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Das ändert sich im neuen Schuljahr
Bekommen alle Kinder ein Tablet?

Nach den Sommerferien führen weitere sechs Kantone den umstrittenen Lehrplan 21 für die Volksschule ein. Bald lernen alle Deutschschweizer Kinder das Gleiche – oder doch nicht? Der Erziehungswissenschaftler Beat Schwendimann (43) erklärt.
Publiziert: 12.07.2018 um 17:33 Uhr
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Aktualisiert: 30.04.2019 um 12:58 Uhr
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Der neuen Lehrplan 21 soll die Kinder zu mehr Selbständigkeit führen.
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Der Lehrplan 21 gilt nach den Sommerferien in den meisten Deutschschweizer Kantonen, die letzten führen ihn aber erst 2021 ein (siehe Grafik). Er umfasst die ganze Volksschulzeit, inklusive Kindergarten, den es als eigene Schulstufe aber nicht mehr gibt. Zwei Kindergartenjahre bilden mit den ersten zwei Primarschuljahren den ersten Zyklus von vier Jahren. Der zweite Zyklus dauert ebenfalls vier Jahre, bis zur 6. Primarklasse. Die letzten drei Jahre der obligatorischen Schulzeit werden zum dritten Zyklus.

Was ändert sich also im neuen Schuljahr?

Herr Schwendimann, was genau wird anders mit dem Lehrplan 21?

Erstmals ist mit dem Lehrplan 21 ein Lehrplan für die gesamte Deutschschweiz erarbeitet worden. Er enthält vieles, was sich bereits in den heutigen Lehrplänen der Kantone findet. Aber manche Fächer werden neu gruppiert, und es gibt zwei ganz neue Module.

Konkret?

Die bisherigen Fächer Mensch, Umwelt, Ethik und Religion werden in einem neuen Fachbereich Natur, Mensch, Gesellschaft behandelt. Das Fach Hauswirtschaft wird zum Fachbereich Wirtschaft, Arbeit und Haushalt erweitert, dazu gehören auch Wirtschaftswissen und Finanzkompetenzen. Der Sport wird in meisten Kantonen zu «Bewegung und Sport». Ganz neu sind zwei Module Berufliche Orientierung und Medien und Informatik.

Kindergärtnerinnen gibts nicht mehr

Der Lehrplan 21 betrifft auch die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Lehrpersonen werden neu nicht mehr nach Stufen, die von Kanton zu Kanton unterschiedlich waren, sondern nach Zyklen ausgebildet. Zwei Kindergartenjahre bilden mit den ersten zwei Primarschuljahren den ersten Zyklus von vier Jahren. Eine für Zyklus 1 ausgebildete Lehrperson kann daher die Vier- bis Achtjährigen unterrichten. Dies verbessert auch den Übergang vom Kindergarten in die Primarschule, da die Lehrperson beides kennt. Die reine Kindergarten-Lehrperson wird es je länger je weniger geben.

Der Lehrplan 21 betrifft auch die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer. Lehrpersonen werden neu nicht mehr nach Stufen, die von Kanton zu Kanton unterschiedlich waren, sondern nach Zyklen ausgebildet. Zwei Kindergartenjahre bilden mit den ersten zwei Primarschuljahren den ersten Zyklus von vier Jahren. Eine für Zyklus 1 ausgebildete Lehrperson kann daher die Vier- bis Achtjährigen unterrichten. Dies verbessert auch den Übergang vom Kindergarten in die Primarschule, da die Lehrperson beides kennt. Die reine Kindergarten-Lehrperson wird es je länger je weniger geben.

Das sind ja bloss alte Inhalte neu verpackt.

Diese Einteilung in Fachbereiche strukturiert Fächer nicht mehr nach wissenschaftlichen Domänen, sondern nach lebensweltlichen Kategorien. Das erleichtert es, übergeordnete Themen und Zusammenhänge zu behandeln. Überfachliche Kompetenzen werden unter Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) behandelt.

Was lernen die Kinder in Medien und Informatik?

Die Schülerinnen und Schüler lernen die Grundkonzepte der automatisierten Verarbeitung, Speicherung und Übermittlung von Information. Um zu verstehen, wie Algorithmen funktionieren und wie man Abläufe automatisieren kann, werden teilweise Roboter eingesetzt, die man selbst programmieren kann. Bei der Anwendungskompetenz geht es um die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien für effektives Lernen, im Alltag und später im Beruf. Im Bereich Medien sollen die Schülerinnen und Schüler traditionelle und neue Medien eigenständig, kritisch und kompetent nutzen können.

Was heisst das?

Es geht um Fake News, soziale Medien und Datennutzung. Die Schülerinnen und Schüler lernen verschiedene Arten von Medien zu nutzen, selbst zu produzieren und kritisch zu betrachten. Es geht um die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen digitaler Technologien und Medien auf die Gesellschaft und das eigene Leben. Das Ziel ist ein mündiger Umgang mit digitalen Medien und Technologien.

Bekommen alle Kinder einen persönlichen Computer oder ein Tablet?

Das ist eine finanzielle sowie eine pädagogische Frage und hängt ganz von der Schule ab. Gewisse Schulen schaffen Geräte für alle an, andere stellen nur den Zugang sicher, etwa mit Geräten, die sich Klassen ausleihen können. Und es gibt Schulen, an denen die Kinder die Geräte selbst mitbringen müssen.

Und wenn das die Eltern nicht bezahlen können oder wollen?

Um die Chancengerechtigkeit zu wahren, muss sichergestellt werden, dass alle Schülerinnen und Schüler Zugang zu Geräten haben. Die Schulen müssen gegebenenfalls Geräte zur Verfügung stellen. Die Volksschule muss unentgeltlich bleiben, und dazu benötigen Schulen einen entsprechenden, eigenen Budgetposten.

In der Diskussion über den neuen Lehrplan war viel davon die Rede, die Kinder würden künftig Kompetenzen lernen. Was heisst das jetzt konkret?

Kompetenzen sind ein zentrales Element im neuen Lehrplan. Sie bestehen aus drei Komponenten: Wissen, Können und Wollen. Was die Schülerinnen und Schüler lernen, sollen sie auch anwenden können und wollen. Es reicht nicht, etwas zu wissen, sie müssen auch konkret etwas damit anfangen können.

Ein Beispiel?

Im Fachbereich Wirtschaft, Arbeit und Haushalt setzen sich die Schülerinnen und Schüler mit Fragen zur Wirtschaft und zum Konsum auseinander. In der konkreten Umsetzung geht es dann darum, wie man seinen eigenen Konsum gestaltet. Lernende erstellen ein persönliches Budget, um besser Konsumentscheidungen zu treffen. Dabei können Lernspiele wie Finance Mission Heroes eingesetzt werden, in denen der Umgang mit Geld im Alltag vermittelt wird.

Alltagstauglichkeit war schon früher das Ziel. Was soll daran neu sein?

Wissen zu vermitteln, für die Lösung von Problemen im Beruf oder im Alltag, war immer schon das Ziel der Schule. Aber im alten Lernplan war das nicht so deutlich definiert. Es ging mehr um den Erwerb und Wiedergabe von Wissen. Die konkrete Anwendung war dann nicht mehr unbedingt Sache der Schule.

Lernen jetzt alle Kinder Lesen, Rechnen und Schreiben gleich?

Das schreibt der Lehrplan 21 nicht vor. Der Lehrplan gibt nur die Kompetenzziele vor. Die Auswahl der Lehrmethode entscheiden Lehrerinnen und Lehrer selbst. Die Lehrpersonen kennen ihre Klassen am besten und können dadurch entscheiden, welche Methoden für eine Klasse oder einzelne Lernende eingesetzt werden sollen.

Gibt es weiterhin Noten?

Ja, genauso wie bisher am Ende des Schuljahrs oder eines Zyklus. Am Notensystem ändert sich grundsätzlich nichts. Der Lehrplan 21 enthält keine Regelungen zur Form der Leistungsbeurteilung. Aber es gibt neu auch andere Wege, um den Lernstand schon während des Schuljahrs zu bestimmen. Zum Beispiel mit Lernportfolios oder einem schulischen Standortgespräch, früher Elterngespräch. Da sind Lehrperson, Eltern und der Schüler oder die Schülerin dabei. Gemeinsam schauen sie, wo das Kind bezüglich seinen Kompetenzen steht. Dafür kann ein Kompetenzraster genutzt werden, der zeigt, wo das Kind im Rahmen liegt und wo noch weitere Unterstützung und Einsatz nötig sind.

Und Hausaufgaben?

Der Lehrplan 21 schreibt Hausaufgaben nicht vor. Es gibt Schulen, die Hausaufgaben durch betreute Aufgabenzeiten an der Schule ersetzen. Das Prinzip, dass Kinder eine gewisse Zeit selbständig für die Schule arbeiten, ändert sich damit nicht. Die Betreuung von Aufgaben wird dadurch nicht mehr an die Eltern delegiert. Das fördert die Chancengerechtigkeit, weil ja nicht alle Eltern gleich viel helfen können, aus zeitlichen Gründen oder aufgrund unterschiedlicher Bildungshintergründe.

Könnten Eltern bei Hausaufgaben nach Kompetenzsystem überhaupt noch helfen?

Ja klar. Inhaltlich werden die Eltern vieles wiedererkennen. Viele Lehrbücher werden gleich bleiben. So radikal anders ist das nicht, gerade im Bereich Wissen. Eltern können ihre Kinder bei Aufgaben, Prüfungsvorbereitungen und Projekten unterstützen.

Wer profitiert mehr vom neuen Lehrplan, die guten oder die schwachen Schüler?

Das lässt sich so nicht beantworten. Es sollen alle profitieren. Bei den Kompetenzen gibt es verschieden Stufen, die erreicht werden können, dadurch entsteht mehr Flexibilität für individuelle Lernfortschritte.

Die naturwissenschaftlichen Fächer werden aber stärker betont, wie das die Wirtschaft von der Schule fordert. Was bleibt vom pädagogischen Konzept mit «Kopf, Hand und Herz» vom Urvater aller Pädagogen Heinrich Pestalozzi?

Hinter dem Lehrplan 21 und den Kompetenzen steckt genau dieses bewährte Prinzip von Pestalozzi: Die drei Pfeiler Wissen, Können und Wollen sind grundsätzlich nichts anderes als «Kopf, Hand und Herz».

Werden jetzt alle Kinder in der Deutschschweiz alles gleich und gleichzeitig lernen – wird Zügeln mit Schulkindern über die Kantonsgrenze jetzt einfacher?

Jein. Der Lehrplan 21 ist eine Harmonisierung und nicht eine Vereinheitlichung. Mit dem neuen Lehrplan werden die Volksschullehrpläne der Deutschschweizer Kantone angeglichen. Dadurch wird es für Familien einfacher, den Kanton zu wechseln. Es gibt aber weiterhin gewisse kantonale Unterschiede, zum Beispiel bei den Stundentafeln und bei den Fremdsprachen. In der Innerschweiz und Ostschweiz beginnt man in der 3. Klasse mit Englisch, in den Kantonen an der Sprachgrenze mit Französisch. Ab der 5. Klasse kommt dann die zweite Fremdsprache hinzu. Das bleibt bei einem Kantonswechsel mit Schulkindern ein Problem.

  • Der Lehrplan 21 gilt ab 2021 in der ganzen Deutschschweiz (siehe Grafik) für die ganze Volksschulzeit, inklusive Kindergarten, den es als eigene Schulstufe aber nicht mehr gibt.
  • Zwei Kindergartenjahre bilden mit den ersten zwei Primarschuljahren den ersten Zyklus von vier Jahren.
  • Der zweite Zyklus dauert ebenfalls vier Jahre, bis zur 6. Primarklasse.
  • Di e letzten drei Jahre der obligatorischen Schulzeit werden zum dritten Zyklus.
Bildungs-Reformen

Lehrplan 21
Mit dem ersten gemeinsamen Lehrplan für die Volksschule wollen die Kantone die Bildungsziele harmonisieren. Das Projekt ist politisch umstritten. Bisher haben 17 Kantone den einheitlichen Lehrplan umgesetzt.

Sprachenstreit
Wann lernt ein Schweizer Schüler die erste Landessprache? Und soll er  zuerst Englisch lernen? In der hitzigen Debatte ging es bald nicht nur um den Stundenplan, sondern um Grundwerte der Schweiz.

Integration
Lernschwache Schüler sollen in Regelklassen integriert statt in Sonderklassen separiert werden. Diesem Prinzip folgt die Schule seit ein paar Jahren. Unter Pädagogen und Politikern ist die Umsetzung hoch umstritten.

Lehrplan 21
Mit dem ersten gemeinsamen Lehrplan für die Volksschule wollen die Kantone die Bildungsziele harmonisieren. Das Projekt ist politisch umstritten. Bisher haben 17 Kantone den einheitlichen Lehrplan umgesetzt.

Sprachenstreit
Wann lernt ein Schweizer Schüler die erste Landessprache? Und soll er  zuerst Englisch lernen? In der hitzigen Debatte ging es bald nicht nur um den Stundenplan, sondern um Grundwerte der Schweiz.

Integration
Lernschwache Schüler sollen in Regelklassen integriert statt in Sonderklassen separiert werden. Diesem Prinzip folgt die Schule seit ein paar Jahren. Unter Pädagogen und Politikern ist die Umsetzung hoch umstritten.

Biologe und Erziehungswissenschafter

Beat Schwendimann (43) hat selber keine Kinder. Er war jahrelang Biologielehrer an einem Zürcher Gymnasium. Dann studierte und forschte er in den USA und in Australien und promovierte in Erziehungswissenschaften. Heute ist er Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) und Experte für den Lehrplan 21.

Beat Schwendimann (43) hat selber keine Kinder. Er war jahrelang Biologielehrer an einem Zürcher Gymnasium. Dann studierte und forschte er in den USA und in Australien und promovierte in Erziehungswissenschaften. Heute ist er Mitglied der Geschäftsleitung und Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle des Dachverbands Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) und Experte für den Lehrplan 21.

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