Auf einen Blick
- Ungewohnt harter Kampf ums Gemeindepräsidium im Münstertal
- Spaltung in zwei Lager trübt Erntedankfest
- Die beiden Kandidaten decken sich mit Vorwürfen ein
In sanften Herbstfarben erstreckt sich das Münstertal hinter dem Ofenpass bis an die Grenze zu Italien. Nicht einmal 1500 Einwohner sind in diesem halben Dutzend Ortschaften zu Hause, die zur Gemeinde Val Müstair zählen. Besucher wähnen sich – angesichts wenig berührter Natur und wunderschöner Dörfer – inmitten der perfekten Idylle. Doch vor dem Erntedankfest an diesem Sonntag halten viele Einheimische den Atem an: Eine Woche vor dem zweiten Wahlgang für das Gemeindepräsidium sind die Nerven hier bis zum Zerreissen gespannt.
In der ersten Runde hat Amtsinhaberin Gabriella Binkert Becchetti (64, SVP) das absolute Mehr bloss um eine Stimme verfehlt, nun möchte der verbliebene Herausforderer Thomas Schadegg (55, Mitte) endgültig das Blatt wenden. Seit dem ersten Urnengang vom 22. September hat sich der Ton der Debatte zusehends verschärft, eine Flut von Flugblättern ergiesst sich über Stimmbürgerinnen und -bürger. Verfasst sind sie in ruppigen Tönen, wie sie in der Münstertaler Öffentlichkeit bisher kaum zu vernehmen waren – wohlgemerkt von beiden Seiten.
Mit harten Bandagen
Binkert Becchetti erlangte 2010 durch einen Dokumentarfilm nationale Bekanntheit. Die Frau, die vor allem in Ausländer-Fragen am rechten Rand der Volkspartei politisierte, wurde sogar als «Talkönigin» bezeichnet. Das SRF war für den Dreh mit der dunkelhäutigen SVP-Politikerin eigens nach Nigeria gereist, um ihre Wurzeln zu suchen.
In vier Jahren als Gemeindepräsidentin habe sie nichts erreicht, geblieben seien bloss leere Versprechen, sagt Widersacher Thomas Schadegg nun. Wie Binkert Becchetti gehört er dem siebenköpfigen Gemeindevorstand an, der Exekutive von Val Müstair. Schadegg misstraut seiner Gegnerin, verlangt für die Auszählung der Stimmen sogar Wahlbeobachter. Das sei nicht angezeigt, man sei nicht in einer «Bananenrepublik», kontert die Präsidentin.
«Nur noch Mitleid»
Auf Instagram betont Binkert Becchetti, Wahlkampf habe mit Charakter und Respekt zu tun. Und sagt zugleich: «Wenn man die eigene Unfähigkeit mit Lügen aufwiegen muss, dann habe ich nur noch Mitleid.» Trumpsche Parolen im friedlichen Münstertal sorgen dafür, dass das Duell um das Präsidium der Region auch andernorts mediale Beachtung findet. Nicht etwa wegen der anstehenden Probleme mit Verkehr, Infrastruktur oder der Tal-Schule, sondern weil der Wahlkampf ganz offensichtlich aus den Fugen geraten ist.
Den Vorwurf, sie habe in vier Jahren nichts geleistet, weist Binkert Becchetti zunehmend giftig zurück. Um die Finanzen sei es weit besser bestellt, als von ihrem Widersacher behauptet, die Infrastruktur sei auch keineswegs so marode wie kritisiert: «Wie kann jemand solche Vorwürfe erheben, der selbst im Gemeindevorstand einsitzt und die Entscheide mittrug?» Das sei ein Affront gegen die eigenen Kollegen.
Wein vom Gut des Gatten
Schadegg wiederum behauptet, seine Konkurrentin nutze ihr Amt zum eigenen Vorteil. So liess die Gemeinde Val Müstair vor einem Monat an der Feier der einheimischen Standespräsidentin, die für ein Jahr dem Bündner Kantonsparlament vorsteht, Wein servieren, der aus dem Familienunternehmen des Mannes von Binkert Becchettis stammt – Wein vom Gardasee.
Das ist für Schadegg «vielsagend» und ein Beispiel für Mauschelei und Machtmissbrauch. Die Angegriffene widerspricht, das beauftragte Catering-Unternehmen und der regionale Weinhändler hätten die fraglichen Flaschen zu einem guten Preis angeboten, deshalb habe man sie bestellt. «Das Münstertal hat nun mal keinen eigenen Wein», hält Binkert Becchetti fest.
Kampf um sprachliches Können
Zu einem zentralen Thema in ihrem Wahlkampf machte Binkert Becchetti – im Tessin und im deutschsprachigen Graubünden aufgewachsen –, dass Schadegg kein Rätoromanisch spricht. «So kommt man bei den Einheimischen nicht durch.» Im Übrigen weist die Gemeindepräsidentin darauf hin, dass sie sich das «Rumantsch» eigens per Privatunterricht angeeignet habe.
Für den Unternehmer und gelernten Baumeister Schadegg, der vor fünf Jahren vom Bodensee ins Münstertal gezogen ist, mutet die Diskussion um seine Sprachkenntnisse absurd an: «Es spielt doch keine Rolle, ob ich die Probleme auf Chinesisch oder auf Romanisch löse, wenn ich sie löse.» Zudem verstehe er die Sprache der Einheimischen. Binkert Becchetti weiche auf diesen Nebenschauplatz nur aus, um von ihrer eigenmächtigen Amtsführung abzulenken. Deren Folgen seien die finanzielle Schieflage der Gemeinde und blockierte Bauprojekte.
Wie auch immer man zu den beiden Streitenden steht: In beiden Lagern dürfte beim Erntedankfest die Wahl zum Gemeindepräsidium am 13. Oktober die Gespräche bestimmen. Zu hoffen bleibt, dass der Wein – ob vom Gardasee oder anderswoher – wenigstens am heutigen Sonntag für einige friedliche Stunden in der zerstrittenen Gemeinde sorgt.
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