Deftige Anklagen – aber meist milde Strafen für Rocker
Die grössten Pleiten der Justiz

Immer wieder müssen Gangmitglieder in der Schweiz vor Gericht antraben – und meist wiederholt sich ein und dasselbe Szenario: Die schweren Jungs kommen ungeschoren oder mit sehr milden Strafen davon. Eine Übersicht über die Pleiten der Justiz im Kampf gegen die Rocker.
Publiziert: 27.05.2022 um 11:10 Uhr
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Rund hundert Hells Angels zettelten im Juni 2010 vor dem Klublokal der Outlaws in Ehrendingen eine Massenschlägerei an und hinterlassen eine Spur der Verwüstung. Sechs Jahre später lösten sich fast alle Vorwürfe der Staatsanwaltschaft in Luft auf.
Foto: Rolf Jenni
Luisa Ita

In Belp BE kam es im Mai 2019 zu einem blutigen Rocker-Krieg. Dafür müssen sich 22 Mitglieder verschiedener Motorradklubs vor dem Regionalgericht Bern-Mittelland verantworten. Am Montag beginnt der Berner Monster-Prozess gegen Bandidos, Hells Angels & Broncos.

Erst wenige Monate ist es her, dass in Thun BE vier Töff-Rocker vor Gericht standen. Der Vorwurf: Sie sollen direkt vor dem Polizeiposten einen Familienvater bis zur Bewusstlosigkeit verprügelt haben – wegen eines harmlosen Überholmanövers. Vom Angriff gab es Videomaterial, Polizeibeamte sahen den Vorfall mit eigenen Augen. Trotzdem: Die Männer wurden vom Hauptvorwurf allesamt freigesprochen.

Das Problem: Die Motorradfahrer trugen eine Töffmontur, und die Handyfotos der Polizisten waren laut dem Richter «denkbar schlecht und unscharf». Da die Angreifer so nicht identifizierbar waren, kam der Grundsatz «im Zweifel für den Angeklagten» zum Tragen. Für die ausgestandene Haft kassierten sie sogar Geld.

Schlappe für Staatsanwaltschaft auch in Ehrendingen AG

Bei der «Schlacht von Ehrendingen AG» am 12. Juni 2010 hatte die Justiz mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. «Rund hundert Hells Angels zettelten vor dem Klublokal der Outlaws in Ehrendingen AG eine Massenschlägerei an», lautete die Meldung der Kapo Aargau. Auch Schusswaffen seien im Spiel gewesen.

Etwa sechs Jahre später lösten sich die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft beim Prozess dann quasi in Luft auf: Nachdem 36 Motorrad-Rocker per Strafbefehl wegen Landfriedensbruch zu Geldstrafen verurteilt werden konnten, rekurrierten 19 davon – mit Erfolg. Das Bezirksgericht Baden AG sprach alle frei, die drei Festgenommenen kassierten je eine Haftentschädigung.

Nur bedingte Strafen für wüste Tankstellen-Prügelei

Milde Urteile gab es auch in einem Töff-Rocker-Prozess 2018: Sechs Hells Angels mussten sich damals für einen Angriff auf zwei Mitglieder des rivalisierenden Biker-Klubs Black Jackets im Juli 2013 an einer Tankstelle in Oftringen AG verantworten. Der Staatsanwalt hatte für alle harte Strafen gefordert.

Der Haupttäter kassierte vom Bezirksgericht in Zofingen AG lediglich eine bedingte Freiheitsstrafe von zwölf Monaten, dazu eine bedingte Geldstrafe. Drei weitere Beschuldigte kamen ebenfalls mit bedingten Geldstrafen davon, zwei wurden freigesprochen und für die Haft entschädigt.

Spektakuläre Razzien bei den Höllen-Engeln

Die wohl grösste und teuerste Pleite der Schweizer Justiz im Kampf gegen Rocker reicht ins Jahr 2003 zurück. Nach umfangreichen Telefonabhörungen und Überwachungen kam es im April 2004 zu spektakulären Razzien am Zürcher Hauptsitz der Hells Angels und bei Mitgliedern zu Hause.

Schliesslich klagte die Bundesanwaltschaft vier Töff-Rocker an, im Fokus stand der ehemalige Präsident der Zürcher Hells Angels – für ihn waren 45 Monate Knast gefordert.

Die Anklage war deftig: Drogendelikte, versuchte Erpressung, versuchte Entführung sowie strafbare Vorbereitungshandlungen zu einem Raubüberfall auf einen Geldtransporter. Im Dezember 2011 verschob das Bundesstrafgericht den Prozess wegen fehlender Beweismittel.

Die Urteile im September 2012 blamierten die Bundesanwaltschaft bis auf die Knochen: Der Hauptangeklagte kam mit zwei Jahren bedingt davon, zwei weitere Beschuldigte kassierten bedingte Geldstrafen, und gegen den vierten Rocker wurde das Verfahren gar eingestellt.

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