Geld und Gier bei der Patrouille des Glaciers
Jean-Marie Cleusix (63) deckte den Skandal auf

Der Vereinsvorstand des legendären Skitouren-Rennens hat sich schamlos aus der Vereinskasse bedient. Publik geworden ist das dank der Hartnäckigkeit eines einzelnen Mannes.
Publiziert: 26.06.2021 um 19:15 Uhr
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Aktualisiert: 26.06.2021 um 20:47 Uhr
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Die Patrouille des Glaciers, die alle zwei Jahre in den Walliser Alpen stattfindet, gilt als eines der härtesten Skitouren-Rennen weltweit.
Foto: Keystone
Camilla Alabor

Die Zeit, als sich Jean-Marie Cleusix (63) noch auf Ski den Berg hochkämpfte, über Gletscher, Eisfelder und verschneite Berge, ist schon eine Weile her. Heute macht der Gymilehrer aus St-Maurice VS den Eindruck eines Bonvivants, der sich auf seine Pensionierung freut.

Und doch: Die Patrouille des Glaciers, das legendäre Skitourenrennen in den Walliser Alpen, lässt ihn nicht los. Was mit Nostalgie wenig zu tun hat. Dafür viel mit zerbrochenen Freundschaften, dem bitteren Gefühl von Verrat – und Bergen von Geld.

Cleusix ist 31 Jahre alt, als er zum ersten Mal bei der Organisation der Patrouille des Glaciers hilft. Ihn faszinieren das Rennen, die spektakuläre Kulisse der verschneiten Viertausender, aber auch die Kameradschaft der Patrouilleurs. Ein paar Jahre später gehört Cleusix zu den Gründungsmitgliedern des Unterstützungsvereins der Patrouille, der fortan für Marketing und Sponsoring verantwortlich ist, während die Armee den Anlass selber organisiert.

Fürstliche Bezahlung aus der Vereinskasse

Über Jahre läuft alles rund, die Zusammenarbeit zwischen Verein und Armee scheint bestens zu funktionieren, die Patrouille gewinnt zunehmend an Beliebtheit.

Doch im Frühjahr 2020 ändert sich alles: Cleusix, für die Patrouille als Kommunikationschef tätig, bekommt Wind von einem Skandal – offenbar lassen sich die Vorstandsmitglieder für ihre Arbeit fürstlich bezahlen. Und zwar aus der Vereinskasse.

Das ist ein brisanter Verdacht, denn der Verein wird mit Steuergeldern unterstützt, und dies nicht zu knapp. So zahlte der Kanton Wallis seit 2015 für drei Rennen – der Anlass findet alle zwei Jahre statt – rund 900'000 Franken, weitere 930'000 kommen von der Loterie Romande.

Entschädigung und Spesen von 944'000 Franken

Cleusix beginnt, tiefer zu graben. Er nimmt sich einen Anwalt, verschickt unzählige Mails an Vereinsmitglieder, erstellt einen umfangreichen Fragenkatalog zuhanden des fünfköpfigen Vorstands. Dessen Mitglieder indessen weigern sich, Transparenz zu schaffen, halten zentrale Dokumente zurück, vertrösten die Mitglieder – wohl in der Hoffnung, dass niemand Cleusix Glauben schenken wird. Denn der Gymilehrer und frühere Beamte war vor ein paar Jahren in eine Steueraffäre verwickelt. Seitdem ist sein Ruf beschädigt.

Monate vergehen, ohne dass er Antwort auf seine Fragen an den Vorstand bekommt. Den internen Kontrolleuren des Vereins, die gern Klarheit schaffen möchten, ergeht es ähnlich: Der Vorstand hält sie über Monate hin, bis sie die Dokumente endlich erhalten.

Im Januar 2021 bringt der Bericht der internen Kontrolleure ans Licht, dass sich die Führungscrew grosszügig aus der Vereinskasse bedient hat. Unter anderem haben sich die Vorstandsmitglieder rückwirkend für die vergangenen fünf Jahre einen Bonus in der Höhe von insgesamt 100'000 Franken ausbezahlt. Weiter gab es eine Zahlung von 36'000 Franken – wie sich später zeigt, sind es am Ende gar 60'000 Franken – für die angebliche Miete von Büroräumlichkeiten im Eigenheim des Generalsekretärs, zusätzlich namhafte Beträge für Arbeiten von Familienmitgliedern der Vorstände.

All diese Ausgaben summieren sich: Allein für das Rennen im Jahr 2018 zahlten die fünf Vorstandsmitglieder sich und ihren Familien insgesamt 944'000 Franken an Entschädigungen und Spesen aus.

Vereinsmitglieder leisteten Freiwilligenarbeit

Cleusix ist fassungslos. Nicht weniger als seine Vereinskollegen. Sie alle waren über diese Zahlungen im Dunkeln gelassen worden. Der Kommunikationschef sieht in der Selbstbedienungsmentalität des Vorstands einen Verrat an der Sache. Schliesslich haben Vereinsmitglieder jahrelang Freiwilligenarbeit geleistet, ohne auch nur einen einzigen Franken einzufordern – nun kommt heraus, dass die Vorstandsmitglieder in Saus und Braus lebten.

Die fünf Vorstände gaben derweil bei den Wirtschaftsprüfern von KPMG einen zweiten Bericht in Auftrag. Dieser bestätigt, sämtliche Zahlungen an den Vorstand seien legal erfolgt. Doch KPMG stellt «erhebliche Mängel» der internen Kontrolle fest. Bei der Führung sei man auf «potenzielle Interessenkonflikte, Missbrauchs- und Betrugsrisiken» gestossen. Ein gemischtes Fazit also.

Auch der Kanton Wallis sieht sich gezwungen, die Angelegenheit zu untersuchen und beauftragt das Finanzinspektorat, die Buchhaltung des Vereins zu durchleuchten. Dieser Bericht, vor eineinhalb Wochen publiziert, stellt ebenfalls keine strafbaren Handlungen fest. Zugleich bemängeln die Autoren «unsensibel» hohe Vergütungen der Vorstandsmitglieder. So legt der Bericht offen, dass alleine Präsident F.* von 2015 bis 2020 für Vereinsaktivitäten 930'000 Franken kassierte – «ein sehr hoher Betrag für ein Nebenamt», wie die Finanzinspektoren anmerken.

Armee beendet Zusammenarbeit

Die Berichte zeichnen das Bild eines Vorstands, der die Patrouille vor allem als Mittel zum Zweck sieht, sich die Taschen zu füllen. Eine ungemütliche Situation sowohl für die Armee, die mit dem Unterstützungsverein zusammenarbeitet, als auch für den Kanton Wallis, der den Verein finanziell unterstützt.

Und so folgt diesen Montag mit einem Mal der Paukenschlag: Die Armee gibt bekannt, die Zusammenarbeit mit dem Unterstützungsverein zu beenden. Ab 2024 will man mit einer gemeinnützigen Stiftung zusammenarbeiten.

Ein Entscheid, der in erster Linie auf Cleusix’ Hartnäckigkeit zurückgeht. Der zeigt sich entsprechend zufrieden. «Damit wird künftig in Bezug auf alle Ausgaben Transparenz herrschen», sagt der Walliser, «und wieder die Patrouille statt das Geld im Zentrum stehen.»

*Name der Redaktion bekannt

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