Zwei Familien in der Schweiz. Zwei Familien, die nicht von hier sind. Beide sind vor bewaffneten Konflikten geflüchtet. Und doch sind ihre Erfahrungen mit dem Gastland Schweiz sehr unterschiedlich. Das zeigte sich, als Blick TV die beiden zum Gespräch traf.
«Als wir in Bern ausgestiegen sind, sind Franziska und Bruce auf uns zugerannt, haben unsere Taschen genommen und gesagt: ‹Ab jetzt seid ihr unsere Familie›», erzählt Olga Natalukha (45). «Das war sehr berührend.»
Tagelang gingen Bomben nieder
Natalukha ist mit ihren Töchtern Sonya (18) und Christina (16) vor einer Woche in der Schweiz angekommen. Sie sind aus Sumy geflüchtet, einer Stadt nahe der russischen Grenze, nordwestlich vom ukrainischen Charkiw. Tagelang gingen Bomben und Raketen auf Sumy nieder, die drei lebten mit Nachbarn in einem Keller, hofften jeden Tag auf einen humanitären Korridor. Tag um Tag umsonst. Weshalb sie sich entschlossen, das Risiko einzugehen und zu fliehen.
Nach einer langen, gefährlichen und anstrengenden Reise leben sie jetzt bei Franziska und Bruce Campell in Riggisberg BE. «Wir sind ihnen unendlich dankbar», sagt Natalukha. Sie hat die Unterlagen für den Schutzstatus S eingereicht. Sobald sie den haben, kann sie eine Arbeit suchen und können ihre Töchter in die Schule gehen. «Wir warten darauf und sind sehr dankbar für solche Möglichkeiten.»
«Spüren von der Schweiz keine Solidarität»
In einer Gastfamilie leben auch Bereket Andom (34), seine Frau Aster Tekle (34) und ihre beiden Kinder Rodas (6) und Rai (3). Von Arbeit und Schulbesuch können sie nur träumen. Das, obwohl sie bereits mehr als sieben Jahre in der Schweiz leben. «Wir sind dankbar für die Solidarität unserer Gastfamilie», sagt Andom. «Von der Schweiz spüren wir sie nicht.»
Die Familie stammt aus der eritreischen Stadt Keren. 2015 flüchteten Andom und Tekle über den Sudan nach Libyen. Für Andom die einzige Möglichkeit, dem Militärdienst zu entkommen, der jahre- oder jahrzehntelang dauern kann und einer Leibeigenschaft durch den Staat gleichkommt. In Libyen bestiegen sie mit weiteren 900 Migranten ein Boot Richtung Italien, von dort ging es mit dem Zug in die Schweiz.
Doch Asyl gibt es für sie hier nicht – wie für die meisten Eritreer. Geht es nach dem Bund, sollen sie zurück nach Eritrea. «Doch so einfach ist das nicht», sagt der Riggisberger Pfarrer Daniel Winkler (55), der die Familie betreut. «Auch wenn unsere Behörden das gebetsmühlenartig wiederholen.» Das Regime in Eritrea sei sehr repressiv. Andom droht als Deserteur Gefängnis, im besten Fall würde er einfach wieder ins Militär eingezogen, seine Familie wäre auf sich gestellt. «Wir können einfach nicht zurück», sagt er. Seit einem Jahr lebt die Familie nun mit Nothilfe.
«Würde gerne anderen Flüchtlingen helfen»
Wie anders die Erfahrungen, die Natalukha gemacht hat. Die Grenzwächter seien sehr freundlich gewesen: «Sie haben uns gefragt, ob wir aus der Ukraine seien, haben unsere Pässe angeschaut und haben uns Flyer mit Hilfsinformationen verteilt.» Auch sonst gefalle es ihr in der Schweiz. Aber natürlich vermissen die drei die Heimat. «Wir haben die Ukraine nicht freiwillig verlassen, die Bomben und Raketen haben uns weggetrieben.»
Wenn der Krieg vorbei ist, wollen sie zurückkehren. Bis dahin aber will sie sich hier nützlich machen. «Ich würde gern anderen Flüchtlingen helfen, eventuell als Freiwillige. Wenn man selbst so einen schwierigen Weg durchgemacht hat, ist man bereit, anderen zu helfen.»
Auch Andom und Tekle möchten gern arbeiten – und sei es nur in einem Praktikum. «Wir wollen selbständig sein und uns nützlich machen», sagt Andom. Doch ohne Papiere ist das nicht möglich. «Keine Papiere, keine Schule, keine Arbeit», sagt Tekle. Ihr Mann hat jedes Mal Angst vor einer Polizeikontrolle, wenn er in die Migros geht. Pfarrer Winkler vergleicht ihre Situation mit einem Auto ohne Nummernschild. Andom sagt: «Es fühlt sich an, als wären wir in einem Gefängnis.» Wirklich ankommen wird die Familie hier nie, auch wenn die beiden Kinder hier geboren sind. Das Nothilferegime ist darauf ausgelegt, die Leute zur Ausreise zu bewegen, sie zu «vergrämen und auszuhungern», wie Pfarrer Winkler sagt.
Das betrübt auch Olga Natalukha und ihre Töchter. Sie wünschen der eritreischen Familie, dass diese sich hier in der Schweiz eine Zukunft aufbauen kann.