SonntagsBlick: Frau Bielicki, dürfen verschnupfte Kinder noch in die Schule?
Julia Bielicki: Kinder, die nur sehr leichte Symptome haben und nicht wirklich krank sind, können die Schule auch weiterhin besuchen. Das ist eigentlich nicht anders als vor der Corona-Pandemie.
Dann können sich Eltern also auf ihre Erfahrung verlassen – und müssen auch nicht bei jeder tropfenden Nase mit den Kindern zum Arzt?
Ja, bei leichten Symptomen ist das absolut der Fall. Kinder mit Schnupfen müssen nach den geltenden Empfehlungen übrigens auch nicht getestet werden. Sind die Eltern trotzdem unsicher, können sie Kontakt aufnehmen mit ihrem Kinderarzt oder einer der Hotlines der Gesundheitsbehörden. Da kann eine Fachperson mit ihnen die Notwendigkeit eines Tests besprechen und im Einzelfall beurteilen.
Kinder unter zwölf Jahren müssen laut BAG nicht in allen Fällen getestet werden. Entscheiden sollen die Ärzte. Das sorgt für Verwirrung.
Ich verstehe, dass diese Ausnahme nicht ganz einfach nachzuvollziehen ist. Aber für diese Entscheidungen dürfen wir als Ärztinnen ruhig in die Verantwortung genommen werden.
Die Unsicherheit ist aber gross bei Eltern und Lehrpersonen.
Ich bin selbst Mami und verstehe das. Aber: Lehrer sind Lehrer, Eltern sind Eltern und Ärzte sind Ärzte. Es ist ganz wichtig, diese Trennung zu machen, das würde alle Gruppen entlasten. Entscheidungen ärztlicher Natur müssen bei den Ärzten bleiben. Wenn wir es schaffen, diese Trennung zu machen, dann beruhigen sich die Gemüter rasch, selbst wenn es mehr Kinder mit Symptomen gibt.
Ab wann muss man ganz sicher einen Test machen lassen?
Leider ist das nicht so einfach, wie wir es alle gerne hätten. Man kann nicht sagen, dass ein Kind, das hustet, automatisch getestet werden muss. Aber wenn ein Kind starken Husten oder Fieber hat, sollten sich die Eltern bei ihrem Kinderarzt melden – wie sie das ja auch schon vor Corona gemacht hätten. In dem Rahmen kann man dann entscheiden, ob das Kind einen Test braucht oder nicht – und welche Massnahmen sonst nötig sind.
Wie entscheiden Sie, ob ein Kind einen Test machen muss?
Nebst den Symptomen sind vor allem gezielte Fragen wichtig. Zum Beispiel, ob es im häuslichen Umfeld des Kindes, bei seinen Betreuungspersonen oder in der Schule positive Fälle gegeben hat. Oder ob ein Kind sich kürzlich in einem Risikogebiet aufgehalten hat. Kann man diese Fragen mit Ja beantworten, empfehlen wir zu testen.
Werden bei Ihnen am Spital seit den Sommerferien mehr Kinder getestet als zuvor?
Wir haben seit Ende der Sommerferien – also innerhalb eines Monats – etwa 1400 Tests gemacht. Vor den Sommerferien waren es rund 900 pro Monat. Die meisten Tests haben wir bisher aber im Mai und Juni gemacht, nachdem die Schulen öffneten.
Wie viele der 1400 Tests seit Ende der Sommerferien waren tatsächlich positiv?
Nur 19. Das ist im Vergleich zu den Positiv-Raten bei den Erwachsenen ein sehr tiefer Schnitt.
Der Corona-Test ist schon für Erwachsene unangenehm. Löst man damit bei den Kindern nicht unnötigen Stress aus?
Nicht, wenn der Test notwendig ist. Lassen Eltern ihr Kind hingegen aus Angst testen, auch wenn dieses gar keine Symptome hat oder weil sie für eine Reise einen negativen Befund brauchen, dann ist das tatsächlich unnötiger Stress, den man dem Kind ersparen könnte.
Gut möglich, dass in den kommenden Monaten viele Schüler zu Hause sitzen weil sie Symptome haben. Ab welchem Zeitpunkt würden Sie es bevorzugen, dass die Schulen wieder schliessen?
Diese Entscheidungen werden nicht aus einem Spital heraus getroffen. Nur so viel: Wir sehen jedes Jahr Grippewellen in den Schulen, und diese führen ja auch nicht zu einem Kollaps des Schulsystems.
Stichwort Grippewelle: Das BAG möchte eine Grippeimpfung auch für Kinder. Unterstützen Sie das?
Das ist nicht neu. Man empfiehlt schon länger, die Grippeimpfung grosszügig umzusetzen – auch bei jüngeren Kindern. Damit wäre viel gewonnen, denn Kinder spielen bei der Übertragung und Ausbreitung der Grippe eine grosse Rolle. Besonders wichtig wäre eine Impfung bei Kindern, deren Betreuungspersonen – Grosseltern zum Beispiel – eine höhere Gefahr für schwere Verläufe bei einer Grippe haben.