Experte erklärt, warum die Generation Z nicht spart
«Die Zukunft ist für junge Menschen unlesbarer geworden»

«Ich bekomme ja eh nie eine Rente», sagen viele Junge. Das motiviert die Generation Z nicht zum Sparen, sagt der Jugendforscher Sandro Cattacin.
Publiziert: 23.09.2024 um 13:56 Uhr
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Aktualisiert: 24.09.2024 um 09:09 Uhr
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Jugendforscher Sandro Cattacin.
Foto: Le Temps / Eddy Mottaz

Auf einen Blick

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Conny Schmid
Beobachter

Herr Cattacin, Sie sind 61. Wann haben Sie angefangen, Geld zu sparen aufs Alter?
Eigentlich gar nicht. Ich habe ab 18 Jahren in meine AHV eingezahlt, obwohl ich als junger Erwachsener noch eine Zeitlang in Italien gelebt hatte. Danach habe ich ganz normal in die Pensionskasse eingezahlt. Das Geld aus der dritten Säule habe ich für anderes verwendet. Ich muss mir aber keine Sorgen machen, dass es finanziell mit AHV und Pensionskasse nicht reichen wird.

Das ist heute anders. Gerade von jungen Menschen hört man immer wieder mal den Spruch «Ich bekomme ja eh nie eine Rente». Trotzdem sparen viele von ihnen aber nicht freiwillig aufs Alter. Was hält sie davon ab?
Um zu sparen, muss man erst einmal Geld haben. Die meisten jungen Leute haben das nicht, und wenn sie mal etwas Geld übrig haben, geben sie es lieber aus, um ein wenig glücklich zu sein. Es wäre vielleicht logisch, zu sparen, aber viele können es gar nicht. Andere sagen: Ich bin noch jung, ich will erst mal leben. Vor allem ist ja aber einfach nichts mehr sicher. Die Jungen von heute erleben, wie die Reallöhne sinken, wie die Kaufkraft sinkt. Was heute sinnvoll erscheint, ist morgen falsch. Wer weiss schon, was in 40 oder 50 Jahren sein wird? Das ist ein viel zu langer Zeithorizont.

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Das klingt ein wenig nach Ausrede. Wenn Sie den Zinseszinseffekt beachten, ist es eigentlich klar, dass sich Sparen schon bei kleinen Beträgen lohnt – und zwar umso mehr, je früher man damit anfängt. Bei Aktienanlagen können Sie langfristig mit fünf bis sechs Prozent Ertrag pro Jahr rechnen.
Aktien sind etwas für Leute mit Geld. Ausserdem sind das die durchschnittlichen Kursgewinne aus der Vergangenheit. Niemand weiss, was die Zukunft bringt. Vor ein paar Jahren hätte auch niemand gedacht, dass es die Credit Suisse einmal nicht mehr geben wird. Die jungen Menschen machen sich viele Gedanken über die Zukunft, aber sicher nicht über ihre Altersvorsorge. Das ist viel zu weit weg von ihrer Lebensrealität.

Laut dem Sorgenbarometer steht die AHV auf Platz 2 bei den grössten Sorgen der Generation Z, also den zwischen 1997 und 2012 Geborenen.
Solche Erhebungen sind problematisch, weil die Antworten aus einer Liste gewählt werden und nicht aus einem Gespräch kommen. Da spielt dann vieles eine Rolle, zum Beispiel, ob gerade wieder einmal über die AHV abgestimmt wird. Unsere Studien zeigen jedenfalls, dass sich die Jungen viele Sorgen um die Zukunft machen. Aber ihnen geht es dabei um die Zukunft der Welt. Ihre eigene Zukunft planen sie nicht so langfristig. In Umfragen wie der Shell-Studie beantworteten sie früher die Frage nach ihren persönlichen Zukunftsplänen mit Berufsausbildung, Familie, Auto, Haus kaufen. Das ist eine Perspektive von 20 bis 30 Jahren. Wenn Sie heute Jugendliche fragen, dann sagen sie so etwas wie «Ich möchte meine Ausbildung abschliessen und dann mal sehen». Das ist ein Planungshorizont von vielleicht 18 Monaten.

Warum ist das so?
Sie kennen die Geschichten von Jobverlust, Wohnungswechseln, Berufswechseln nicht nur vom Hörensagen, sondern aus ihren eigenen Familien. Sie lernen: Nichts hat auf Dauer Bestand, es ist in unserer heutigen Welt gar nicht möglich, langfristig vorauszuplanen. Die Zukunft ist unlesbarer geworden.

Krisen und Zukunftsängste gab es doch auch in früheren Generationen, genauso wie Jugendliche ohne Hoffnung. Denken wir an die Punkbewegung, da hiess es «No Future». Was ist heute anders?
Wir befinden uns tatsächlich in einer sehr ähnlichen Konstellation und stehen möglicherweise vor einem grösseren sozialen Wandel. Wenn Sie die Geschichte verfolgen, ging Wandel immer von den Jungen aus. Und immer gab es zuvor ähnliche Anzeichen wie höhere Depressionsraten und eine allgemeine Hoffnungslosigkeit mit Blick auf die Zukunft. In der Folge von 1968 hatten wir eine destruktive Jugendkultur. Es war heroisch, jung zu sterben, zum Beispiel durch Heroin. Diese Bewegung war darauf ausgelegt, nicht in die Zukunft zu schauen. Auch die Punkbewegung in den 1980er-Jahren ging einher mit erhöhten Suizidraten und einer grossen Perspektivlosigkeit. Rückblickend war dies ein Anzeichen für Wandel.

Und heute?
Schon vor der Covid-Pandemie stieg die Zahl von Jugendlichen an, die Suizidgedanken oder psychische Probleme hatten. Im Vergleich zu früheren Krisen leiden die Jungen aber viel stärker unter einer Welt, die nach Apokalypse klingt. Es geht nicht mehr hauptsächlich um subjektive Autonomie, Identität oder Intimitätsfragen, sondern um den Zustand der Welt. Klimaveränderung, Diskriminierung einzelner Bevölkerungsgruppen, Kriege – alles kommt zusammen. Die Verursacher dieser Krisen sind diejenigen, die heute das Sagen haben. Von ihnen wollen sich die Jungen emanzipieren.

Ist das Reden von der Rente, die man nie bekommen wird, also Ausdruck einer Wut auf die älteren Generationen, die nicht dafür gesorgt haben, dass man sich nicht sorgen muss?
Möglich. Wut ist eine Voraussetzung für Wandel. Typischerweise beginnt Wandel mit einem Leiden. Im besten Fall wird dieses Leid mit anderen geteilt, daraus entwickelt sich Wut, und diese wird dann rationalisiert. Aber wie gesagt ist die Altersvorsorge eigentlich kein grosses Thema bei den Jungen. Die Themen, die sie beschäftigen, sind Ökologie, Diskriminierung, Krieg. Das spiegelt sich auch in den sozialen Bewegungen unserer Zeit wie Fridays for Future, Black Lives Matter oder Me Too.

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