Hat der Bundesrat früh genug gehandelt, um mit den neuen Massnahmen die Ausbreitung des Coronavirus in den Griff zu kriegen? Nein, findet der Infektiologe Andreas Cerny (64). In seinen Augen wäre eine Massnahmenverschärfung deutlich früher notwendig gewesen.
Auch findet er die Massnahmen zu lasch. Zu «20 Minuten» sagt er: «Es ging wertvolle Zeit verloren. Die neuen Massnahmen sind wohl der kleinste gemeinsame Nenner zwischen Bund und Kantonen. Es gibt noch Luft nach oben.» Die Massnahmen des Bundes seien ein «Minimalprogramm».
Weiter ist er sich sicher, dass die Gesundheitssysteme mehrerer Kantone dennoch überlastet sein werden. Trotz der neuen Regeln. Nutzen würden diese auch nur, wenn sie nicht ausgereizt würden. So solle man die 10-Personen-Regel nicht ausnutzen – und sich mit neun Personen aus neun verschiedenen Haushalten treffen.
Schweizer Experten unzufrieden
Auch die Virologin Isabella Eckerle (40) scheint nicht zufrieden mit den Massnahmen. Sie retweetet nach der Verkündung einen Beitrag einer anderen Nutzerin: «Ein Tipp fürs Leben, besonders in Covid-19-Zeiten: Alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt, aber das bedeutet nicht, dass es immer eine gute Idee ist.»
Noch vor wenigen Tagen sagte sie klar: «Die Schweiz braucht einen Lockdown und zwar so bald wie möglich. Es gibt keinen anderen Weg.» Sie warnte, wenn die Politik nicht sofort reagiere, werde die Schweiz nicht ohne eine grosse Zahl an Todesopfern und einem immensen wirtschaftlichen Schaden durch diesen Winter kommen.
Zu «watson.ch» sagt Epidemiologe Marcel Tanner (67): «Wir brauchen nicht nur stabile, sondern sinkende Fallzahlen! Wir müssen den R-Wert, die Übertragungsrate, wieder unter 1 drücken können. Ich hoffe, dass die beschlossenen Massnahmen des Bundesrates ausreichen.» Die Beizen-Sperrstunde um 23 Uhr bezeichnet er als «das Minimum an Einschränkung, was man in der Gastronomie machen sollte».
«Kontrollverlust können wir uns nicht noch einmal leisten!»
Epidemiologin Emma Hodcroft (34) twitterte schon, bevor die Massnahmen verkündet wurden, dass man in der Schweiz entschlossenes Handeln brauche. «Was auch immer heute angekündigt wird, wir brauchen auch einen Plan für die Zukunft: Diesen Kontrollverlust können wir uns nicht noch einmal leisten!» Ob sie in den Massnahmen einen wirksamen Plan sieht, künftig die Kontrolle zu behalten, lässt sie offen.
Schweizer Experten scheinen die beschlossenen Massnahmen des Bundes zu lasch, zu spät, zu minimal zu finden. Die Fachleuten «hoffen», dass es ausreicht. Gesundheitsminister Alain Berset (48, SP) warnte nach der Verkündung: «Das ist jetzt die letzte Möglichkeit, einen Lockdown zu verhindern.»
Ein erneuter Lockdown wäre «desaströs» für das wirtschaftliche und soziale Leben in der Schweiz, sagt Marcel Tanner. Ob das so jedoch wirklich verhindert werden kann, bleibt nun abzuwarten. (euc)