Auf 1700 Metern ist der Sommer erträglicher: Die Abende sind kühl, die Landschaft betörend. Von St. Moritz aus betrachtet schrumpfen Probleme wie steigende Preise, Krieg und Energieknappheit auf Kleinbürger-Format zusammen.
Für eine Grundzufriedenheit sorgt nur schon der Steuerfuss von 60 Prozent. Möglich wird dieser dank Fiskaleinnahmen von 57 Millionen Franken. Ein guter Teil davon stammt aus dem Handel mit den Villen. Und 45'000 Franken kommen von der Hundetaxe.
Gewitterwolken ziehen auf
Hier ist alles Gold, was glänzt – vieles glänzt in den herausgeputzten Gassen der Bündner Nobeldestination: die Karosserien der Bentleys und Maseratis, die im Winter omnipräsenten Moncler-Jacken, die Gelfrisuren der Immobilienmakler.
Doch es ziehen dunkle Gewitterwolken auf im Paradies.
«Serletta Süd» heisst das Schreckgespenst der Hautevolee: Ein architektonischer Wurf, der künftig die mondäne Kulisse dominieren soll. Vorne am See soll der Kasten stehen. Grösser und gesamthaft höher als das ehrwürdige Badrutt’s Palace Hotel in seiner westlichen Nachbarschaft. Die Botschaft: Hier wird geklotzt, nicht gekleckert. Platz dem Platzhirsch!
Hotel und Luxusklinik in Einem
Ein Hotel und eine Luxusklinik soll das Gebäude dereinst beherbergen, eine «Chance für den Gesundheitstourismus» sehen die Initianten. Dahinter steht ein Liechtensteiner Investor namens Werner Vogt mit seiner Firma Chris Silber St. Moritz AG.
Das Vorhaben hat bis jetzt zwar alle demokratischen Hürden überwunden – 2015 hatte die Bevölkerung das Projekt angenommen, der Regierungsrat in Chur gab seinen Segen, der Richtplan hielt bis vor Bundesgericht stand gegen alle Widersacher. Doch liegt seit Anfang Juli, nach sechsjährigem Tauziehen, nun endlich das Baugesuch vor. Womit der Blutdruck in der prominenten und begüterten Nachbarschaft wieder gefährlich in die Höhe steigt.
Wird der Ort zum Alpen-Dubai?
Das Modell des Churer Architekturbüros Bearth & Deplazes zeigt einen Bau von markanten Ausmassen. Die Fassade aus Stein, mit Gold und Keramik und geschwungenen Fensterbögen, erinnert an orientalische Ornamentik.
Wird St. Moritz zum Alpen-Dubai? fragen sich die tief besorgten Happy Few.
Einige von ihnen finden, dass es eigentlich eine neue Abstimmung brauche, weil jene vor sieben Jahren unter anderen Voraussetzungen stattgefunden habe.
Verschiedene Gegner
Zu den vordersten Gegnern von «Serletta Süd» gehören die Betreiber der beiden Luxushotels Palace und Kulm. Die Tourismus-Unternehmen besitzen Landreserven am Hang und fürchten, diese künftig nicht mehr wirtschaftlich nutzen zu können.
Überdies wird den Bewohnern der unteren Stockwerke des Kulm – dort begründete Johannes Badrutt 1864 den Wintertourismus – die Sicht auf den See verbaut. Die zwei Häuser hatten bislang vergeblich versucht, den Neuling zu stoppen. Manch einer aus diesen Reihen schnödet: Braucht ein Ferienort, der ohnehin schon gegen kalte Betten zu kämpfen hat, wirklich eine weitere Megaherberge?
Befürworter wollen Anschluss nicht verlieren
Alles ganz anders, tönt es aus dem «Seretta Süd»-Lager. Gesundheitstourismus sei «the next big thing», der demografischen Entwicklung und der steigenden Nachfrage aus den aufstrebenden Weltregionen sei Dank. Wenn St. Moritz jetzt nicht mitmache, drohe man den Anschluss zu verlieren. Andere Exklusivdestinationen wie das deutsche Sylt und Kitzbühel (A) seien schon weiter.
Dazu sei der deutliche Support der Stimmbürger durch den Urnengang schliesslich mehr als erwiesen.
Früher schonmal Standort für ein Hotel
Und augenzwinkernd merkt jemand an, dass an der umkämpften Stelle früher sowieso bereits ein Gästehaus stand. Das «Grand Hotel St.Moritz» brannte 1944 unter nie ganz geklärten Umständen ab. Die Legende vom «warmen Abbruch» hält sich wacker im Engadin. Später wurde auf den Fundamenten das Postgebäude errichtet, das nun wieder weichen soll.
In der Rolle des Zaungastes bleibt für einmal Gemeindepräsident Christian Jott Jenny: Die Volksabstimmung erfolgte vor seinem Amtsantritt 2019, seine Einflussmöglichkeit auf den Prozess ist mehr als beschränkt.
Bis Ende Juli Einsprache-Frist
Bis Ende Juli dauert die Frist für die Einsprachen. Die Ansässigen machen davon Gebrauch. Gegenüber SonntagsBlick rechnet ein Anwohner mit «20 bis 30» Einsprachen – langweilig ist es den zahlreichen eingeschalteten Anwälten nicht.
Voraussichtlich werden die Bauarbeiten 2025 beginnen – wenn alles nach Plan der Chris Silber AG geht.