Krach um «AHV 21»
Fragen, bis die Antwort passt

Je nach Umfrage ändert sich die Ausgangslage für die AHV-Reform. Aber manche Schlussfolgerungen sind stichhaltiger als andere.
Publiziert: 15.05.2022 um 11:38 Uhr
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Aktualisiert: 16.05.2022 um 15:06 Uhr
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Gewerkschaften laufen gegen Sturm gegen die AHV-Reform: SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard in Bern.
Foto: Keystone
Simon Marti

Im Grunde ist die Abstimmung über die «AHV 21» bereits gelaufen. Das legt zumindest eine Erhebung nahe, die vor einer Woche publik wurde. Eine von den Befürwortern der Reform in Auftrag gegebene Umfrage hat praktischerweise bereits eine komfortable Mehrheit für das Vorhaben ermittelt: 55 Prozent der Befragten stimmen ihr demnach zu. Eine Erkenntnis, die praktischerweise Schlagzeilen wie diese produziert: «SP-Basis für gleiches Rentenalter», titelte die «SonntagsZeitung».

Denn die vom Institut Demoscope durchgeführte und vom Ja-Lager finanzierte Umfrage hat sogar herausgefunden, dass eine Mehrheit der SP-Wähler der Reform zustimmt. Einer Reform, deren Kern darin besteht, das Rentenalter für Frauen auf 65 Jahre zu erhöhen.

Im Parlament hatte sich die Linke gegen die Reform engagiert: Aus ihrer Sicht reichen die Kompensationen für die Rentenaltererhöhung bei weitem nicht aus. Schliesslich ergriffen SP und Gewerkschaften das Referendum.

Da passt eine solche Umfrage schlecht ins Bild. SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer (34, ZH) räumte in der «SonntagsZeitung» denn auch ein: «Die Umfrage ist aus unserer Sicht nicht erfreulich.»

Entscheidend ist, wie gefragt wird

Effektiv abgestimmt wird wahrscheinlich im September, aber wie solide ist das frühe Verdikt der Demoskopen? Die Art und Weise der Befragung macht den Eindruck, dass dabei im Vornherein auf ein Ergebnis abgezielt wurde, das den Auftraggebern und damit dem Ja-Lager in den Kram passt. Denn wie gefragt wird und in welcher Reihenfolge, ist einigermassen entscheidend dafür, was am Ende bei einer Umfrage herauskommt.

Bereits die erste Frage der Demoscope-Umfrage bereitet den Boden vor: «Die Menschen in der Schweiz werden immer älter. Ein wichtiger Pfeiler der Altersvorsorge ist die AHV. Wie gross ist Ihres Erachtens die Herausforderung für die AHV angesichts der Tatsache, dass das Lebensalter steigt?» Dass die demografischen Herausforderungen zur Bewahrung der Sozialwerke gross sind, daran dürften wohl tatsächlich die wenigsten zweifeln.

Auch die folgenden Fragen weisen zumindest Schlagseite auf: «Wie gross ist Ihr Vertrauen, dass Sie persönlich einmal eine befriedigende AHV-Rente bekommen werden?» Oder: «Wie gross ist Ihr Vertrauen, dass die AHV-Rente nicht plötzlich aufgrund einer finanziellen Schieflage gekürzt wird?» Es folgt die Frage, ob ein tieferes Rentenalter für Frauen noch zeitgemäss sei. Erst dann wird der entscheidende Punkt angesteuert und gefragt, ob man die «AHV 2021» annehmen würde.

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Meilenweit vom prognostizierten Debakel entfernt

Michael Buess, geschäftsleitender Partner bei Demoscope, sagt auf Anfrage, dass «Erhebungsmethodik, der Aufbau und die Formulierung einer Umfrage» einen Einfluss auf das Ergebnis einer Umfrage hätten. «Wir haben unsere Umfrage nach den gültigen Standesregeln unseres Verbandes durchgeführt. Auch unser Sample, also die Anzahl Personen, die befragt wurde, ist ausreichend gross», so Buess. Dass eine Mehrheit der SP-Sympathisanten in der Umfrage die Vorlage zum aktuellen Zeitpunkt befürworte, sei tatsächlich «bemerkenswert».

«Bemerkenswert» ist eine Untertreibung. Wenn die Basis der SP der Parteileitung im absoluten Kerndossier die Gefolgschaft aufkündigt, ist das eine Sensation. Nur bröckelt die von Demoscope ermittelte Mehrheit, wenn anders gefragt wird. Das zeigt eine andere Umfrage zum selben Thema.

Als Vorbereitung auf den Abstimmungskampf hatte auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) bei der Forschungsstelle Sotomo von Politgeograf Michael Hermann eine Umfrage in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse liegen SonntagsBlick vor. Sotomo und der SGB betonen beide, dass die Ergebnisse nicht zur Veröffentlichung bestimmt gewesen seien. Vielmehr sei es darum gegangen, die Argumente von Befürwortern und Gegnern zu testen. Sotomo konfrontierte die Befragten dabei mit jeweils zehn Argumenten aus dem Ja- und zehn Argumenten aus dem Nein-Lager und fragte dann erneut, wie sie abstimmen würden.

Am Ende zeigt sich, anders als bei der Umfrage der Befürworter, ein offener Ausgang: 48 Prozent lehnen die Reform ab, 45 stimmen zu, sieben Prozent legen sich nicht fest. Für die Linke wohl noch wichtiger: Eine Mehrheit von 63 Prozent der befragten SP-Sympathisanten sagen Nein zur «AHV 21». Kein Grund für die Partei, in Jubel auszubrechen – aber dieses Ergebnis liegt meilenweit entfernt vom Debakel, das Demoscope der SP-Spitze prognostiziert.

Angekündigte Millionen-Kampagne

Michael Hermann will die beiden Umfragen nicht miteinander vergleichen. Allgemein hält er fest: «Es gibt verschiedene Typen von Umfragen. Zum Beispiel solche, mit denen ein Thema besetzt werden soll, was auch nicht weiter problematisch ist. Und dann gibt es Umfragen, bei denen von Anfang an ein bestimmtes Ergebnis erzielt werden soll, um damit die Diskussion über ein Thema zu beeinflussen.»

Umso kämpferischer tönt es aus dem Referendumskomitee. Urban Hodel, Co-Leiter Kommunikation beim Gewerkschaftsbund, sagt: «Wir haben diese Umfrage nicht gemacht, um sie dann medial ausschlachten zu können.» Der SGB wollte die wichtigsten Argumente beider Lager ausprobieren. Nur das liefere ein seriöses Bild der Mehrheitsverhältnisse. Die Umfrage zeige, dass die Argumente das Nein-Lager stärkten. «Trotz knapper Ausgangslage ist daher eine Ablehnung der AHV 21 möglich, wenn es uns gelingt, Frauen und Normalverdiener zu mobilisieren», sagt Hodel. Die angekündigte Millionen-Kampagne der Arbeitgeber und Banken werde sehr anspruchsvoll. «Aber wir sind vorbereitet. Sonst hätten wir nicht innert kurzer Zeit dreimal so viele Unterschriften wie nötig für das Referendum gesammelt», so Hodel.

Eine letzte Prognose zum Schluss: Es darf mit weiteren Umfragen gerechnet werden. Solchen und solchen.

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