Es ist kein Scherz: Am 1. April verstummen nachts alle 43 reformierten Kirchen der Stadt Zürich. Wer dann um Mitternacht durch die Strassen läuft, dem läutet keine Glocke die Geisterstunde ein – es bleibt gespenstisch still.
«Der nächtliche Zeitschlag wird zwischen 22 Uhr und 7 Uhr eingestellt», heisst es in der neuen Läutordnung der Evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Zürich, die seit diesem Jahr in Kraft ist. Annelies Hegnauer von der Kirchenpflege sagt: «Wir wollen damit einen Beitrag zur Reduktion der nächtlichen Lärmbelastung in der Stadt Zürich leisten.»
Kirchenglockengeläut – für manche ist das Klangmalerei, für andere Krachmacherei. Seit Jahren tobt deswegen in der Schweiz ein Kulturkampf. Doch jetzt intensiviert er sich, weil Behörden im Vollzugsdruck der eidgenössischen Lärmschutzverordnung alle Geräuschkulissen eindämmen wollen. So überwies der Basler Grosse Rat erst kürzlich die Petition «#GlockenNachtruhe – für einen ruhigen Schlaf in Basel» an den Regierungsrat.
Verein wehrt sich fürs Basler Münster
«Die Regierung ist hier in einem Zielkonflikt», sagt Matthias Zehnder, Beauftragter für Information und Medien der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt. «Denn sie weiss, dass der Glockenschlag nicht nur Feinde, sondern auch Freunde hat.» Gemäss seinen Erfahrungen seien die Lager etwa gleich gross.
Eben hat sich der Verein pro Münsterplatz zu Wort gemeldet, der den nächtlichen Glockenschlag des Basler Münsters beibehalten möchte. Die Anwohner beschreiben das Glockengeläut als ein tröstliches und stimmungsvolles Kulturgut.
Ein Kulturgut, das stetig rarer wird, denn immer mehr Kirchgemeinden verzichten freiwillig auf die akustische Zeitangabe in der Nacht. Zum Beispiel die Friedenskirche in Olten SO oder fast sämtliche katholischen Gotteshäuser in Luzern. Nur St. Paul, Hof- und Franziskanerkirche geben dort noch den Nachttakt an – die ersten beiden nur stündlich.
Auch die meisten katholischen Kirchen in Zürich pflegen die Nachtruhe. Jenen Pfarreien, die das noch nicht machen, empfahl das städtische Dekanat im November letzten Jahres, den Stundenschlag nachts generell abzustellen und somit dem Beispiel der reformierten Kirche zu folgen.
Bundesgericht billigt nächtlichen Glockenschlag
«Der Stundenschlag hat eh nichts mit Religion zu tun», sagt Simon Spengler, Bereichsleiter Kommunikation der katholischen Kirche Zürich. «Er ist ein alter Brauch, der zu früheren Zeiten eine echte Dienstleistung für die Bevölkerung war.» Heute sei der Stundenschlag primär Pflege einer Tradition. Allerdings einer jahrhundertealten, die 1344 in Italien begann.
Während das liturgische Glockenläuten vor und nach einem Gottesdienst durch die Religionsfreiheit weitgehend geschützt ist, war es der säkulare Stundenschlag in der Nacht, der immer wieder zu Gerichtsverhandlungen führte – bis zur obersten Instanz in Lausanne.
In einem wegweisenden und aufsehenerregenden Urteil vom 13. Dezember 2017 billigte das Bundesgericht den nächtlichen Glockenschlag alle Viertelstunden. Damals klagte ein einzelnes Paar gegen die reformierte Kirche in Wädenswil ZH. Doch die Richter hielten fest, dass «die auftretende Lärmbelastung nicht als erhebliche Störung zu qualifizieren» sei.
Trotz dieses Urteil und der Tatsache, dass es in den angefragten Kirchgemeinden kaum Reklamation wegen des nächtlichen Stundenschlags gibt, nehmen sie sich ein Stück weit aus dem öffentlichen Leben zurück. Stellt sich die ketzerische Frage, wozu es Kirchengebäude noch braucht: «Nicht zum Lärmen», sagt Spengler, «sondern um Orte der Ruhe zu bieten.»