Doch Führungsleute machen einfach weiter
Zürcher Gericht löst Pro-Erdogan-Verband auf

Der türkische Unternehmerverband Müsiad Schweiz enthielt seiner Sekretärin Löhne vor und kündigte ihr missbräuchlich – nun wurde er zwangsliquidiert. Doch die Müsiad-Chefs treten noch immer öffentlich auf.
Publiziert: 14.01.2024 um 11:57 Uhr
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Vertreter von Müsiad Schweiz treffen in Ankara den türkischen Wirtschaftsminister (Mitte).
Foto: zvg
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Fabian EberhardStv. Chefredaktor SonntagsBlick

Wer die Website des türkischen Unternehmerverbandes Müsiad Schweiz aufruft, landet im digitalen Nirgendwo. Die mächtige internationale Organisation, deren Zentrale in Istanbul steht und die mit ihrer Nähe zur AKP, der Partei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (69), wiederholt auch in der Schweiz für Schlagzeilen gesorgt hat, ist plötzlich auffallend still geworden. Was ist passiert?

Blick-Recherchen zeigen: Müsiad Schweiz schweigt nicht freiwillig. Die Justiz hat den Unternehmerverband zwangsweise liquidiert. In einem Urteil des Zürcher Bezirksgerichts Dielsdorf vom 16. Oktober 2023 verfügten die Richter: «Der Verein Müsiad Schweiz wird aufgelöst und seine Liquidation nach den Vorschriften über den Konkurs angeordnet.»

Sekretärin klagte gegen Ex-Arbeitgeber

Hintergrund der drastischen Massnahme ist ein Streit zwischen dem Verband und seiner ehemaligen Sekretärin. Die Frau klagte gegen ihren Ex-Arbeitgeber, weil ihr Müsiad zunächst Löhne vorenthielt und ihr schliesslich kündigte.

Das Arbeitsgericht gab der Klägerin recht und verpflichtete den Verband, ihr knapp 20'000 Franken ausstehende Löhne zu zahlen, plus eine Entschädigung von 6700 Franken wegen missbräuchlicher Kündigung.

Doch Müsiad zahlte einfach nicht. Sämtliche Zahlungsbefehle und Betreibungen liefen ins Leere. Daraufhin entschied das Bezirksgericht Dielsdorf, dass Müsiad wegen Organisationsmängeln aufgelöst werden muss. Gemäss Urteilsspruch fehlt es dem Verband an einem gültigen Domizil und an Vorstandsmitgliedern.

Recherche-Hinweise

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Im Hintergrund jedoch arbeitete Müsiad Schweiz munter weiter. Einen Tag nach der gerichtlichen Verfügung Mitte Oktober reisten Kader des Verbandes nach Ankara, wo sie den türkischen Wirtschaftsminister des Erdogan-Kabinetts trafen.

Ende November lud der Schweiz-Ableger von Müsiad, der sich als politisch unabhängig bezeichnet, in Tat und Wahrheit jedoch der Regierungspartei AKP nahesteht, Politiker, Unternehmer und Diplomaten zu einem üppigen Frühstück in ein Restaurant nach Schlieren ZH ein. Mit von der Partie waren der türkische Generalkonsul Hasan Uygun und der AKP-Abgeordnete Azmi Ekinci.

Auflösung sei ein grosses Missverständnis

Anruf bei Serif Yildiz. Der türkische Geschäftsmann war bis 2021 Präsident von Müsiad Schweiz. Er organisierte auch das Treffen in Ankara und das Frühstück in Schlieren, wo er sich trotz Auflösung des Verbandes weiterhin als Müsiad-Chef inszenierte. Zu Blick sagt Yildiz, dass er vor kurzem erneut das Präsidium übernommen habe.

Die Frage der bis heute nicht gezahlten Löhne der Sekretärin sei «ein Streitfall», räumt Yildiz ein. Das Gerichtsurteil hingegen, gemäss dem Müsiad aufgelöst werden muss, weil weder ein Vorstand noch ein Vereinssitz existiere, beruhe auf einem grossen Missverständnis.

Die neuen Vorstandsmitglieder hätten sich nicht im Handelsregister eintragen lassen, weil sie Angst vor Attacken gehabt hätten, sagt Yildiz. Aufgrund der Drohungen habe man zudem den Geschäftssitz des Verbandes aufgegeben. Deshalb hätte der Verband von den Gerichtsurteilen gegen sich nichts erfahren – die Post sei nicht angekommen.

Tatsächlich ist es früher wiederholt zu Drohungen gegen führende Müsiad-Mitglieder gekommen, mutmasslich durch Erdogan-Gegner und kurdische Aktivisten. Ende 2020 griffen Vermummte auch das Privathaus von Yildiz an, schleuderten mit Farbe gefüllte Gläser und sprayten Drohungen an die Fassade.

Müsiad setzt seine Arbeit fort

Ilhan Gönüler, der Anwalt der Sekretärin, widerspricht indessen den Beteuerungen von Yildiz: «Alles billige Ausreden. Wer einen Unternehmerverband führt, sollte zumindest fähig sein, sich um die Post oder eine Postweiterleitung zu kümmern.»

Die Unternehmerorganisation Müsiad gibt sich derweil kämpferisch. Serif Yildiz: «Der Verband setzt seine Arbeit fort.» Der Vorstand habe sich mittlerweile neu aufgestellt – und man habe nun alle wichtigen Unterlagen beim Gericht eingereicht und hoffe auf ein Nachsehen.

Der Onlineauftritt von Müsiad Schweiz läuft zwar weiterhin ins Leere. Allerdings sind da ohne zusätzliche Angaben drei Wörter zu lesen: «Webseite wird aktualisiert …»

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