Am 5. April begleitete Azra Waraich (63) ihren Sohn Abdul (41†) zum Flughafen Zürich Kloten. Es war der Tag nach seinem 41. Geburtstag. Der Software-Ingenieur und Bergsteiger war auf dem Weg nach Nepal zum letzten Gipfel seines Projekts «Seven Summits», die Besteigung der höchsten Berge der sieben Kontinente. «Ich schenkte ihm eine extra leichte Kamera und etwas Geld», sagt Azra Waraich zu Blick. Sie erinnert sich genau: «Als er durch die Kontrolle ging, winkten wir uns zum Abschied ganz lange zu.» Es war das letzte Mal, dass die Rentnerin ihren Sohn lebend gesehen hat.
Ein Tod, der 6900 Kilometer entfernt in Urdorf ZH betrauert wird. Eine Trauer, unter die sich Stolz mischt. Obwohl Abdul Waraich in den Bergen sein Leben verloren hat, schwärmen seine Eltern am Tag nach dem Verlust ihres Sohnes ob den Leistungen ihres Abduls. Wenn sie über seine Leidenschaft sprechen, ist der Schmerz für kurze Zeit vergessen. «Er liebte die Berge. Mit der Besteigung des Mount Everest hat er sein Ziel erreicht», sagt sein Vater Hossein Waraich (71). «Er hat die höchsten Berge der sieben Kontinente bezwungen. Er hat 2014 mit dem Bergsteigen begonnen, es war schnell seine grosse Leidenschaft. Er war ein sehr guter Bergsteiger.» Er habe sich die 40'000 Franken für die Expedition auf den Mount Everest selber finanziert. Selbst seine Software-Firma benannte er nach dem Projekt.
Flucht von Pakistan in die Schweiz
Auf den sieben Gipfeln habe er immer drei Flaggen deponiert: die Schweizerfahne, die pakistanische Flagge sowie die Fahne der Ahmadiyya Muslim Jamaat – seiner Glaubensgemeinschaft. Die muslimische Reformbewegung lag ihm am Herzen. Sie war Teil seiner Geschichte. Wegen deren Verfolgung in Pakistan flüchteten seine Eltern vor 31 Jahren in die Schweiz. Abdul Waraich war damals zehneinhalb Jahren alt.
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Der junge Pakistani legte von Beginn weg in der Schweiz eine Musterkarriere hin: Er ging in St. Gallen ans Gymnasium, liess sich einbürgern, studierte an der ETH Zürich und Lausanne sowie an der HSG und schloss erfolgreich als Informatiker ab. Wie seine Eltern stolz zu Blick sagen, hatte er, wie auch sein jüngerer Bruder, erfolgreich doktoriert, geforscht und gearbeitet. Es ist die Bilderbuch-Karriere eines Einwanderers.
Umzug nach Deutschland
Vor zwei Jahren kaufte Abdul Waraich in der Nähe von Waldshut (D) ein Haus und zog mit seiner Frau und den fünf Kindern dorthin, ganz in der Nähe der Grenze. Die Verbundenheit zu seiner zweiten Heimat verlor er trotzdem nie. Wie seine Eltern sagen, arbeitete er bis zu seinem Tod in der Schweiz, unter anderem für die Swisscom.
Abdul Waheed Waraich sei ein äusserst aktives Mitglied der Ahmadiyya Muslim Jamaat gewesen, sagt Zahid Butt, Sprecher der Schweizer Religionsgemeinschaft. Er sei bei ihnen in verschiedenen ehrenamtlichen Positionen tätig gewesen. Unter anderem habe er von 2008 bis 2014 die Jugendorganisation geleitet.
«Er war wie ein grosser Bruder und Mentor»
«Für die Jugendlichen war er wie ein grosser Bruder und Mentor, den wir immer um Rat und Unterstützung bitten konnten, wenn es um Fragen der Integration, Bildung und Weiterbildung oder um Privates ging. Er war für alle zugänglich und stets freundlich und half vielen Jugendlichen, in der Schweiz eine Perspektive zu finden», sagt Zahid Butt. «Die Nachricht von seinem Tod stimmt uns sehr traurig.»
Die Eltern des verstorbenen Alpinisten reisen am Freitag nach Waldshut. «Wir wollen unserer Schwiegertochter und den Enkeln Kraft geben in dieser schwierigen Zeit», sagt Azra Waraich. «Auch uns geht es schlecht, aber wir wollen in dieser schwierigen Zeit zusammenhalten.»
Am 5. Juni hätte Abdul Waraich zurück sein wollen. Genau zwei Monate nachdem er seiner Mutter in Kloten auf Wiedersehen sagte. Stattdessen muss Azra Waraich jetzt seine Beerdigung planen. Wann und wie diese stattfinden wird, ist unklar. Sie weiss: «Die Bergung einer Leiche am Mount Everest ist schwierig.»
Viele Leichen von verunglückten Alpinisten werden nie vom Mount Everest geborgen. Von insgesamt mehr als 300 sei noch etwa die Hälfte dort, heisst es vom nepalesischen Tourismusministerium. Eine Leichenbergung sei schwierig und teuer, koste umgerechnet zwischen 25'000 und über 60'000 Franken, sagt der amerikanische Bergsteiger und Blogger Alan Arnette.
Meist rücke ein Team aus sechs bis zehn erfahrenen Sherpas mit Sauerstoffflaschen aus, ein Hubschrauber fliege die Leiche schliesslich vom Berg. Einige Familien liessen ihre gestorbenen Angehörigen aber auch dort, weil sie den Berg so geliebt hatten. Insgesamt waren im Laufe der Jahre mehr als 10'000 Menschen auf dem höchsten Berg der Welt, wie Daten des Expeditionsarchivs «Himalayan Database» zeigen.
Noch 2020 hatte Nepal den Everest wegen Corona für Alpinisten gesperrt. Doch dieses Jahr ist das anders - das Land braucht das Geld. Schon eine Bewilligung, die die Ausländer für die Besteigung erwerben müssen, kostet rund 10'000 Franken. (cat/SDA)
Viele Leichen von verunglückten Alpinisten werden nie vom Mount Everest geborgen. Von insgesamt mehr als 300 sei noch etwa die Hälfte dort, heisst es vom nepalesischen Tourismusministerium. Eine Leichenbergung sei schwierig und teuer, koste umgerechnet zwischen 25'000 und über 60'000 Franken, sagt der amerikanische Bergsteiger und Blogger Alan Arnette.
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