Bauern, die ihre Kühe länger leben lassen, sollen künftig höhere Direktzahlungen erhalten. Das will Landwirtschaftsminister Guy Parmelin (61). Nicht etwa, weil der ehemalige Weinbauer plötzlich ein Herz für alte Kühe hätte. Sondern weil es dem Klima zugutekommt, wenn Dora und Flor länger leben, statt durch Jungtiere ersetzt zu werden.
Länger lebende Kühe sind ein Teil der neuen Agrarpolitik, die der Nationalrat übermorgen Dienstag behandelt. Geht es nach SVP-Bundesrat Parmelin, soll die Landwirtschaft ökologischer und klimafreundlicher werden.
Denn ohne den Einbezug der Bauern lässt sich das Ziel von netto null CO2-Emissionen bis 2050 kaum erreichen. Heute ist die Landwirtschaft für 14 Prozent aller inländischen Emissionen verantwortlich.
Allerdings drohen die Bürgerlichen dem Bundesrat einen Strich durch die Rechnung zu machen. SVP, FDP und Die Mitte wollen – unter Anleitung des Bauernverbands – das Geschäft gar nicht erst behandeln. Stattdessen möchten sie die Agrarpolitik sistieren, also auf Eis legen, und vom Bundesrat neue Grundlagen anfordern. Die Neuausrichtung der Landwirtschaftspolitik würde damit um mehrere Jahre verzögert.
Unmut bei den Grünen
Bei den Grünen ist der Ärger über dieses Manöver gross. «Die Sistierung ist umweltpolitisch verheerend», sagt der Berner Nationalrat und Biobauer Kilian Baumann (40). «Sie würde dazu führen, dass die Klimaziele des Bundesrats nicht erreicht werden können.» Schon mit den vorgesehenen Massnahmen würden die Klimaziele nur «teilweise» erfüllt.
Die Absicht des Bauernverbands ist für Kilian Baumann nur allzu offensichtlich: «Die Verbandsfunktionäre haben keinerlei Interesse an einer ökologischeren Landwirtschaft.» Stattdessen wollten sie jegliche Reform verhindern oder zumindest hinauszögern. Damit nicht genug: Der Bauernverband versenke gerade sämtliche Massnahmen, die noch zur Treibhausgasreduktion beitragen könnten, kritisiert Baumann. So setzt sich der Verband gegen das Schleppschlauchobligatorium für die Gülle-Ausbringung ein – gemäss Kilian Baumann die «wirksamste Massnahme, die wir in der Tierproduktion noch haben, um Methanemissionen zu reduzieren». Zugleich sollen Landwirte künftig ein Maximum an Dünger einsetzen können, «ungeachtet der klimaschädlichen Auswirkungen eines solchen Schrittes».
Tatsächlich handelt es sich laut einem bundesrätlichen Bericht beim Schleppschlauchobligatorium und der Begrenzung der Düngermenge um jene Massnahmen der Agrarpolitik, die aus umwelt- und klimapolitischer Sicht mit am effizientesten wären.
Dennoch dürfte sich am Dienstag eine bürgerliche Mehrheit dafür aussprechen, die Reform auf die lange Bank zu schieben. Während Die Mitte und SVP die Parolen des Bauernverbandes zumeist eins zu eins übernehmen, kommt der Support der FDP eher überraschend. Zumal die Freisinnigen in ihrer Vernehmlassungsantwort im März 2019 Parmelins Paket noch unterstützt hatten – und die Partei im selben Jahr bekannt gab, sich künftig für eine ökologischere Politik einzusetzen.
FDP-Fraktionschef Beat Walti (52, ZH) sieht darin keinen Widerspruch. Er verweist darauf, dass das Parlament in einem separaten Vorstoss «wichtige Elemente» aus der Reform übernommen habe. Damit soll der Einsatz von gefährlichen Pestiziden reduziert und die umweltschädlichen Effekte von zu viel Gülle und Dünger eingeschränkt werden.
Vorstoss ohne konkrete Ziele
Im Unterschied zur bundesrätlichen Reform sieht besagter Vorstoss allerdings ausdrücklich davon ab, konkrete Reduktionsziele zu benennen. Stattdessen heisst es lediglich, man strebe bis 2030 eine «angemessene» Reduktion an. Kommt hinzu, dass diese Minirevision einen Bruchteil der Massnahmen der gesamten Agrarreform enthält. FDP-Fraktionschef Walti spricht dennoch von einem Erfolg. «Es geht darum, den Bogen nicht zu überspannen. Im Ständerat wurde der Einschluss der Düngerproblematik nur sehr knapp angenommen.»
Allerdings: Die knappe Annahme des Vorstosses geht nicht zuletzt auf die FDP-Vertreter selbst zurück. Ebenso wie die Blockade der Agrarpolitik an sich. Grund dafür ist ein im letzten Sommer geschlossener Deal zwischen dem freisinnigen Ständerat Ruedi Noser (59) und Bauernverbandspräsident Markus Ritter (53). Die beiden waren übereingekommen, dass die FDP die Reform ablehnt – sofern im Gegenzug die Bauern die Konzernverantwortungs-Initiative bekämpfen und ihren Widerstand gegen die Industriezölle aufgeben.
Zurück in den Nationalrat: Beat Walti verhehlt nicht, dass er sich von der Sistierung eine neue Agrarpolitik erhofft, die freisinnige Anliegen vermehrt berücksichtigt – dazu gehören namentlich bessere Voraussetzungen für den Freihandel. Ist er bereit, dafür bei den Klimazielen Abstriche hinzunehmen? «Wenn es gelingt, mit einer künftigen Reform nachhaltigere Strukturen zu schaffen, kann man solche Effekte wieder aufholen», meint der freisinnige Fraktionschef. Zudem würde ein solches Paket auch ökologische Aspekte wie die sogenannte Kreislaufwirtschaft beinhalten.
Der Bauernverband ist übrigens der Meinung, die Klimaziele würden auch mit einer Sistierung der Agrarreform noch erreicht. «Matchentscheidend sind Faktoren, die ausserhalb der Agrarpolitik laufen, wie zusätzliche Biogasanlagen oder Anpassungen bei der Tierfütterung», schreibt Sprecherin Sandra Helfenstein. Und: Massnahmen wie ein Schleppschlauchobligatorium oder höhere Dünger-Höchstmengen hätten «eher eine kleine Wirkung».
Angesichts des bürgerlichen Widerstands gegen die Ökoreform mutet ein kürzlich veröffentlichter Bericht des – bürgerlichen – Ständerats geradezu ironisch an. Darin kommt eine Subkommission zum Schluss, dass es um die Biodiversität in der Schweiz ziemlich schlecht bestellt ist. Zusätzliche Massnahmen seien deshalb «unabdingbar». Das Instrument hierzu laut Subkommission? Die Agrarreform des Bundesrats. Jenes Paket, das SVP, FDP und Die Mitte voraussichtlich versenken werden.