Herr Walpen, Sie haben nach Ihrem Abgang als Generaldirektor 2010 angekündigt, sich nie mehr öffentlich über die SRG zu äussern. Jetzt tun Sie es trotzdem.
Armin Walpen: Mir geht es nicht um die operative Ebene der SRG. Es geht nicht um Gilles Marchand oder Nathalie Wappler, die einen guten Job machen. Es geht auch nicht um die Qualität der Programme, das ist nicht das Thema.
Sondern?
Die Halbierungs-Initiative bedroht die SRG existenziell. Aber lassen Sie mich etwas ausholen. 1974 begann ich bei Bundesrat Willi Ritschard im Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement. Damals war ich im Grunde der Einzige, der sich mit Radio und Fernsehen befasste. Zu jener Zeit, Ende der Siebzigerjahre, erlebte die SRG eine Krise: Generaldirektor Stelio Molo wurde politisch angegriffen, er hatte einige Probleme mit Bundesbern. Und wie heute ging es damals um die Frage, wie man den Kontakt mit der Politik verbessern kann. Man musste jemanden finden, der zwischen der SRG und der Politik Brücken bauen konnte.
Und wie gingen Sie vor?
Ritschard fragte mich: Wie kann man Stelio Molo zum Verständnis dafür bewegen, dass es einen Wechsel braucht? Molo war damals 65 Jahre alt. Ich antwortete: Man müsste Molo verständlich machen, dass man bei diesem Job mit 65 in Pension geht. Was dann auch geschah. Anschliessend schlug Ritschard den Gremien der SRG zu meinem Erstaunen den mindestens gleichaltrigen, politisch erfahrenen Nationalbankdirektor Leo Schürmann vor. Jetzt sehen Sie, was ich meine.
Bitte erklären Sie es!
Es braucht auch heute an der Spitze der SRG wieder ein politisches Schwergewicht. Die SRG hat nicht das Problem, dass es ihr an Fachwissen fehlt. Heute braucht es jedoch zwingend jemanden, dem es gelingt, den Dialog und die Kritik ernst zu nehmen sowie hinzustehen – der sich den Angriffen gegen die SRG stellt, auch entgegenstellt.
An wen denken Sie da?
Wenn man ein Schwergewicht der SVP finden könnte, wäre das ideal. Dies dürfte allerdings schwierig sein. Aber es könnte auch ein Schwergewicht aus der FDP sein, zum Beispiel Thierry Burkart oder Damian Müller.
Das sind gestandene Politiker, aber wie viel Ahnung haben diese Herren von Radio und Fernsehen?
In der jetzigen Situation ist das nicht zentral. Kluge Politiker lernen schnell. Zudem haben wir professionelles Fachwissen in der SRG haufenweise. Gilles Marchand ist übrigens einer der besten Fachleute auf seinem Gebiet, vielleicht sogar international. Auch Nathalie Wappler und ihre Kolleginnen und Kollegen sind fachlich sehr gut. Es mangelt indessen an politischer Vernetzung der institutionellen Seite der SRG. Das fiel mir schon bei der No-Billag-Initiative auf, aber damals agierte die SVP nicht gerade clever. Inzwischen ist sie taktisch eindeutig besser geworden, die Motive sind immer noch die gleichen.
Wie meinen Sie das?
Mit der Halbierungs-Initiative können sie die Story erzählen, dass sie nicht gegen die SRG und den Service public an sich seien, sondern nur gegen die SRG, wie sie heute ist. Das ist eine geschickte Argumentation.
Die politischen Verhältnisse haben sich geändert, und zwar zuungunsten der SRG.
Richtig – zu meiner Zeit hatte ich die damalige CVP hundertprozentig hinter der SRG. Auch die FDP stand der SRG vielleicht damals insgesamt näher. Dazu kamen eine Minderheit in der SVP sowie die Romandie, die Rätoromanen und die italienische Schweiz. Damit konnten wir immer Mehrheiten schaffen, wenn es darauf ankam. Heute ist die Mitte leider am Wackeln …
… mit ihrem SRG-kritischen Präsidenten Gerhard Pfister.
Nun geht es um die Frage, wie man da wieder rauskommt.
Und wie?
Ich würde mir überlegen, ein Schwergewicht der bürgerlichen Seite an Bord zu holen. Es sollte keiner von links sein. Heute geht es darum, wie man die Existenz der SRG retten kann. Zwar gab es schon zu Ritschards Zeiten mit dem «Hofer-Club» Versuche, die als links verschriene SRG zu bändigen, was nie richtig gelang: Seit über 50 Jahren versucht die Schweizerische Volkspartei die SRG zu liquidieren oder zu schwächen. Das ist eigentlich bemerkenswert für eine Partei, die sonst das Schweizerische über alles stellt. Aber heute sind die Gegner klüger. Gregor Rutz, Roger Köppel, Thomas Matter, und wie sie heissen, argumentieren: Wir sind für ein landesweites Fernsehen und Radio, aber das kann man mit der Hälfte der Gebühren machen. Nur sagen sie nicht, wie. Ich wette mit Ihnen: Kommt diese Initiative durch, ist die Existenz der SRG mittelfristig gefährdet.
Wenn man den Initianten glaubt, geht es auch mit einem abgespeckten Angebot.
Aber welcher Gebührenzahler will noch für ein schlecht gemachtes Programm oder ein Angebot zahlen, das ihn weitgehend nicht mehr interessiert? Service public ist nach schweizerischem Recht ein umfassendes Konzept. Das beschränkt sich nicht auf Polit- und Kultursendungen oder Formate mit möglichst geringem Publikum. Service public kann nicht auf Service sans public reduziert werden. So gesehen gehören zum Service public auch «Mini Chuchi, dini Chuchi», «Uf u dervo», «Tschugger», «Bestatter», die Lauberhorn-Abfahrt, Adelboden oder «Meteo». Und jetzt kommen wir zum eigentlichen Problem.
Welches meinen Sie?
Die SRG hat insgesamt zu wenige Personen, die öffentlich hinstehen und Gewicht haben. Ich meine hier die institutionelle Seite der SRG. Kennen Sie ausser dem Präsidenten Jean-Michel Cina ein Verwaltungsratsmitglied, das je nach vorne getreten wäre und im Land einigermassen bekannt ist? Das sind politisch eher Leichtgewichte. Bei den Regionalverbänden ist es nicht anders, insbesondere in der Deutschschweiz. Das sind Menschen, die vermutlich ungern ihre Komfortzone verlassen – auch wenn sie aus meiner Sicht gerade dazu da wären! Würde es jemand merken, wenn man diese Funktionen abschafft? Mir geht es also um diese Seite, nicht um das Management, das einen guten bis sehr guten Job macht. Die Trägerschaft der SRG müsste von Grund auf reformiert werden. Ein starker politischer Generaldirektor könnte hier einiges erreichen.
Der Oberwalliser Armin Walpen (75) absolvierte an der Uni Freiburg ein Jusstudium und heuerte 1974 beim Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement an. Dann wechselte er zum «Tages-Anzeiger» und wurde 1991 Generalsekretär beim Justiz- und Polizeidepartement. Von 1996 bis 2010 prägte das CVP-Mitglied als SRG-Generaldirektor wesentlich die schweizerische Medienlandschaft mit. Walpen lebt in Zürich und ist mit der ehemaligen FDP-Nationalrätin Doris Fiala liiert.
Der Oberwalliser Armin Walpen (75) absolvierte an der Uni Freiburg ein Jusstudium und heuerte 1974 beim Eidgenössischen Verkehrs- und Energiewirtschaftsdepartement an. Dann wechselte er zum «Tages-Anzeiger» und wurde 1991 Generalsekretär beim Justiz- und Polizeidepartement. Von 1996 bis 2010 prägte das CVP-Mitglied als SRG-Generaldirektor wesentlich die schweizerische Medienlandschaft mit. Walpen lebt in Zürich und ist mit der ehemaligen FDP-Nationalrätin Doris Fiala liiert.
Wie schätzen Sie Albert Rösti ein? Er war im Initiativkomitee.
Ich muss mit ihm nicht einverstanden sein, aber er ist ein guter Bundesrat. Er geht sehr geschickt vor – auch was die SRG angeht. Er lässt es ein bisschen laufen und schlägt vor, die Gebühren von 335 auf 300 Franken zu senken. Das sind monatlich nicht einmal drei Franken. Neun Rappen am Tag. Macht das Sinn?
Die Initianten hingegen wollen auf 200 Franken hinunter. Welche Auswirkungen auf das Programm befürchten Sie?
Um nur einen Bereich herauszuheben: Welcher Sport wird nach einer Annahme der Initiative noch ausgestrahlt? Vielleicht Bogenschiessen und ein bisschen Hornussen. Und glauben Sie ernsthaft, dass die Privaten dann noch das Lauberhorn übertragen? Die Gegner überlegen sich zu wenig. Und die audiovisuelle Welt, der Film, die überlebt doch auch dank der SRG. Das interessiert die Gegner keinen Deut, könnte man meinen. Wäre ich Generaldirektor und die Halbierungs-Initiative käme durch, würde ich beantragen, die SRG so rasch wie möglich zu liquidieren, damit nicht noch ein Haufen Geld für nichts ausgegeben wird. Das Drama ist: Niemand steht auf! Alle haben Angst vor der SVP.
Ganz anders als Sie …
Deshalb hatte ich gewisse Schwierigkeiten als Generaldirektor (lacht). Aber die Abstimmung wird nicht wegen ein paar linksgestrickter Politsendungen entschieden, sondern durch die Frage, ob der einzelne Bürger, die einzelne Bürgerin das Gefühl hat, dass er oder sie für die Gebühren etwas bekommt, was sie auch interessiert.