Tag 15 im Krieg Russland gegen Ukraine. Tausende Menschen sind bereits geflüchtet, unzählige befinden sich aber noch in den umkämpften Städten. Die Situation der Menschen verschlechtert sich mit jedem weiteren Tag massiv. Strom, Wasser und medizinische Versorgung sind knapp – oder gar nicht vorhanden.
Die Schweizer Ärztin Carole Déglise ist für Médecins Sans Frontières (MSF) derzeit in Lwiw im Westen der Ukraine im Einsatz. «Hier ist immer wieder Alarm, aber bisher waren wir noch nicht unter Beschuss», sagt sie zum «Tages Anzeiger».
Seit der Krieg ausgebrochen ist, koordiniert Déglise gemeinsam mit ihrem 15-köpfigen Team den Einsatz von MSF in der gesamten Ukraine. Angst habe sie keine. Sie und ihre Kollegen seien es gewohnt, in Krisengebieten zu arbeiten. Das Leid vor Ort sei gross. Déglise: «Die Situation im ganzen Land wird jeden Tag schlimmer. Immer mehr Menschen sind auf der Flucht.»
Obwohl die grossen Spitäler gut ausgestattet wären, seien sie mittlerweile am Anschlag. «Sie sind es sich nicht gewohnt, mit einem massiven Zustrom von Kriegsverletzten umzugehen». Das Problem: «Neben den gewöhnlichen Patienten gibt es auf einmal extrem viele Verwundete».
«Situation verschlechtert sich von Tag zu Tag»
Die medizinische Herausforderung sei gross, die psychische Belastung noch grösser. Denn: «Es ist kein Ende in Sicht.» In diesen Tagen hätte ihr Team alle möglichen Arten von Verletzungen zu Gesicht bekommen.
«Je nachdem, wie und wodurch die Menschen während des Bombardements verletzt worden sind, kommen auch Brandverletzungen und Amputationen von Körperteilen vor.» Dabei handle es sich um Menschen, die unter eingestürzten Gebäuden begraben oder von Granatsplittern oder anderen Dingen getroffen wurden.
Dementsprechend verschicken die Médecins Sans Frontières auch Kits mit Verbandsmaterial für Schuss- und Stichverletzungen sowie Medikamenten gegen Infektionen. Die zerstörten Städte würden auch mit speziellen Kits für chirurgische Einsätze mit diversen Instrumenten versorgt.
Die Hilfe werde mehr denn je benötigt – denn die Lage spitze sich zunehmend zu: «Durch den militärischen Angriff bricht das ganze Gesundheitssystem zusammen», berichtet Déglise. Bestimmte Medikamente würden knapp, die Not werde immer grösser. «Es ist besorgniserregend, wie sich in der Ukraine die Situation gerade von Tag zu Tag verschlechtert.»
Weiterhin Temperaturen unter null
Doch nicht nur die Menschen, die zurückgeblieben sind, auch die Geflüchteten benötigten medizinische Hilfe. «Das ist eine weitere humanitäre Katastrophe dieses Kriegs. Auch sie brauchen oft Hilfe.»
Meist handle es sich dabei um Frauen mit Kindern oder älteren Menschen. «Sie sind oft viele Stunden oder tagelang unterwegs, traumatisiert, dass sie ihr Zuhause und ihre Männer verlassen mussten, und auch durch die schrecklichen Erlebnisse des Kriegs.» Häufig seien sie dehydriert und völlig unterkühlt, da es aktuell in der Ukraine sehr kalt sei.
Die Wetterprognosen für die kommenden Tage stimmen nicht wirklich hoffnungsvoll. «Es ist weiterhin mit Temperaturen unter null zu rechnen und zudem soll ein eiskalter Wind wehen.» (dzc)