Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass die Patrouille des Glaciers wegen des Coronavirus um zwei Jahre verschoben werden musste – jetzt gibt es auch noch negative Schlagzeilen: Eines der härtesten Skitourenrennen, bei dem sich die Teilnehmer mit Seil, Kompass und Eispickel durch die verschneiten Walliser Alpen kämpfen, steht unter einem sehr unsportlichen Verdacht.
Mitglieder des Unterstützungsvereins sollen öffentliche Gelder zu ihrer Bereicherung verwendet haben. Es geht um grosse Summen aus dem Gesamtbudget von 5,2 Millionen Franken, zu dem der Kanton Wallis rund 700'000 Franken beiträgt. Sollten sich die Vorwürfe erhärten, wirft dies auch einen Schatten auf die Armee: Organisiert wird die Patrouille, die alle zwei Jahre stattfindet, vom Verteidigungsdepartement (VBS).
Im Januar deckte ein interner Prüfbericht auf, dass die Vorstandsmitglieder des Unterstützungsvereins – der Association de soutien, de gestion et de promotion de la Patrouille des Glaciers (ASPDG) – exorbitant hohe Entschädigungen kassiert haben sollen. Die Tageszeitung «Le Nouvelliste» machte den Bericht kürzlich publik.
Demnach zahlten die fünf Vorstandsmitglieder sich und ihren Familien in den Jahren 2017 und 2018 für die Organisation der Patrouille insgesamt 944'000 Franken an Entschädigungen und Spesen aus – ohne dass die Vereinsmitglieder davon wussten.
«Erhebliche Mängel» der internen Kontrolle
Ein zweiter Bericht, den der Vorstand daraufhin bei der Wirtschaftsprüfungsfirma KPMG in Auftrag gab, stellte «erhebliche Mängel» der internen Kontrolle fest, insbesondere bei der Auflistung und Erstattung geleisteter Arbeitsstunden. Da bestehe «ein potenzielles Risiko von Fehlern, Missbrauch und Betrug». Bei der Führung stiess man auf «potenzielle Interessenkonflikte, Missbrauchs- und Betrugsrisiken».
504'000 Franken, mehr als die Hälfte der Entschädigungen, wurden laut dem internen Prüfbericht an den ehemaligen Vereinspräsidenten F.* und seine Frau ausbezahlt, weitere 4000 Franken an F.s Tochter. 121'000 Franken flossen an die Familie des Generalsekretärs J.* – darunter 36 '000 Franken, die der Kantonsangestellte dafür erhielt, dass er sechs Jahre lang ein Zimmer in seinem Privathaus für die Vereinsarbeit nutzte. Gemäss Bericht zahlte sich der Vorstand 2018 zudem einen Bonus von insgesamt 100'000 Franken für die vergangenen vier Jahre aus.
Ans Licht kamen auch Ausgaben für ein Wochenende in Wien, zu dem drei Vorstandsmitglieder ihre Ehefrauen mitbrachten, für einen Besuch der Fête des Vignerons und VIP-Tickets für Spiele des FC Sion – alles auf Vereinskosten.
Schon die internen Prüfer hatten festgestellt, dass manche der berechneten Spesen «zu weit gehen»; das Reglement müsse unbedingt angepasst und eine «bessere Kommunikation» zwischen Vorstand und Mitgliedern hergestellt werden. Mit anderen Worten: Es fehlt am sorgfältigen Umgang mit Vereinsgeldern – und an Transparenz.
Den Vorstand kümmerten die Vorwürfe offenbar wenig: Zwar liess er an der Generalversammlung der ASPDG Ende Januar aus den Berichten vorlesen; Einsicht nehmen jedoch durften nicht einmal die Mitglieder – bis heute hält der Vorstand die Papiere, in die SonntagsBlick Einblick erhielt, unter Verschluss.
Unbezahlte Arbeit, Vorstand bedient sich aus Fördertopf
Nicht wenige ASPDG-Angehörige fühlen sich da vor den Kopf gestossen, allen voran Gründungsmitglied Jean-Marie Cleusix. Der 63-Jährige hat die Untersuchung der Vereinsfinanzen 2020 losgetreten, nachdem er zunehmend den Eindruck gewonnen hatte, dass einfache Mitglieder unzählige Stunden unbezahlter Freiwilligenarbeit leisteten, während sich der Vorstand grosszügig aus dem Fördertopf bediente.
Cleusix ist überzeugt: Die hohen Bezüge kamen durch Missachtung der geltenden Regeln zustande und waren daher illegal. Der Präsident habe auch deshalb so viel kassiert, weil er auf Sponsoringverträge eine Kommission von zwölf Prozent erhob. Hätten die Vereinsmitglieder von dieser Regelung gewusst, wäre sie nie eingeführt worden, so Cleusix.
Seine Vorwürfe führten im November dazu, dass die Armee die Zusammenarbeit mit der ASPDG vorübergehend stoppte. Der Verein ist dafür zuständig, Gelder für die Durchführung der Patrouille des Glaciers aufzutreibe und operiert unabhängig von der Armee. Der Bund hat aber das Recht zur Einsicht in die ASPDG-Finanzen. Sollte es tatsächlich zu überzogenen Bezügen gekommen sein, muss sich das VBS die unbequeme Frage stellen, ob man zu wenig genau hingeschaut hat.
Der Vorstand weist die Vorwürfe von Cleusix zurück. «Alle seine Zahlen und Anschuldigungen sind falsch und verleumderisch», sagt Sprecher Marc Comina, «es handelt sich schlichtweg um die Aggression eines Querulanten.»
Die KPMG-Prüfer hätten festgestellt, dass sämtliche Zahlungen legal erfolgt seien. Tatsächlich heisst es im Bericht, man habe «keine Elemente gefunden, die darauf hindeuten, dass ungerechtfertigte Ausgaben getätigt wurden». Laut Comina waren die Kommissionszahlungen an F. gemäss Reglement genehmigt worden. Zudem seien die Zahlungen an den Vorstand «deutlich geringer gewesen, da die internen Prüfer falsch gerechnet haben».
Ex-Präsident bekam nur 180'000 pro Jahr
So habe Ex-Vereinspräsident F. laut KPMG-Bericht für die Wettkampfjahre 2017–2018 nicht 504'000 Franken erhalten, sondern lediglich rund 180'000 pro Jahr, so Comina – total also 360'000 Franken. Zudem müssten die Zahlungen in Zusammenhang mit den Marketing-Einnahmen von drei Millionen Franken gesehen werden, die F. erzielt habe. Auch Generalsekretär J. habe 2017/2018 lediglich je rund 19'000 Franken erhalten.
Dass der Vorstand über die Jahre Aufträge in der Höhe von mehreren Zehntausend Franken an Familienmitglieder vergab, erklärt der Sprecher damit, dass familiäre Netzwerke effizienter und billiger arbeiteten, wenn kurzfristig viel zu tun sei.
Der Bonus von 100'000 Franken sei eine Abgeltung für die Arbeit, die der Vorstand bis anhin gratis geleistet habe. Die Teilnahme an der Fête des Vignerons oder am Fussballmatch hätten der «Beziehungspflege» gedient, so Comina weiter; das Wochenende in Wien sei eine intensive Arbeitsretraite gewesen.
Reserven von 2,2 Millionen
Dann wird der Sprecher grundsätzlich: «Dass die ASPDG heute Reserven von 2,2 Millionen hat, ist dem aktuellen Vorstand zu verdanken.» Das gelte es zu berücksichtigen. Unter dem ehemaligen Präsidenten F. seien die Erträge, wie auch der interne Bericht würdigend festhalte, von Jahr zu Jahr gestiegen.
Beim VBS hält man sich bezüglich einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Verein bedeckt. Auf Anfrage heisst es, in den bisher erhaltenen Unterlagen der ASPDG seien «keine Unregelmässigkeiten ersichtlich».
Noch ausstehend sei der Abschlussbericht der KPMG; bisher liegt dem VBS lediglich eine Zusammenfassung vor.
Das VBS warte diesen ab und behalte sich weitere Massnahmen vor.
*Namen der Redaktion bekannt