Sie hiessen Aventicum (Avenches VD), Augusta Raurica (Augst BL/Kaiseraugst AG) oder Vindonissa (Windisch AG): die grossen römischen Städte vor 2000 Jahren im Gebiet der heutigen Schweiz. Unter der Regierung des Kaisers Augustus im ersten Jahrhundert v. Chr. eroberten die Alten Römer nach und nach Gebiete in der Schweiz und mischten sich unter die damals in der Schweiz lebenden Kelten – von den Römern «Gallier» genannt. Kelten und Römer beeinflussten sich gegenseitig und es entstand die gallorömische Kultur.
Die Hauptstadt des damaligen Helvetier-Gebiets hiess Aventicum und liegt im Gebiet des heutigen Avenches im Kanton Waadt. Aventicum war das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der Region und entwickelte sich zu einer der bedeutendsten Städte nördlich der Alpen. Die Stadt besass eine beeindruckende Infrastruktur, darunter ein Theater, ein Amphitheater, einen Tempel, Thermen und eine Stadtmauer.
Das Standlager in Vindonissa
Die einzige Stadt in der heutigen Schweiz mit römischem Legionslager war die Stadt Vindonissa – das heutige Windisch im Kanton Aargau. Das Lager wurde ca. 10 v. Chr. gebaut und war eines von rund 30 Legionslagern im Römischen Reich zur Zeit von Vindonissa. «Zuerst wurde das Legionslager in Holz-Lehm-Konstruktionen gebaut», sagt Matthias Flück (42), Leiter Archäologische Untersuchungen des Kantons Aargau. Bis etwa 47 n. Chr. befanden sich in diesem Lager 6000 Legionäre. Über 130 Jahre ist man dort schon am Ausgraben und Forschen. «Insbesondere in den vergangenen 20 Jahren haben wir viele neue Erkenntnisse gewonnen», so Matthias Flück.
Römische Legionslager waren rechteckig oder quadratisch angelegt und von einem Holzwall oder einer Mauer sowie einem Graben umgeben. «An vier Stellen ist die Befestigung durch die Toranlage unterbrochen, sodass das Lager nachts nicht betreten und verlassen werden konnte», erklärt Flück weiter. «Im Inneren des Lagers befindet sich das entscheidende Strassensystem, das das ganze Lager beliefert hat.»
Ausserhalb des Legionslagers im heutigen Windisch entstand eine Siedlung, in der sich Handwerkerfamilien und Händler niederliessen. Strategisch sei das Lager, wie auch andere römische Städte, an einer guten Stelle gebaut worden: Hier, wo Aare, Reuss und Limmat zusammenfliessen, konnten die Römer Ware auf den Flüssen transportieren und hatten eine gute Kontrolle über die Umgebung. Zu jedem Legionslager gehörte ein Amphitheater von der Grösse eines heutigen Sportstadions: In dieses mehrere 1000 Personen fassende Theater kamen die Legionäre in ihrer Freizeit, um sich von Gladiatoren- und Tierkämpfen unterhalten zu lassen.
Der Alltag eines römischen Legionärs
Und wie sah der Alltag der Legionäre aus? Gegessen wurde zur Stärkung Getreidebrei und Gemüse, dann hiess es den ganzen Tag «trainieren, trainieren, trainieren». Schild, Wurfspeer und Schwert waren immer griffbereit, denn wenn der Kaiser die Legionäre zum Einsatz rief, ging es um Leben oder Tod. «Ein Legionär hat sich für 20 bis 25 Jahre zum Dienst verpflichtet», erklärt Andreas Fischer, Archäologe bei Archäologie Baselland. «Wenn die Zeit dann abgelaufen war und man überlebt hatte, hat man als Veteran zumindest in frührömischer Zeit häufig zur Belohnung ein Stück Land erhalten», so der Archäologe.
Die verdienten Grundstücke befanden sich etwa in der Kolonialstadt Augusta Raurica, einer blühenden Handels- und Gewerbestadt im Umland des heutigen Basels. Gut 15’000 Menschen bewohnten die Stadt, die nach Kaiser Augustus benannt wurde. Noch heute heissen entsprechende Gemeinden Augst oder Kaiseraugst. «Im Moment läuft hier wieder eine Grabung am Dorfrand – dem früheren Stadtrand», sagt Fischer. «Was noch alles im Boden steckt, ist oft sehr überraschend.» So sei vor ein paar Jahren in einem Waldstück bei Bubendorf BL ein spätrömischer Münzschatz entdeckt worden. Es gebe aber immer wieder kleinere oder grössere Funde. Wo gräbt die Archäologie? «Dort, wo eine Fundstelle bedroht ist, meist durch Bauprojekte oder auch Erosion», so Fischer weiter.
Beeindruckende Verkehrswege und Gebirgsheiligtum
Zwischen der Hauptstadt Aventicum und der Legionslager-Stadt Vindonissa liegt der heutige Kanton Bern. «Hier haben wir unter anderem Verkehrswege und Strassen aus der Römerzeit gefunden», sagt der Berner Kantonsarchäologe Adriano Boschetti (51). Das Bernbiet war vorwiegend ländlich besiedelt: Hier standen Gutshöfe und auch wichtige Villen. «Diese waren verstreut im ganzen Mittelland», so Boschetti weiter. Intensive Untersuchungen in den vergangenen Jahrzehnten gab es bei Studen BE am Jäissberg und auf der Engehalbinsel in der Stadt Bern. Hier stand der römische Marktort Brenodurum mit Handwerksbetrieben und einem Tempelbezirk. Doch «etwas vom Faszinierendsten, das in letzter Zeit gefunden worden ist, sind römische Münzen auf dem Ammetenhorn am Wildstrubel, oberhalb von Lenk BE», so der Archäologe. «Römische Münzen findet man noch an vielen Orten», erklärt Boschetti, «aber die Lage hier auf 2600 Metern ist abseits von allem – wir konnten uns nicht vorstellen, was das soll.» Es müsse sich hier um eine Art Gebirgsheiligtum gehandelt haben, zu dem Leute hoch gepilgert seien und den Gottheiten ihre Opfer dargebracht hätten.
Was ist von den alten Römern geblieben? Drei unserer vier Landessprachen haben lateinische Wurzeln, und unser Schriftsystem ist ebenfalls lateinisch. Römer brachten Früchte wie Aprikosen oder Weintrauben in die Schweiz, wo diese noch heute angebaut werden. Und nicht zuletzt ist unser heutiges Politik- und Rechtssystem vom Alten Rom geprägt.