Der instabile Hang über dem Dorf Brienz in der Gemeinde Albula GR ist wieder rasant in Bewegung. Seit der zweiten Septemberhälfte rutschen 1,2 Millionen Kubikmeter Felsschutt mit 20 bis 35 Zentimetern pro Tag talabwärts. Es besteht die Gefahr, dass er sich löst – und dann als schneller Schuttstrom Richtung Dorf abgleitet.
Die Folge: Seit Dienstag gilt die sogenannte orange Phase. Das heisst: Die rund 80 Einwohnerinnen und Einwohner müssen zum zweiten Mal innerhalb von anderthalb Jahren ihr Zuhause verlassen. Das bis Sonntagmittag. Vermutlich können die Menschen mehrere Monate nicht zurück in ihre Häuser – vielleicht sogar nie mehr! Denn wenn der Hang nicht stabilisiert werden kann, heisst es: umsiedeln. Doch wohin? Kann es ein «Neu-Brienz» geben?
Tatsächlich ist die Idee eines neuen Brienz durchaus realistisch. Und die Gemeinde hat offenbar ziemlich konkrete Ideen, wo ein Brienz 2.0 erbaut werden könnte.
Gemeinde informiert kommende Woche
Dass man sich in der Gemeinde Albula nicht nur theoretisch mit der Möglichkeit einer Umsiedlung befasst, zeigt ein kürzlich veröffentlichtes Infoschreiben. Darin heisst es: «Als vorsorgliche Vorbereitung für eine mögliche Umsiedlung plant die Gemeinde Albula eine Teilrevision der Ortsplanung. Im Fokus steht die Umlagerung von Bauzonenflächen in Brienz auf geeignete Umsiedlungsstandorte.»
Mehr zur Situation in Brienz GR
In der Einladung für die Versammlung von kommendem Mittwoch werden zwei konkrete Standorte genannt. So könnte «Neu-Brienz» entweder im Gebiet Cumpogna in Tiefencastel entstehen. Oder man würde das Dorf in den Bereich Faderna in Alvaneu Dorf umsiedeln. An beiden Orten gibt es grosse, nicht überbaute Flächen. Ausserdem liegen sie weit entfernt vom gefährlichen Hangrutschgebiet in Brienz.
Neben der Information über die Standorte wird am kommenden Mittwoch auch über die Kosten der Umsiedlung sowie über entsprechende Kaufrechtsverträge gesprochen.
Daniel Albertin, Gemeindepräsident von Albula, sagt: «Fix ist aber noch rein gar nichts.» An den beiden Standorten könnte unter Umständen Land als Ersatz für Brienz zu Bauland eingezont werden. «Auf der anderen Seite müssen wir im Zuge der neuen Raumplanung aber auch viel Bauland auszonen.» Denn wie in vielen anderen Gemeinden sind die Baulandreserven auch in Albula zu gross. Diese Dinge sollen am Mittwoch besprochen werden. «Es gibt noch sehr viele Fragen zu klären, weshalb wir auch ein Mitwirkungsverfahren lancieren werden.» Albertin rechnet, dass Ersatzbauland für Brienz frühestens in anderthalb Jahren zur Verfügung stehen könnte. «Und für diesen Fahrplan darf es keine Einsprachen geben.»
Das wird ein Kraftakt
Neu sind die Pläne für eine Umsiedlung des Dorfs derweil nicht. Schon im Jahr 2020 wurde intensiv darüber gesprochen, sogar geplant. Benno Burtscher, Präsident Kommission Siedlung, erklärte schon damals: «Für den Fall, dass eine Umsiedlung unumgänglich werden sollte, muss die Gemeinde vorbereitet sein.»
Burtscher erklärte auch, dass eine mögliche Umsiedlung mit hohen Kosten für die Betroffenen verbunden sei. Grund: Die Gebäudeversicherung würde zwar die Gebäude selbst ersetzen, nicht aber das Bauland. Doch auch für die öffentliche Hand würde die Sache teuer werden. Denn sie müsste «Neu-Brienz» mit Strassen und Leitungen erschliessen.
Am kommenden Mittwoch gibt es in Albula also viel zu besprechen. Denn neben den technischen, raumplanerischen und finanziellen Aspekten geht es auch um Existenzen. «Unsere Aufgabe ist kompliziert, aber auch sehr wichtig», so Burtscher damals in einem Infobulletin der Gemeinde.
Es wäre dabei nicht das erste Mal, dass Menschen wegen Naturgefahren umgesiedelt werden müssen. In Horlaui LU kam es 2014 zur bisher grössten präventiven Umsiedlungsaktion wegen Umweltgefahren. Die Gemeinde am Fuss der Rigi war immer wieder von Felsstürzen und Hangmuren betroffen. Fünf Wohnhäuser wurden deshalb geräumt und abgerissen. Zehn Menschen verloren ihr Zuhause.