut der Gründer (Adele und Gottlieb Duttweiler, Red.) stellt die Migros den Menschen in den Mittelpunkt.»
Für Anne Rubin, Chefin Detailhandel bei der Gewerkschaft Unia, ist deshalb klar: «Die Streichung der Kurzarbeitskompensation passt definitiv nicht zum Migros-Image – zumal der Konzern ein sehr erfolgreiches Jahr hinter sich hat.»
Geiz ohne Notwendigkeit
Tatsächlich: Die Migros konnte die Einbussen in den Fachmärkten, der Gastronomie, bei Hotelplan sowie im Fitness- und Freizeitbereich durch den Boom im Lebensmittel- und Onlinehandel mehr als wettmachen.
Die Migros Zürich, umsatzstärkste Genossenschaft der Gruppe, vermeldete diese Woche über alle Geschäftsbereiche hinweg ein Wachstum von 4,3Prozent. Der Onlinehändler Digitec Galaxus, ebenfalls Teil des Konzerns, konnte für 2020 gar eine Umsatzsteigerung von unglaublichen 60 Prozent verkünden. Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen (51) frohlockte deshalb bereits Ende November in einem Interview mit den CH-Media-Zeitungen: «Geschäftlich ist 2020 ein gutes Jahr für die Migros.»
Dem erwarteten Umsatz- und Gewinnsprung zum Trotz begründet der Konzern sein Vorgehen mit den Kosten. Sprecher Schlatter: «Die von Kurzarbeit betroffenen Mitarbeiter haben von der Migros über mehrere Monate hinweg den vollen Lohn erhalten, obwohl sie nicht arbeiteten.»
Ein feuchter Händedruck als Kompensation
Seit Beginn der Pandemie habe die Migros insgesamt mehr als 30 Millionen Franken für die Kompensation von Lohnlücken sowie für Sonderprämien an Mitarbeitende in Verkauf, Produktion und Logistik eingesetzt: «Letzteres als besondere Wertschätzung ihres ausserordentlichen Einsatzes während des Lockdowns.»
Einem Familienvater, der als Fitnesstrainer normalerweise 4400 Franken verdient, hilft diese Wertschätzung allerdings herzlich wenig. Er muss in den kommenden Wochen und Monaten mit 3520 Franken über die Runden kommen – brutto.