Auf einen Blick
- Spektakuläre Rodung in Rheinwald für neue Fluss-Aue
- Trotz des massiven Eingriffs unterstützen Bevölkerung und Naturschutzorganisationen das Projekt
- 109'000 Quadratmeter Fichtenwald werden gerodet, etwa 15 Fussballfelder
Es handelt sich um eine der spektakulärsten Rodungen in der Schweiz der vergangenen Jahre. Bei der Gemeinde Rheinwald GR wird auf rund einem Kilometer Länge ein gesunder Fichtenwald gerodet. Auf über 100'000 Quadratmeter werden Bäume gefällt, was das Zeug hält. Tausende von Stämmen stapeln sich über die gesamte Länge der Rodungsfläche. Rund 15 Fussballfelder Wald, überwiegend Fichten, muss Platz machen für eine neue Fluss-Aue. Rund acht Millionen Franken kostet das Projekt.
Das Besondere: Trotz des einschneidenden Eingriffs stehen Bevölkerung, Bund, lokale Politik und selbst Naturschutzorganisationen hinter dem Projekt. Wie kann das sein? Blick begibt sich auf Spurensuche.
Rodung in Hochgeschwindigkeit
Wer angesichts der Dimension dieser Rodung eine Armada an Forstarbeitern erwartet, wird enttäuscht. Vor Ort stehen gerade einmal zwei Männer im Einsatz. Marius Furler (48) ist Revierförster der Gemeinde Rheinwald. Er ist «Vorfäller» und überwacht die Rodung im Auftrag der Gemeinde. Neben ihm ist lediglich noch Jürg Simmen (49), Forstunternehmer der «Rheinwald Holz GmbH», an dieser historischen Rodungsaktion beteiligt. Das Tempo, mit dem hier vorgegangen wird, ist umso beeindruckender. Furler fällt die Bäume mit seiner Motorsäge, Simmen «schält» die gefällten Bäume mit einem sogenannten Vollernter-Aggregat an seinem Bagger innert Sekunden, schneidet sie zu und verteilt sie je nach Grösse auf unterschiedliche Stapel. Für ihn ist die Rodung des Hinterrheinabschnittes ein berufliches Highlight: «Für so eine grosse Rodung müsste man normalerweise nach Kanada.»
Zwei Männer roden die ganze Fläche
Die beiden haben in wenigen Wochen fast zwei Drittel der geplanten Fläche gerodet. Die Arbeiten starteten Mitte August. Ein unheimliches Tempo. Jürg Simmen relativiert: «Normalerweise roden wir an steilen Hängen. Eine weite und ebene Fläche, wie wir sie hier antreffen, ist bei uns eine Seltenheit.» Und sei – wenn man so sagen wolle – ziemlich einfach zu roden.
Der Grund für die Rodung ist ebenso einfach, wie Projektleiter Claudio Caflisch (50) vom Ingenieurbüro Entegra AG erzählt: «Die Kantone haben laut Gewässerschutzgesetz seit 2011 einen gesetzlichen Auftrag, Revitalisierungen vorzunehmen.» Zudem habe sich der Flussabschnitt durch die Kanalisierung über die letzten Jahrzehnte immer tiefer in den Boden gefressen und bedrohe damit auch die Stabilität der darüber liegenden A13.
Ist die Revitalisierung also nur eine versteckte Strassenstabilisierung? «Nein», so die eindeutige Antwort von Gemeindepräsident Christian Simmen (52). «Die Stabilisierung des A13-Trassees ist ein wichtiger Nebenaspekt, aber nicht der Grund.» Es gehe um Hochwasserschutz und die Wiederherstellung des natürlichen Zustands.
Trotz Kahlschlag: Naturschutzorganisationen sehen ökologischen Mehrwert
Blick hat mit mehreren ehemaligen Kritikern des Projektes gesprochen. Ihre anfängliche Skepsis haben alle inzwischen abgelegt. Nicht zuletzt, weil auch die Naturschutzorganisationen Pro Natura und WWF ihren Segen gaben.
Mit der Rodung des gesunden Walds einverstanden ist auch Anita Mazzetta (60), Geschäftsführerin des WWF Graubünden «Der Fichtenwald wurde ursprünglich als Ersatzmassnahme für den Sufner Stausee aufgeforstet.» Man stelle also lediglich den ursprünglichen Zustand wieder her, wie er vor Jahrzehnten war.
«Fehler» der Vergangenheit korrigieren
Vor rund 60 Jahren wurde in Sufers ein Staudamm gebaut. Weil dort Wald verloren ging, wurde bei der Gemeinde Rheinwald aufgeforstet. So entstand der Wald, der aktuell wieder gerodet wird.
Der neu angelegte Flussabschnitt dreimal so breit werden wie die aktuellen 20 Meter. Der WWF sei von Anfang an in die Planungen einbezogen worden. «Die Arbeiten sind eine Naturschutzmassnahme. Statt eines monotonen Fichtenwaldes entsteht eine Auenlandschaft, die noch mehr Lebewesen einen geeigneten Lebensraum bieten soll», erklärt Mazzetta.
Die Schweiz drückt bei Revitalisierungen aufs Gas
Die Revitalisierung in Rheinwald ist national gesehen nur die Spitze des Eisbergs. Die Schweiz drückt bei diesem Thema aufs Gas. Allein zwischen 2011 und 2019 wurden rund 160 Kilometer Gewässer revitalisiert.
Für die Verwendung des geschlagenen Holzes bestehen bereits Pläne, wie Gemeindepräsident Simmen sagt: «Ein beträchtlicher Teil davon, insbesondere die Äste und Wipfel, wird zu Brennholz.» Mit einem anderen Teil, speziell den grossen Stämmen, habe man aber anderes im Sinn: «Wir planen, ein Mehrfamilienhaus mit dem Holz zu bauen.» Der Gemeinderat müsse zwar noch sein Okay geben: «Solch ein Prestigeprojekt wäre aber ein ökologischer Leuchtturm in der Region.»