Auf einen Blick
- Darsteller Dimitri Krebs sieht Ernst Schrämli als naiven Romantiker
- Sein eigentlicher Beruf half ihm beim Schauspielern
- Er findet: Der Film hält der Schweiz den Spiegel vor
- Die Sex-Szene wirkt leidenschaftlich, war für ihn aber eher eine technische Sache
Schweizer Soldaten haben Ernst Schrämli 1942 als Landesverräter erschossen. Er war für die einen ein Verräter, für die anderen ein armer Teufel. Wie sehen Sie ihn?
Dimitri Krebs: Er war ein Romantiker und naiv. Und das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm. Doch ich weiss noch immer nicht, ob ich Ernst mag.
Was an ihm ist Ihnen unsympathisch?
Der Opportunismus. Er wurde nicht gut behandelt und hat wohl auch deshalb wenig Rücksicht auf andere genommen. Auf den Film bezogen hatte ich sehr Mühe mit der Geschichte mit Gerti, seiner Freundin. Sie ist schwanger, und er sagt: «Treib ab!» Das geht gar nicht.
Was reizt Sie an der Figur?
Dieses Ambivalente: Ernst ist Opfer und Täter. Er ist Nazi und doch kein Nazi. Er rutschte da rein, weil er sich etwas Besseres erhofft hatte. Seine Familie war arm, die Mutter starb früh, die Kinder hatten kaum Chancen. Ernst war empfänglich für diesen Nazi, der ihn anstiftete und vorgaukelte, an ihn zu glauben. Doch am Ende arbeitete Ernst mit ihm zusammen, um zu profitieren.
Was braucht es, um eine Figur gut spielen zu können?
Man muss in ihr eigene Charakterzüge wiedererkennen. Auf diesen kann man aufbauen. Zur Schauspielerei gehört auch viel Empathie. Die soziale Arbeit hilft mir dabei. Ich habe schon einiges gesehen. Viele Menschen in schwierigen Lebenssituationen.
Worin ähneln Sie und die Figur sich?
Vielleicht im Tagträumerischen, im In-den Tag-Hinein-Leben, im Feinen. Ernst war ein Zarter. Zu zart für die Welt, gerade als Mann. Er hätte es heute sicher einfacher gehabt.
Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet?
Ich ging mit einer Schauspiel-Coachin zusammen das Drehbuch durch, und wir feilten an der Rolle. Und ich habe mich über die Schweiz im Zweiten Weltkrieg eingelesen. Ich befasste mich auch mit Niklaus Meienbergs Buch über Ernst Schrämli und dem gleichnamigen Dokumentarfilm von Richard Dindo. Ernsts Brüder, die im Dokfilm vorkommen, habe ich mir genau angeschaut. Wie sie reden, Dinge betonen, wie sie sich bewegen, die Körperhaltung. Und ich musste St. Galler Dialekt lernen.
Wie haben Sie das gemacht?
Ich sprach oft mit St. Gallern aus meinem Bekanntenkreis. Und ich hörte Radio Energy St. Gallen. Oder beim Kochen einen Podcast von einer St. Gallerin, ich plapperte einfach nach, was sie sagte.
«Landesverräter» ist Ihr erster Film. Sie hatten davor nichts mit Schauspielerei zu tun. Warum wollten Sie diese Rolle?
Ich wollte einerseits schauen, wie es in der Filmbranche ist. Andererseits ist Ernst Schrämlis Geschichte wichtig für die Schweiz. Viele Jüngere kennen sie gar nicht. Im Film gibt es eine Gefängnisszene, in der er am Schluss eine Rede hält. Diese zeigt, wie heuchlerisch sich die Schweizer Politik damals verhalten hat. Das zieht sich bis heute durch. Die Schweiz profitiert unter dem Deckmantel der Neutralität von allen Seiten. Der Film hält den Spiegel vor.
Und wie kamen Sie zum Film?
Ich mache Musik. Mein Bandkollege ist ein guter Freund des Regisseurs Michael Krummenacher. Dieser hatte lange alle möglichen Schauspieler angeschaut, keiner passte. Deshalb suchte er abseits der Schauspielszene. Eines Tages kam ein Mail von der Casting-Agentur.
War für Sie sofort klar: Das ist meine Rolle?
Gar nicht. Während des Castings hielten sich alle bedeckt. Ich ging heim und glaubte, es wird nichts. Lange hörte ich auch nichts. Dann kam die Zusage, und ich hatte zwei Wochen Zeit, um es mir zu überlegen.
Hatten Sie Bedenken?
Mich so zu exponieren, ja. Plötzlich bist du eine öffentliche Figur. Du verkaufst deine Rechte an deinem Gesicht, deinen Bildern, deinem Namen. Musst aufpassen, was du sagst. Und vielleicht fällt der Film durch, und die Medien schreiben eine Woche darüber, und dann ist es wieder vorbei.
«Landesverräter» wird als der Schweizer Film des Jahres gehandelt.
Ja, aber ich weiss ja nicht, ob er gut ist. Ich gehe davon aus, aber ich habe ihn noch nicht gesehen.
Warum?
Ich werde ihn sehen, wenn er vorgestellt wird. Jetzt kann ich nichts mehr ändern, nichts mehr besser machen. Die Dreharbeiten waren wichtig für mich, sind aber ein Jahr her. Da gewinnt man Abstand.
Und Ihr Alltag sieht mittlerweile ganz anders aus. Sie arbeiten mit Jugendlichen auf einer Psychiatrie.
So ist es. Aber ich möchte jetzt nicht arrogant rüberkommen. Der Film war eine sehr wichtige Erfahrung für mich.
Warum arrogant?
Vor den Dreharbeiten schickte man mich für einen Kurs nach London auf eine Schauspielschule. Für die anderen Teilnehmenden war es komisch, dass ausgerechnet ich, der da reingerutscht ist, eine Hauptrolle bekommen hat. Viele arbeiten hart auf so eine Chance hin und schaffen es nicht.
War für Sie klar, dass Ihnen die Schauspielerei liegt?
Anfangs war ich unsicher. Michael Krummenacher sagte mir nach dem ersten Tag, ich mache es gut. Aber das musste er vielleicht auch sagen. Er hatte viel zu verlieren. Er ist mit mir ein grosses Risiko eingegangen. Er kannte mich nicht. Ich kam mit blauen Haaren ans Casting, bin Musiker. Er wusste nicht, ob ich psychisch stabil bin, ob ich nicht plötzlich aussteige. Das rechne ich ihm hoch an: Er hat mir vertraut.
Gab es einen Moment, in dem Sie vor der Kamera standen und spürten: Wow, ich kann das?
Nein. Es nicht zu können, war gar keine Option. Ich stand auf dem Set und sah, wie viele Menschen für den Film arbeiteten. Ich konnte nicht mehr sagen: Stopp, ich zweifle, ich gehe wieder nach Hause.
Fielen Ihnen auch Szenen schwer?
Am meisten Mühe hatte ich mit den Sexszenen. Es war schwierig, entspannt zu wirken, während 100 Leute am Set zuschauten.
Was half in dem Moment?
Der Druck. Und ich habe viel mit Luna Wedler gesprochen, die Gerti spielt. Wir haben vor den Sexszenen auch mit dem Regisseur genau besprochen, wie viel man sieht, was man nicht sieht, womit man sich wohlfühlt. Und wir beide sorgten untereinander vorher immer für gute Stimmung, lachten zusammen. Die Szene war dann wie ein Stunt.
Am Set gab es eine Intimacy-Coachin. Was war deren Aufgabe?
Sie erarbeitete für die Sexszenen eine Choreografie und ging vorab mit uns jede Bewegung durch. Das war super, gab uns Sicherheit. Es ist alles sehr technisch, nicht so leidenschaftlich, wie es am Bildschirm wirkt.
Die Erwartungen vor dem Filmstart sind hoch. Spüren Sie Druck?
Während des Drehs schon. Jetzt nicht mehr. Ich habe gegeben, was ich kann.
Ist der Film nun der Anfang einer grossen Schauspielkarriere?
Ich mache jetzt erst mal mein Studium fertig. Danach schaue ich weiter. Vielleicht bietet man mir wieder eine Rolle an, die ich spannend finde.
Würde Ernst Schrämli noch leben, gibt es etwas, das Sie ihm gerne sagen würden?
Rede nicht mit Nazis.