Geheimnis unter der Stadt – Archäologe erklärt überraschenden Fund
Verborgene Siedlungsreste mitten in Zürich entdeckt

Bei einem Sanierungsprojekt der städtischen Wasserversorgung im Zürcher Kreis 1 kam Erstaunliches zum Vorschein. Die Entdeckungen der Stadtarchäologie Zürich zeigen, dass die Zollstation Turicum grossflächiger und dichter bebaut war, als bisher bekannt.
Publiziert: 24.03.2025 um 19:50 Uhr
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Aktualisiert: 25.03.2025 um 07:47 Uhr
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Im Zürcher Kreis 1 trifft man aktuell eine Baustelle an, bei der auch die Stadtarchäologie beteiligt ist.
Foto: Angela Rosser

Darum gehts

  • Antikes Zürich steckt noch unter unseren Füssen
  • Römisches Turicum war grösser als bisher angenommen
  • Pause für Zürcher Traditionsanlass
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Angela RosserJournalistin News

Seit dem 13. Januar finden an der Storchengasse im Zürcher Kreis 1 Bauarbeiten zur Sanierung der Wasserversorgung statt. Einem aufmerksamen Leser fiel auf, dass auch Archäologen vor Ort tätig sind, und vermutete einen Sensationsfund. Hat man eine alte Stadt entdeckt? Ja und Nein. Dass Zürich eine lange Historie hat und diese bis in die römische Kaiserzeit zurückreicht, weiss man jedoch bereits. 

Seit im 18. Jahrhundert ein Grabstein aus der Zeit um 200 n. Chr. gefunden wurde, ist bekannt, dass die Siedlung eine wichtige Zollstation war, die den Namen Turicum trug.

Die Arbeiten befinden sich in sogenannten archäologischen Zonen, weshalb auch die Stadtarchäologie bereits früh einbezogen wurde. Auf einem Rundgang durch die Baustelle mit dem Leiter der Stadtarchäologie Stephan Wyss (49) zeigt sich, welche Bedeutung die aktuellen Entdeckungen für unser Wissen zum antiken Zürich haben.

Häuser bereits in der Antike

Dass sich unweit des Weinplatzes eine Zollstation befunden hatte und rechts vom Fraumünster, beim grossen Brunnen, ein Friedhof, war zwar bereits bekannt. Dass jedoch zwischen den beiden Punkten auch Häuser standen, war bislang nicht erwiesen. «Man nahm an, dass dort nur eine Ausfallstrasse aus der Stadt und zum Hafen führte», so Wyss.

Bekannt ist, dass hier – zwischen dem Brunnen auf dem Münsterhof und dem Portal des Fraumünsters – auch der antike Friedhof lag. «Die alten Römer legten Wert darauf, an Orten bestattet zu werden, wo sie auch im Tod von vielen Menschen gesehen wurden und so in Erinnerung blieben.»

«Heute würden sie sich wohl neben Autobahnen bestatten lassen», sagt der Experte schmunzelnd. Sehr überraschend ist nun die Entdeckung eines bisher unbekannten Wohnquartiers jenseits der bisher angenommenen Stadtgrenze.

«Wie wir sehen, ist die Stadt hier mittelalterlich geprägt», erklärt Wyss. «Umso erstaunlicher ist es, dass sich unter den heutigen Gassen bis in zwei Meter Tiefe gut sichtbare und intakte archäologische Schichten erhalten haben. Sie erlauben es, die Geschichte des Ortes und konkrete Ereignisse präzise zu deuten. Wir sehen Grundsteine eines Gebäudes, das abgebrannt ist – dies erkennt man anhand der roten, verbrannten Lehmreste», sagt Wyss und zeigt auf die erwähnte Stelle.

Problemlose Zusammenarbeit

Die Frage, ob man sich denn bei den Arbeiten nicht in die Quere komme, verneint Wyss. «Die Zusammenarbeit mit der Wasserversorgung läuft reibungslos. Die stadtinterne Koordination ist eng und die Abläufe auf der Baustelle präzise abgesprochen», sagt er.

Zuerst wird der Bodenbelag über den Leitungen geöffnet, dann entfernt ein riesiger Saugbagger den ganzen Kies, mit dem die Grube gefüllt wurde, und dann nimmt das Team der Stadtarchäologie seine Arbeit auf. Mit Pickel, Schaufel und zuletzt mit der archäologischen Kelle werden allfällige Schichten präpariert, so Wyss. 

Diese Schichten werden mit sogenannten Positionsnummern gekennzeichnet. Die entstandenen Bilder, Fotografien und Zeichnungen werden später analysiert und dokumentiert, im Nachgang archiviert und bei Bedarf ausgewertet. «Sobald wir dokumentiert haben, werden die neuen Leitungen gelegt und der Boden wieder geschlossen. Im besten Fall für Jahrzehnte», so der Archäologe weiter.

Boden- und Wandheizung für gehobenen Wohnkomfort

Die Anzahl an archäologischen Funden, also Artefakten, sei bisher überschaubar, da die Grabungsflächen klein seien, meint er. «Häufig sind es Speiseabfälle wie Tierknochen, Keramik oder auch Münzen.»

«Wichtige Einzelfunde sind bisher Fragmente römischer Weinamphoren aus dem heutigen Südfrankreich, verziertes Tafelgeschirr und sogar Lederreste, die auf entsprechendes Gewerbe hinweisen. Bemerkenswert ist zudem
eine Heizungsröhre (lateinisch tubulus), die für den neu entdecken Siedlungsbereich einen gehobenen Wohnkomfort mit Boden- und Wandheizung anzeigt», führt der Experte aus.

Stadthistorisch wichtig und wegweisend für die Zukunft

«Dass immer wieder solche Entdeckungen möglich sind, zeigt, wie wichtig die Arbeit der Stadtarchäologie ist», sagt Wyss. Für ihn als Archäologe, mit Fachgebiet römische Kaiserzeit, sei das persönlich eine grosse Freude mitzuerleben, wie Geschichte immer wieder neu geschrieben werde, erzählt er im Gespräch.

«Jede Entdeckung ist ein kleiner Mosaikstein, der uns für die Zukunft hilft, den Menschen die reiche Vergangenheit unserer Stadt besser näherzubringen», sagt er und verweist weiter auf das neue digitale 3D-Stadtmodell «Zürich um 200 n. Chr», das diesen Sommer veröffentlicht wird. Die Ergebnisse der Ausgrabungen entlang der Storchengasse können direkt in dieses einfliessen, erzählt er.

Unterbrechung fürs Sechseläuten

Die Bauarbeiten dauern noch bis Ende Mai. «Wir legen aber eine kurze Pause für das Sechseläuten ein», verrät Wyss. «Zu diesem wichtigen Anlass werden viele Menschen erwartet. Das verträgt keine offenen Gräben in den Gassen», erklärt er den Unterbruch.

Dass die Vergangenheit so nah unter unseren Füssen liegt, fasziniert und weckt auch in der Journalistin Ehrfurcht vor der langen Historie von Zürich oder eben Turicum.

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