Herzklinik-Affäre am Unispital Zürich
Jetzt schaltet sich Starchirurg Thierry Carrel ein

Der ehemalige Klinikdirektor sagt, unter seinem Vorgänger in Zürich seien Patienten gestorben, die an einem anderen Unispital den gleichen Eingriff wohl überlebt hätten.
Publiziert: 04.08.2024 um 10:05 Uhr
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Aktualisiert: 04.08.2024 um 11:28 Uhr
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Thierry Carrel leitete zwei Jahre lang als Co-Direktor die Zürcher Unispital-Herzchirurgie.
Foto: Keystone
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Andreas SchmidInlandredaktor

Die Aussagen des wohl bekanntesten Schweizer Arztes Thierry Carrel (64) bergen Zündstoff. Erstmals äussert er sich zu den Zuständen, die er als Co-Direktor der Klinik für Herzchirurgie am Universitätsspital Zürich (USZ) antraf. Angesprochen auf Fehlbehandlungen, die unter seinem Vorgänger Francesco Maisano zu Todesfällen und Patientenschädigungen geführt haben sollen und die vor vier Jahren durch einen Whistleblower publik gemacht worden sind, hält Carrel fest: «Es ist Tatsache, dass die Sterblichkeit bei Herzoperationen zwischen 2016 und 2020 die zu erwartenden Werte um ein Mehrfaches übertraf.» Das lasse sich sagen, obwohl er die Details zu diesen Eingriffen nicht kenne.

Carrel verweist auf die Daten des Bundesamts für Gesundheit (BAG) aus dieser Zeit. Analysiere man die Qualitätsmerkmale der Schweizer Akutspitäler für die USZ-Herzchirurgie, «handelt es sich vermutlich um 100 bis 200 Patienten, die beim gleichen Eingriff in einem anderen Universitätsspital höchstwahrscheinlich nicht verstorben wären».

Alle Fälle im Fokus

Zu diesem Vorwurf hält USZ-Sprecherin Martina Pletscher fest: «Die im Mai angekündigte unabhängige Taskforce wird alle Fälle in der Klinik für Herzchirurgie aus dieser Zeit untersuchen, bei denen es zu Todesfällen oder Komplikationen kam.» Bei einigen dieser Operationen wurde ein mutmasslich mangelhaftes Implantat eingesetzt, das von Klinikdirektor Maisano mitentwickelt worden war. Die Aufarbeitung der Taskforce betreffe auch diese Eingriffe, sagt Pletscher. Sie betont zudem, gemeldete Fälle seien bereits von einer externen Anwaltskanzlei «unter Beizug medizinischer Experten» untersucht worden. 

Thierry Carrel erachtet die bisherige Aufarbeitung als nicht ausreichend und die Einberufung einer Taskforce als reichlich spät. Die öffentlichen Zahlen des BAG hätten laut Carrel längst alarmieren müssen. Zudem habe es bereits vor Jahren ausführliche Medienberichte darüber gegeben. «Deshalb verstehe ich nicht, dass die Missstände nicht angegangen wurden», sagt Carrel, der die USZ-Herzchirurgie zusammen mit Paul Vogt (67) von 2021 bis 2022 leitete. Zuvor war er über 20 Jahre lang am Inselspital in Bern tätig gewesen und hatte sich auch international als Forscher und Universitätsprofessor einen Namen gemacht.

Die Missstände unter Maisano seien weitreichend gewesen, betont Carrel. Die Operationsresultate seien laut den Zahlen des BAG in mehreren Bereichen «sehr schlecht» gewesen. Für den Erfolg einer Herzoperation seien zahlreiche Faktoren entscheidend, etwa das Behandlungsprozedere, die technische Durchführung oder die Nachbehandlung auf der Intensivstation. 

Strafuntersuchung «logisch»

Nun brauche es jahrelange Arbeit, um das Vertrauen von zuweisenden Stellen und Patienten wiederzugewinnen. Carrel: «Das ist nicht nur von Personen, sondern auch von der Kultur in einer Klinik abhängig.» Dass neben der Taskforce, die das USZ jetzt zur Untersuchung der Fälle eingesetzt hat, aufgrund einer Strafanzeige von Whistleblower André Plass auch ein Strafverfahren anstehen könnte, erachtet Carrel «wegen des vermuteten Ausmasses der Probleme als logisch».

Paul Vogt, der die USZ-Herzchirurgie von 2021 bis 2022 zusammen mit Carrel leitete, hatte schon mehrfach eine Aufarbeitung der früheren Fehlbehandlungen gefordert. Vogt wiederholt jetzt: «Die viel zu hohen Sterberaten aller Herzchirurgie-Patienten müssen untersucht werden.» Der Verwendung der mangelhaften Implantate habe sich die Staatsanwaltschaft anzunehmen, denn es gehe um «mehrfache eventualvorsätzliche Tötung».

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