Geschichte der Schreibutensilien in Schulen
Handschrift bleibt – auch im digitalen Zeitalter

Vom Bleistift zum Füllfederhalter, von der Schiefertafel zum Computer: Schülerinnen und Schüler erlernen das Schreiben mit verschiedenen Gegenständen – eine historische Übersicht.
Publiziert: 14.08.2022 um 16:03 Uhr
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Was das Tablet im heutigen Schulunterricht …
Foto: imago images/Fotostand
Daniel Arnet

Und wieder ist einem Primarschüler bei seinen Schreibversuchen ein roter Caran d'Ache aus dem verkrampften Patschhändchen zu Boden gefallen. Und wieder ruft die gestrenge Lehrerin eine Strafaufgabe aus: Er muss 30 Mal «Ich darf den Bleistift nicht fallen lassen» schreiben – so war das damals in den 1970er-Jahren.

Auch Bruno Mock (59), ausgebildeter Primarlehrer, Psychomotorik-Therapeut und Dozent an der Pädagogischen Hochschule Thurgau, erlernte das Schreiben mit Bleistift auf einer damals neuartig beschichteten Kartontafel: «Von dieser konnte man die Bleistiftspuren dann mit Seife wieder wegwaschen.»

Obwohl der deutsche Schreiner Kaspar Faber (1730–1784) den Grafitkern bereits 1761 mit dem heute gängigen Holzschaft umschliesst, dauert es länger, bis der Bleistift in Schweizer Schulzimmern Einzug hält: Das liegt einerseits an seiner Zerbrechlichkeit und seinem Verschleiss, andererseits am Papier als Trägermedium, das vor der industriellen Produktion ein Luxusprodukt ist.

Und so setzt man in hiesigen Schulstuben noch bis in die 1960er-Jahre vor allem auf Griffel und 18 mal 28 Zentimeter grosse, holzgerahmte Schiefertafeln: Auf der einen Seite mit Linien versehen für Schreibübungen, auf der anderen Seite gehäuselt für Rechenaufgaben – Schwamm drüber und Tuch zum Trocknen inklusive: Wisch und weg!

Handschrift erfordert mehr Wahrnehmungsleistung

Das Schulmuseum in Köniz BE besitzt eine grosse Sammlung an historischen Schiefertafeln. Erstaunlich, wie diese gestrigen Schreibgeräte in Farbe und Format den heutigen Tablets gleichen. Ähnlich ist auch, dass die Schrift auf der Oberfläche nicht wie etwa auf einem Blatt Papier fixiert bleibt – wisch und weg eben!

Tablets kommen in Schulen mehr und mehr zum Einsatz. Im Kanton Aargau etwa hat man mit der Einführung des neuen Lehrplans Anfang 2019 eine Empfehlung zu Gerätetyp und Anzahl Geräte erarbeitet. Und im Kanton Zürich verfolgt man den Ansatz «Technik folgt Pädagogik». «Das Tablet ist eines von verschiedenen mobilen Arbeitsgeräten», sagt Matthias Schweizer, stellvertretender Amtschef des Volksschulamts in der Bildungsdirektion.

«Der Vorteil, dass es mit Tastatur, Stift und Finger bedient werden kann, macht es für verschiedene Schulstufen attraktiv», sagt Schweizer. Psychomotorik-Therapeut Mock vermutet allerdings, dass das Tablet eher mit der Tipp-Technik als von Hand genutzt werde: «Nachteilig für ein rasches Tippen ist natürlich, dass der Bildschirm keine spürbaren Eindrücke für die Finger zurücklässt und das Tippen auf der Fläche zum Zufall wird.»

Überhaupt hält Mock fest, dass die Handschrift deutlich mehr visuelle und motorische Wahrnehmungsleistung erfordere und damit Buchstabe und Zeichen viel tiefer in verschiedenen Zentren des Gehirns verankert werden als durch das Drücken einer Taste. «Damit ist das Tippenlernen bei Schreibanfängern nur sinnvoll, wenn auch die Handschrift erlernt wird», sagt Mock.

Füllfederhalter verliert an Bedeutung im Unterricht

Dessen sind sich auch Bildungsdirektionen bewusst. So steht beispielsweise im Aargauer Lehrplan der Volksschule explizit: «Die Schülerinnen und Schüler lernen, die Tastatur effizient zu nutzen.» Aber auch: «Die Schülerinnen und Schüler lernen, in einer persönlichen Handschrift leserlich und geläufig zu schreiben.»

Mit «geläufig» ist es lange so eine Sache: Da nach den ersten Übungen mit Bleistift schnell einmal die Feder zum Einsatz kommt, ist es vor allem die Tinte, die läuft und manchen handschriftlichen Text verkleckert. Bei den Linkshändern kommt das Problem dazu, dass sie ihren eigenen Text laufend verschmieren – ein wahrer Albtraum!

Noch bis in die 1950er-Jahre sind in den Pulten Löcher für Tintenfässchen eingelassen, um die Feder zu tunken oder Kolbenfüller zu tanken. Tintenpatronen machen das Fässchen fortan überflüssig, aber das Problem mit der Tintenschrift bleibt. «Die Füllfeder gehört zu den schwieriger bedienbaren Schreibgeräten», sagt Mock. Ihre Bedeutung nehme zu Recht drastisch ab.

Heute nehmen Schülerinnen und Schüler meist Tintenroller, Kugelschreiber oder Faserroller zur Hand. Doch mit Handschrift und Tastatur dürfte es in Zukunft nicht getan sein, ist Mock überzeugt: «Wir werden uns in der Schule des Weiteren mit neuen Techniken wie digitales Diktieren befassen müssen, wobei gesprochene Sprache gleich in Schrift umgesetzt wird.» Vielleicht werden wir bald mit allen drei Techniken Text verfassen.

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