Ihr Ex entführte Lea (1) aus der Schweiz nach Brasilien
Der unglaubliche Kampf von Roxane C. um ihre Tochter

Anfang September setzte Roxane in Brasilien Himmel und Hölle in Bewegung, um zwei von ihrem Ex entführte Mädchen – darunter auch ihr eigenes – zu finden. Die Aktion gelingt. Zurück in der Heimat, kritisiert die Freiburgerin die Schweizer Behörden scharf.
Publiziert: 23.12.2023 um 11:05 Uhr
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Aktualisiert: 23.12.2023 um 17:08 Uhr
Roxane (links) ging nach Südamerika, während Lauriane (rechts), die Mutter des zweiten entführten Mädchens, die Koordination in der Schweiz übernahm.
Foto: Amit Juillard
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Amit Juillard

Die Geschichte mutet an wie ein Roman. Eine Mutter macht sich in Brasilien auf die Suche nach ihrer 16 Monate alten Tochter, die im August vom Vater entführt wurde. Roxane C.* setzt Himmel und Hölle in Bewegung und nimmt sogar an einer lokalen Fernsehsendung teil, obwohl sie kein Wort Portugiesisch spricht. Am 12. September findet die Frau schliesslich die kleine Lea ** (1) und ihre Halbschwester Vanessa** (9) in Florianopolis. Vanessa, die eine andere Mutter hat als Lea, wurde von Lorenzo N.** (30), Vater beider Mädchen, ebenfalls entführt.

Am 3. November empfängt Roxane Blick in ihrer Wohnung in Bulle FR. Lauriane J.*, die andere Mutter, ist ebenfalls anwesend, um über dieses traumatische Martyrium zu berichten. Im Laufe des Monats Dezember konnte Blick mit Lorenzo sprechen, der immer noch in Freiheit ist und in Brasilien eine weitere Frau sucht, die von ihm schwanger werden will.

Schlechtes Gefühl im Bauch

Rückblende auf Anfang August: Roxane hat ein mulmiges Gefühl – die junge Frau in den Dreissigern muss Lea in den Ferien zu ihrem Vater bringen.

«Bereits am 30. März entführte er unsere Tochter, als er sich gewaltsam Zugang zu ihrer Tagesmutter verschaffte», erzählt Roxane. «Die beiden wurden damals drei Stunden später gefunden.» Roxane und Lorenzo leben seit August 2022 getrennt. Lauriane und er sind seit September 2019 geschieden.

Am 5. August reiste der Waadtländer mit seinen beiden Kindern nach Spanien ab, angeblich nur für eine knappe Woche. So, wie es ihm von den Behörden erlaubt wurde – trotz Roxanes Protest. «Ich wusste, dass das Risiko hoch war, meine Tochter nicht wie geplant am 13. August am Genfer Flughafen wiederzusehen», sagt die Mutter.

«Du hast hier keine Macht!»

Während der Reise wird die Mutter sporadisch über den Stand der Dinge auf dem Laufenden gehalten, wie Screenshots der Whatsapp-Konversation zwischen Roxane und Lorenzo zeigen. Am 6. August spitzt sich die Situation zu: Um 18.29 Uhr verspricht er ihr, sie anzurufen. Roxane wartet vergeblich. Um 22.17 Uhr ruft sie selber an. Doch es antwortet niemand.

Zwölf Minuten später meldet sich Lorenzo auf Englisch: «You have no power here! Be gone before someone drops a house on you too!» Ein bedrohliches Zitat von Glinda, der guten Hexe in «Der Zauberer von Oz», die die junge Prinzessin Ozma beschützt. «Du hast hier keine Macht! Verschwinde, bevor dir auch noch ein Haus auf den Kopf fällt!», so die deutsche Übersetzung.

Lorenzo beansprucht in einem Abschiedsbrief einen «Platz als Vater».
Foto: ZVG

Lorenzo fügt hinzu: «Lea ist krank und wird daher bei mir bleiben.» Dies war das letzte Mal, dass Roxane eine Nachricht von ihm erhält. «Als ich nachhakte, antwortete er nicht mehr. Er hatte mich blockiert.»

«Polizei lachte mich aus»

Am nächsten Morgen ruft Roxane den Polizeinotruf 117 an. «Man lachte mich aus und sagte, ich solle warten», erzählt sie. Am 13. August landet das Flugzeug am Genfer Flughafen. Lorenzo und die beiden Mädchen sind jedoch nicht unter den Passagieren. In der Polizeistation des Terminals wird Roxane gesagt, sie solle sich im Kanton Waadt melden, wo Lorenzo wohnt.

«Dort sagte man mir, ich solle mir keine Sorgen machen, schliesslich seien die Mädchen bei ihrem Vater, wir sollten abwarten», sagt Roxane verärgert. «Aber in der Zwischenzeit hatte ich Kontakt mit Lorenzos Schwester.» Diese habe ihr mitgeteilt, dass er am Freitag die Wohnung in Spanien verlassen habe. Das war der Tag des letzten Whatsapp-Austauschs.

Vermisstenanzeige im Schengen-Raum

Auf der Polizeistation habe man sie aufgefordert, am nächsten Tag wiederzukommen und eine Anzeige zu erstatten. Schliesslich sei es Sonntag und bereits 18 Uhr. «Man gab mir das Gefühl, ich sei vielleicht selber schuld, weil ich sie mit ihm gehen liess.»

Gegen 22 Uhr wurde immerhin eine Vermisstenanzeige im Schengen-Raum veröffentlicht. Am Ende wurde Roxane empfohlen, in ihrem Wohnkanton Freiburg Anzeige gegen Lorenzo zu erstatten. Sie tat dies am nächsten Tag. Danach – am 15. August – war Mariä Himmelfahrt, ein Feiertag. «Am 16. hatte ich einen ersten Kontakt mit der Staatsanwaltschaft.»

Abschiedsbrief an die Freundin

Am selben Tag sucht Lorenzos Freundin, die in der Schweiz geblieben ist, dessen Wohnung in Lausanne auf. Dort findet sie einen auf den 5. August datierten Brief. Blick liegt eine Kopie vor. In der handgeschriebenen Abschieds- und Trennungsnachricht erklärt ihr Lorenzo, dass ein Übel an ihm nage, «ein Übel der Gesellschaft: dass man mir nicht den Platz als Vater lässt, den ich verdiene».

Er sei es leid, um das Sorgerecht für seine Töchter kämpfen zu müssen. «Heute entscheide ich mich dafür, mich von diesem Schlachtfeld zurückzuziehen. Ich weiss allerdings, dass es umso schwieriger und anstrengender sein wird, meine Töchter ausserhalb dieser Welt zu erziehen, in der sich die Rache auszahlt!» Lorenzo erklärt auch, dass er den Töchtern einen anderen Lebensstil bieten wolle, mit «weniger Material, aber mehr Gewissenhaftigkeit und Ausdauer» und «anderen Kulturen».

Ein Kündigungsschreiben für den Mietvertrag liegt ebenfalls in der Wohnung. Darin steht, dass er die Miete für August bezahlt hat, die Miete für September aber noch bezahlt werden muss. Und dass seine persönlichen Sachen verkauft werden können, «um eure derzeitigen und zukünftigen Kosten zu begleichen».

So brachte er die Kinder ausser Landes

Die Freiburger Polizei teilte Roxane mit, dass Lorenzo am 11. August von Madrid nach São Paulo geflogen war. Und dass er dort am 14. sein Bankkonto leergeräumt hat. Wie konnte er mit Lea, die nicht denselben Nachnamen trägt wie er, in ein Flugzeug nach Südamerika steigen?

Leas Pass wurde von Lorenzo bei einer Schweizer Vertretung in Spanien annulliert, wie Roxane vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) erfuhr. «Er hat Dokumente gefälscht, eine Kopie meines abgelaufenen Passes vorgelegt – schau dir das Datum an! – und, indem er sich mit einer gefälschten E-Mail-Adresse als mich ausgab, gelang es ihm, einen provisorischen Pass für die Kleine zu beschaffen.»

Blick konnte die E-Mail-Konversation zwischen dem Schweizer Konsulat in Madrid und der gefälschten E-Mail-Adresse im Namen von Roxane sowie die gefälschten Dokumente mit der identischen Handschrift von Roxane einsehen.

Der Wendepunkt in der Geschichte

Roxane lässt sich nicht unterkriegen. Sie nimmt Kontakt mit der Organisation Missing Children auf. Gemeinsam mit Lauriane lässt sie alle offiziellen und gerichtlichen Dokumente ins Portugiesische übersetzen. «Drei Wochen lang hörten wir nichts mehr von der Polizei», erinnert sich Roxane. Am 4. September rief sie das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) an, um zu erfahren, ob die Interpol-Vermisstmeldung verbreitet worden war. «Man sagte mir, ich solle mir keine Sorgen machen, die Mädchen seien bei ihrem Papa.»

Das ist der Wendepunkt in dieser Geschichte. Roxane beschliesst, nach Brasilien zu reisen. «Am 7. September sassen mein Freund und ich im Flugzeug. Am 8. September hatte ich einen Termin mit einer brasilianischen Organisation, die mit Missing Children in Verbindung steht und Suchanzeigen in sozialen Netzwerken veröffentlicht. Kurz darauf meldete sich eine Frau. Sie sagte, sie habe die Mädchen am 5. September auf dem Flughafen in Rio de Janeiro gesehen.»

Roxane (rechts) am Set der brasilianischen Sendung «Domingo Espetacular», an der Seite der Journalistin Patrícia Ferraz.
Foto: zvg

Am Wochenende zeichnete Roxane mit der Organisation eine Episode der Sendung «Domingo espetacular» des mächtigen brasilianischen Privatsenders Record TV auf. «Ich habe mich nicht wohlgefühlt, ich spreche kein Portugiesisch, aber ich war zu allem bereit», erinnert sich die Mutter.

Termin bei Interpol

«Ich stellte fest, dass in Brasilien niemand von der Vermisstenanzeige zu wissen schien. Also ging ich zur Zivilpolizei, um Anzeige zu erstatten.» Das war am Montag, dem 11. September. «Dort nahm man mich sofort ernst. Die Bundespolizei wurde alarmiert und die Fahndung begann. Ich stand auch in Kontakt mit dem Schweizer Konsulat.»

Am 12. September fand ein Treffen mit dem Leiter des Interpol-Büros in São Paulo statt. Dieser informiert Roxane, dass zwei Beamte genau in diesem Moment Lorenzo, Lea und Vanessa «im Visier» hätten. Die drei befänden sich an einem Strand in Florianopolis im Süden des Landes.

Moment überwältigender Freude

«Ich ging zum Generalkonsulat. Der Vizekonsul stieg mit mir in das erste Flugzeug nach Florianopolis. Auf dem Rollfeld empfing uns die Polizei, es gab sogar einen Beamten, der Französisch sprach.»

Auf der Wache warten Lea und Vanessa – für Roxane ein Moment überwältigender Freude und riesiger Emotionen! Doch Lorenzo wurde von der Polizei nicht länger festgehalten, wie sie erfährt. Gab es nicht einen internationalen Haftbefehl?

Hier schliesst Roxane die beiden Mädchen auf der Polizeistation in Florianopolis in die Arme.
Foto: zvg

Die politischen und juristischen Behörden, die von Blick kontaktiert wurden, geben darüber keine Auskunft. Loïc Parein, Laurianes Anwalt, betont jedoch, dass ein Polizeibericht vom 19. Oktober keinen Hinweis auf einen internationalen Haftbefehl enthält.

Verfahren in Brasilien

«Der Honorarkonsul von Florianopolis empfing uns in seiner Privatwohnung», fährt Roxane fort. Die Mutter machte sich Sorgen: Weil in Brasilien ein Verfahren eingeleitet wurde, könnten die Kinder für die Dauer der Ermittlungen in ein Heim kommen. Und das könnte mehrere Monate dauern.

«Am nächsten Morgen teilte mir der Vizekonsul mit, dass wir das Land verlassen können, wenn wir sofort abreisen.» Roxane fuhr mit den Kindern zum Flughafen. «Wir passierten von der Bundespolizei begleitet die Passkontrolle», erinnert sie sich. «Am 14. September sprang Vanessa in Zürich ihrer Mutter in die Arme.»

«Sie dachte, sie würde mich nie wieder sehen»

Lauriane erzählt, ihre Tochter sei in einem Zustand der Verzweiflung gewesen. «Sie dachte, sie würde mich nie wieder sehen.» Lorenzo habe ihr nicht nur gesagt, dass ihre Mutter sehr krank sei, sondern auch, dass sie sich umbringen werde. «Das ist unmenschlich!» Vanessa erzählte auch, einen «heftigen Schlag auf den Kopf, eine heftige Ohrfeige» erhalten zu haben.

Die Neunjährige habe sich tapfer um ihre kleine Halbschwester gekümmert, erzählen die beiden Mütter. «Lorenzo hat die Mädchen sogar eine Nacht allein gelassen», sagt Roxane wütend.

Sowohl die Mädchen als auch die Mütter werden in der Schweiz psychologisch betreut. Das Ganze hat aber auch finanzielle Folgen für die beiden Frauen. Die Freiburger Sozialdienste sowie die Opferhilfe halfen ihnen finanziell. «Aber es geht insgesamt um mehrere Zehntausend Franken, und wir wissen nicht, wie viel wir zurückbekommen werden», sagt Roxane.

Tinder-Profil wirft Fragen auf

Auf Tinder signalisiert Lorenzo seinen Wunsch, in Brasilien weitere Kinder zu bekommen.
Foto: Screenshot Tinder

Lorenzo scheint in Brasilien eine gute Zeit zu haben. Auf seinem Whatsapp-Profilbild zeigt er sich mit einem breiten Lachen. Auf Tinder, wo der 30-Jährige einen vom Sport geformten Körper präsentiert, gibt er an, er halte sich in Pirenopolis im Bundesstaat Goiás auf. Vor allem aber nutzt er die Dating-App aus einem Grund, wie er im Profil klarstellt: um sich zu vermehren («breeding only»).

Von diesem «sehr gut aussehenden, intelligenten, charmanten und galanten» Mann wurde Roxane seinerzeit auch auf Tinder verführt. «Er war überglücklich, als ich nach nur drei Monaten zufällig schwanger wurde.»

Nach einer Zeit des Hochs merkten sowohl Roxane als auch Lauriane, dass sie in einer missbräuchlichen Beziehung mit einem «narzisstischen Perversen» lebten, der die Angewohnheit hatte, sie zu betrügen. Die beiden Mütter beschuldigen Lorenzo auch, sich nicht richtig um seine Töchter gekümmert zu haben, als sie in seiner Obhut waren.

Schwieriges Sorgerecht

Roxane schildert einige Beispiele: «Lea kam vom Wochenende mit ihm oft mit dehydrierten Lippen zurück. Sie war zudem erschöpft. Lorenzo hat sie auch schon bis spät in die Nacht zu Partys mit Freunden mitgenommen.» In der Folge wurde ihm das Besuchsrecht sowohl für Lea als auch für Vanessa entzogen. Später konnte er es wieder zurückerhalten.

Hat die Justiz Fehler gemacht? «In Sorgerechtsverfahren ist es immer schwierig, zu erkennen, ob die Angst vor einer Entführung begründet ist oder ob es sich um eine Strategie der anderen Partei handelt», sagt Roxanes Anwältin Marlène Jacquey.

Roxane ist sehr kritisch gegenüber den Schweizer Behörden. Ihre Anwältin beschwichtigt. «Die Arbeit wurde getan», versichert sie. «Aber für eine Mutter, deren Kind entführt und ans andere Ende der Welt gebracht wurde, kann nichts schnell genug gehen. Ich verstehe sie.»

Anwalt Loïc Parein ist überrascht, dass Lorenzo so leicht einen Notpass für seine Tochter bekommen konnte, die nicht einmal dessen Nachnamen trägt.
Foto: KEYSTONE/CYRIL ZINGARO

Parein, der Anwalt von Lauriane, ist nicht ganz so positiv gestimmt: «Trotz aller internationalen und nationalen Regeln und Grenzkontrollen, insbesondere an Flughäfen, ist es auch heute noch möglich, dass ein Vater unerlaubt den Schengenraum verlässt und mit zwei kleinen Mädchen nach Brasilien einreist, von denen eines nicht einmal den gleichen Nachnamen trägt wie er!»

Freiburger Staatsanwaltschaft bestätigt Verfahren

Das EDA und das EJPD machen auf Anfrage von Blick keine Angaben zu Einzelfällen. Die Freiburger Polizei verweist auf die Staatsanwaltschaft, die lediglich bestätigt, dass gegen den Beschuldigten ein Strafverfahren wegen Entführung Minderjähriger eröffnet wurde. Gleichzeitig wird die Unschuldsvermutung betont.

Die Waadtländer Polizei erklärt, sie habe die Meldung über das Verschwinden von Lea und Vanessa «sehr ernst» genommen und bedauert, dass «bestimmte Äusserungen von Polizisten» Roxane verletzt hätten. Es fand auch eine Mediationssitzung statt.

Tanz-Video mit den Mädchen

Lorenzo, der für Blick über Whatsapp erreichbar war, scheint das Problem nicht zu verstehen. Am 5. Dezember weicht er unangenehmen Fragen aus: «Kuckuck, alles gut? Ist die Stimmung gut?», schreibt er zurück. «Danke für deine Nachricht! Ich bin gerade auf Reisen, aber ich werde dir antworten, sobald ich etwas Zeit habe.»

Auf seinem Whatsapp-Foto zeigt sich Lorenzo bei bester Laune.
Foto: Screenshot Whatsapp

Der Vater schickt auch zwei Videos, die zeigen, wie Lea vor den Augen ihrer Halbschwester vor einem Bildschirm tanzt, «als wir bei unserem Gastgeber in Rio waren». «Vanessa und ich werden echte Rockstars sein», schreibt er ironisch. «Wir waren bereits im brasilianischen Fernsehen und bald sind wir in einem Sensationsblatt! Das wird uns auf jeden Fall schöne Erinnerungen bringen.»

Die wichtigen Fragen bleiben offen: Was sagt er zum Vorwurf der Entführung? Warum brachte er die Mädchen nach Brasilien, ohne ihre Mütter zu informieren? Wird er zu seinen Töchtern in die Schweiz zurückkehren? Wie beurteilt er seine Beziehung zu Roxane und Lauriane, die sie als missbräuchlich beschreiben?

«Bild eines entführenden, missbrauchenden Vaters»

Nach wiederholter Aufforderung schreibt Lorenzo, er könne sich gegen die Vorwürfe nicht wehren. Die Aufgabe der Journalisten würde ohnehin darin bestehen, «das Bild eines entführenden und potenziell missbrauchenden Vaters zu zeichnen».

Anstatt die Fragen zu beantworten, schlägt er weitere, «relevantere» Fragen vor: «Wie war unser Aufenthalt in Brasilien? Wie haben sich die Mädchen verstanden? Wie haben sie miteinander und mit der lokalen Bevölkerung kommuniziert? Wie wurden wir von den Brasilianern behandelt? Welche Sprache haben wir gesprochen?»

Der Aufenthalt sei traumhaft gewesen, beantwortet Lorenzo seine eigenen Fragen. Lea habe neue Wörter in Zeichensprache und auf Englisch und neue Tanzschritte gelernt.

Vanessa habe ihn mit ihrem Enthusiasmus, andere Sprachen zu lernen, beeindruckt. Sogar Japanisch sei darunter. «Da ich selbst eine Leidenschaft für Kalligraphie und in Schanghai Mandarin gelernt habe, haben wir uns jeden Tag daran gemacht, ein neues chinesisches Schriftzeichen zu lernen und die Striche, aus denen es besteht, zu perfektionieren.» Vanessa habe auch Portugiesisch gelernt und sich mit ihren Spielkameraden auf Englisch unterhalten.

«Die Mädchen tobten sich aus und wir lernten sehr nette Leute kennen!» Dann erzählt Lorenzo von einer Situation, als er sich mit den beiden Töchtern in Rio mit dem Gepäck abmühte. «Polizisten boten uns an, uns mit einem Fahrzeug zu unserer Airbnb-Unterkunft ein paar Blocks weiter zu eskortieren.» Das sei unter den gegebenen Umständen schon sehr speziell gewesen, ergänzt er mit einem Zwinker-Smiley.

Er sieht sich als Opfer

Lorenzo erklärt schliesslich, weshalb er sich mit seinen Kindern auf einen anderen Kontinent abgesetzt hat. Im Zentrum seiner Argumentation steht «das Leiden der Väter», die nur dafür da seien, «den Unterhalt zu zahlen und den Mund zu halten». Oft gebe es keine Möglichkeit, sich gegen den Willen der Mütter zu wehren, die bereit seien, der Beziehung zwischen Kindern und Vater zu schaden.

Die Schweizer Justiz bringe Väter um ihr Geld und um ihr Recht, ihre Kinder zu sehen, schreibt Lorenzo. Deshalb habe er sich für «diese Aktion» entschieden. «So grausam und schmerzhaft sie auch gewesen sein mag! Wie kann ich meine Kinder vor einer solch bösartigen Situation und meine Rolle als Elternteil schützen, die – angefangen bei der Justiz – von allen vernachlässigt wird?»

Bis zu fünf Jahre Gefängnis

Lorenzo räumt ein, dass er nach der Geburt von Vanessa und in der Beziehung zu Lauriane Fehler gemacht habe. Er bedauere zudem, dass er Vanessa über den Geisteszustand ihrer Mutter «belügen musste» und seiner Freundin das Herz gebrochen habe, als er «spontan abreiste».

In der Schweiz drohen Lorenzo bis fünf Jahre Gefängnis. Roxanes Anwältin Jacquey geht von einer milderen Strafe aus: «Dann werden die beiden Mütter mit der Angst leben müssen, dass er es wieder tun wird.»

* Namen bekannt
** Namen geändert
 

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