Insel-Präsident Bernhard Pulver (56) zum Fall Urwyler
«Wir sollten alle endlich einen Schlussstrich ziehen»

Bernhard Pulver ist Präsident der Insel Gruppe. Im Interview spricht der Grünen-Politiker über die Konsequenzen aus dem Streit mit Natalie Urwyler, die Gleichstellungsstrategie des Berner Spitals und Reputationsschäden.
Publiziert: 30.08.2021 um 00:25 Uhr
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Aktualisiert: 30.08.2021 um 07:31 Uhr
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Die Ärztin Natalie Urwyler wurde vom Berner Inselspital «rachegekündigt», wie ein Gericht festgestellt hat. Nun fordert sie von ihrem ehemaligen Arbeitgeber rund fünf Millionen Franken.
Foto: Isabelle Favre
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Charlotte Theile

Gleichstellung sei «zentrales Thema» für die Insel-Gruppe, sagen Sie. Was heisst das konkret?
Gleichstellung ist für uns im Grundsatz ein Anliegen. Die Realität ist aber auch, dass die Mehrheit der Absolventinnen des Medizinstudiums Frauen sind. Auch das Pflegepersonal ist grösstenteils weiblich. Wenn wir gute Qualität wollen, brauchen wir gutes, motiviertes Fachpersonal. Da ist das Thema Gleichstellung im umfassenden Sinne für uns strategisch zentral.

Und das heisst? Gerade Schwangerschaften bedeuten oft einen Karriereknick.
Eine wichtige Grösse ist der Anteil der verschiedenen Geschlechter im Kader. Wir sind da nicht schlecht unterwegs. Wichtig ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Neu haben Väter einen Anspruch auf unbezahlten Urlaub. Und der Kindernotfall wird in einem Jop-Sharing-Modell von zwei Co-Chefärztinnen geführt. Schwangerschaft ist aber nach wie vor eine Herausforderung in der Karriereentwicklung. Man kann nicht einfach nur formell sagen, das darf kein Nachteil sein. Es braucht ein Umdenken und die Schulung unserer Kaderleute. Und es braucht eine elternfreundliche Infrastruktur. Da habe ich im Gespräch mit Mitarbeiterinnen festgestellt, dass das noch ungenügend ist.

Natalie Urwyler hat sich ebenfalls für Mutterschutz eingesetzt. Während ihre aufsichtsrechtliche Beschwerde lief, wurde ihr gekündigt.
Der Fall Urwyler ist eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung, in einem zerrütteten Vertrauensverhältnis zwischen ihrem Vorgesetzten und ihr. Zum Teil steht auch Aussage gegen Aussage.

Es gibt aber ein Urteil von 2018, das eine Rachekündigung feststellt.
Das Urteil sagt nicht, dass die Kündigung diskriminierend gewesen sei oder dass sie aus Rache gekündigt wurde, weil sie sich für Gleichstellung einsetzte, sondern dass wir nicht darauf geachtet haben, dass es in einer Phase, wo jemand Beschwerde eingelegt hat, einen absoluten Kündigungsschutz gibt. Wir haben also während einer Sperrfrist gekündigt.

Es hat aber trotzdem einen grossen Reputationsschaden verursacht.
Der Reputationsschaden ist da. Das ist halt auch ein wenig ein Kampf David gegen Goliath. Da sind die Sympathien immer verteilt. Und das Thema ist ja auch ein wichtiges Thema und bei uns deshalb seit Jahren auf oberster Führungsstufe angesiedelt.

Aktuell laufen zwei Verfahren. Zum einen die Klage auf fünf Millionen wegen dem Zerstören der Karriere. Zum Anderen das Verfahren zum «Poolgeld» – ein Bonussystem, bei dem Gelder vom Chefarzt nach Gutdünken auf die Belegschaft verteilt werden. Können Sie dazu etwas sagen?
Die erste Frage ist ja, ob man ein Anrecht hat auf eine Karriere. Da muss das Gericht nun darüber entscheiden, ob man in Zukunft sagen kann: Es gibt einen normalen Karriereverlauf, mit dem man hätte rechnen dürfen und den man einklagen kann, wenn etwas schief gelaufen ist. Das wird eine interessante Rechtsfrage sein. Wir sind der Meinung, dass das nicht möglich ist. Beim Poolgeld sind wir der Meinung, dass es keine Diskriminierung gegeben hat. Aber wir werden, völlig unabhängig vom Verfahren, dieses System von 2022 an durch ein neues Kadervergütungsmodell ersetzen.

Im Laufe unserer Recherche hörten wir, das Inselspital habe bei anderen Spitälern aktiv vor Frau Urwyler gewarnt.
Dass jemand von uns aktiv lobbyiert hätte, wäre mir neu. Wir haben immer versucht, schmutzige Wäsche nicht öffentlich zu waschen und Persönlichkeitsrechte zu wahren.

Einige haben das Gefühl, Sexismus und Gleichstellung seien heutzutage keine Themen mehr.
Vor 40, 50 Jahren waren Ärzte Götter in Weiss und das waren ausschliesslich Männer. Es findet jetzt zwar ein enormer Kulturwandel statt, auch mit der «Me too»-Debatte, die sehr viel bewegt hat. Aber wir sind noch nicht dort, wo wir sein wollen. Es wäre auch im Jahr 2021 die grösste Diskriminierung, zu sagen, es gibt keine Diskriminierung mehr.

Hat der Fall Urwyler der Insel nicht doch einen Schub gegeben, dass Sie so entschieden in diesen Wandel einsteigen?
Ich persönlich engagiere mich seit vielen Jahren für Diversity und Gleichstellung. Aber ich will nicht in Abrede stellen, dass dieser Fall etwas ausgelöst hat. Und ich will auch nicht bestreiten, dass es in diesem Konflikt auch um ein Frauen/Männer-Thema gegangen ist. Diese Klage alleine war aber sicher nicht der Grund, dass die Insel-Gruppe nun eine so umfassende Gleichstellungsstrategie entwickelt.

Wie schauen Sie dem Prozess jetzt am 31. August entgegen?
Mit gemischten Gefühlen. Wir sollten alle endlich einen Schlussstrich unter diesen arbeitsrechtlichen Prozess ziehen können und uns mit neuer Kraft dem eigentlichen Thema Gleichstellung widmen können.

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