Der neue Feminismus ist gegen die Paarbeziehung und für das Zölibat
Wenn Frauen keinen Mann mehr wollen

Alte Rollenbilder und Sexismus: Manche Feministinnen hinterfragen nun ihre Beziehungen zu Männern.
Publiziert: 28.11.2021 um 13:19 Uhr
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In Frankreich wird aktuell über Beziehungen zwischen Mann und Frau debattiert.
Foto: imago images / United Archives
Camille Kündig

Laure* steht eigentlich auf Männer. Nach einigen unglücklichen Erfahrungen jedoch entschied sie sich gegen heterosexuelle Beziehungen – und für das Zölibat. Das ist ihr lieber als «patriarchale Strukturen, ein Alltag voller Einkäufe für zwei, Hausarbeit und Mental Load».

Feministinnen gegen Beziehungen

Frankreich, wo sie lebt, streitet derzeit mehr denn je über das Verhältnis zwischen den Geschlechtern, nicht zuletzt über Frauen, die sich – feministisch motiviert – gegen Paarbeziehungen entschieden haben. Ausgelöst hat die Diskussion ein Artikel der Tageszeitung «Le Monde», in dem Laure ihre Geschichte erzählt.

Mehr und mehr Frauen sehen Beziehungen mit Männern als zeitliche und organisatorische Belastung, da sie sich um alles kümmern und an alles denken müssten. Eine von ihnen, Julie*, bringt die Sache auf den Punkt: «Ich will keine Zeit mehr damit verlieren, sie zu erziehen!»

Eifersucht, Gewalt, Stalking

In der Beziehung mit einem Mann, so die Sichtweise vieler von ihnen, schlitterten Frauen unvermeidlich in veraltete Rollenbilder. Einige schildern zudem Erfahrungen mit krankhaft eifersüchtigem Verhalten und Gewalt. Zum Beispiel Cléa*: «Mein erster Freund beschimpfte mich als Flittchen. Der zweite warf mir betrunken Gegenstände an den Kopf. Der dritte kam in mir, obwohl ich das nicht wollte. Der letzte stalkte mich.»

Wie Cléa ist vielen die Lust auf einen Freund verleidet. Einige beschränken sich auf Sex mit Männern ohne Liebesbeziehung, andere leben asexuell oder sind mit Frauen intim. Sie halten es wie die amerikanische US-Feministin Gloria Steinem (87): «Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad.»

Keine neue Debatte

Fabienne Amlinger, Historikerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung der Universität Bern, findet die Debatte denn auch nicht wirklich neu: «Sie tauchte in der Neuen Frauenbewegung auf, die ihren Anfang in den 68er-Protesten nahm. Nun, da feministische Bewegungen einen Aufschwung erleben, werden solche Themen wieder diskutiert – auch in feministischen Kreisen in der Schweiz.»

Zwar habe sich in den vergangenen Jahren viel getan, so Itziar Marañón, Mitglied des Berner Frauenstreik-Kollektivs: «Dennoch kann sich selbst in aufgeklärten Beziehungen ein Ungleichgewicht zwischen den Partnern zeigen, denn wir alle sind in einer Gesellschaft mit sexistischen Mustern erzogen worden und haben gewisse Haltungen verinnerlicht.»

Habe sich frau dies erst einmal klargemacht, könne sie die Augen nicht mehr vor den Konsequenzen verschliessen. «Daher verstehe ich, wenn eine Frau sagt: ‹Ich will das nicht mehr!›», meint Marañón. Das sei zwar eine radikale Lösung, dahinter stünden jedoch Probleme, über die Männer nachdenken müssten, um solche Verhaltensmuster nicht immer weiter zu reproduzieren.

Nicht alle Männer sind Patriarchen

Der Gedanke des «Gleichstellungsverhinderers im Bett» töne nicht mehr absurd, wenn man sich die Statistik vor Augen führe, sagt Fabienne Amlinger. «Sie zeigt etwa, dass Frauen weiterhin mehr unbezahlte Care-Arbeit leisten.» Es gehe nicht darum zu behaupten, alle Männer seien Patriarchen. Aber, so die Berner Historikerin weiter: «Das Verhalten, das sie in Beziehungen zeigen können, hat viel mit Strukturen zu tun wie etwa der Lohnschere und verinnerlichten Erwartungshaltungen. Hier müssen wir anknüpfen.»

Sorgen um ihr Liebesleben müssen sich die meisten Männer allerdings nicht machen. Bisher handelt es sich bei der neuen Frauenbewegung um ein Randphänomen.

* Namen geändert

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