Eigentlich könnte alles gut sein an diesem sonnigen Donnerstag in Basel. Anouchka Gwen (25) sitzt in einem ihrer liebsten Restaurants nahe des Rheins, schiebt mit einem Löffel die Eiswürfel im Hafermilchkaffee hin und her und spricht über ihre Musik. Die junge Singer-Songwriterin hat gerade ihr erstes Album veröffentlicht. Und doch bricht ihre sonst so kraftvolle Stimme, wenn sie von ihren Konzerten erzählt. Denn dann sieht sie ihr Mami vor sich, immer ganz vorne an der Bühne stehend, die Kamera in der Hand, Stolz im Gesicht. Der Haken: Geht es nach den Behörden, gehören solche Momente bald der Vergangenheit an. Mudza E.* (55) soll ausgeschafft werden – nach 26 Jahren in der Schweiz.
Grund dafür: Die alleinerziehende Mutter von zwei Töchtern – Anouchka Gwen hat noch eine zwei Jahre jüngere Schwester – hat Schulden und bezieht seit der Trennung von ihrem Mann 2015 Sozialhilfe. In der Wegweisungsverfügung, die SonntagsBlick vorliegt, schreibt das Amt für Migration und Bürgerrecht Basel-Landschaft die Integration von Mudza E. könne aufgrund dessen nicht als gelungen erachtet werden. Zudem habe sich die Betroffene trotz Verwarnungen nicht genug bemüht, mehr zu arbeiten.
«Armut ist kein Verbrechen»
Mudza E. arbeitete in den letzten Jahren mit Unterbrüchen Teilzeit als Putzfachkraft. Ihr Mami habe nie nicht arbeiten wollen, sagt Gwen. Doch die Arbeitssuche sei schwierig, gerade bei unsicherem Aufenthaltsstatus. Mehrere Asylanträge sowie Gesuche um Bleiberecht von Mudza E., die in den 90er-Jahren aus dem damaligen Zaire (heute Demokratische Republik Kongo) in die Schweiz geflüchtet war, wurden abgelehnt, unter anderem wegen fehlender finanzieller Mittel und Schulden. «Es geht immer ums Geld», sagt Gwen. 2011 erhalten Mutter und Töchter dann eine Aufenthaltsbewilligung B. Diese kann gemäss Ausländer- und Integrationsgesetz aber widerrufen werden, wenn eine Person Sozialhilfe bezieht – wie es bei Mudza E. der Fall ist. Für Gwen ist klar: Ihre Mutter, die in der Schweiz zu Hause sowie gut integriert sei und hier ein aktives Leben führe, werde aufgrund ihrer prekären Situation kriminalisiert und entwurzelt.
«Es ist ja nicht so, dass mein Mami etwas Schlimmes gemacht hat. Armut ist kein Verbrechen. Eine Familie sollte deswegen nicht auseinandergerissen werden.» Weil Gwen und ihre Schwester volljährig sind, erachten die Behörden eine Ausschaffung der Mutter als vertretbar. Ausserdem könne sie auch von der Demokratischen Republik Kongo aus via Telefon Anweisungen, Halt und Orientierung geben, schreibt das Amt für Migration. «Ich weiss nicht, wie sie sich das vorstellen», sagt Gwen. «Egal, wie alt man ist, es ist schrecklich, wenn einem die Mutter weggenommen wird. Unser Mami ist eine grosse Stütze für uns. Die Vorstellung, dass sie plötzlich nicht mehr hier wäre, tut unglaublich weh.»
Das Bundesgericht entscheidet
Ende März hat Gwen sich nun mit der Geschichte ihrer Familie an die Öffentlichkeit gewandt. In einem Video auf Social Media bittet sie darum, die Ausschaffung ihrer Mutter zu verhindern. Sie hat auch eine Petition lanciert und plant eine Demo. Das Video hat bereits über 30'000 Views, Tausende haben die Petition unterschrieben. Eigentlich, sagt Gwen, möchte sie nicht kämpfen, sich nicht stark geben müssen. Aber sie sehe es als ihre Aufgabe an. Und die Solidarität gebe ihr Kraft.
Aufgeben will auch ihre Mutter nicht. Mudza E. hat Einsprache gegen die Wegweisung erhoben. Zwei Instanzen haben diese bereits abgelehnt – jetzt muss das Bundesgericht entscheiden, ob sie ausgeschafft wird. «Ich klammere mich an die Hoffnung, dass es nicht so weit kommt», sagt ihre Erstgeborene, bevor sie einen letzten Schluck Eiskaffee trinkt und sich für SonntagsBlick fotografieren lässt, um der Geschichte ihrer Familie erneut ein Gesicht zu geben.
* Name bekannt.