So lebte der Vierfachmörder Günther Tschanun
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Der Fokus auf Blick TV:So lebte der Vierfachmörder Günther Tschanun

Cihan Inan (52) drehte Film über die Schreckenstat von Günther Tschanun
«Hätte mir nie verziehen, wenn er erneut Menschen getötet hätte»

Nach seiner Entlassung lebte Günther Tschanun (†73) friedlich im Tessin. Doch als er hörte, dass seine Wahnsinnstat verfilmt werden sollte, war er ausser sich. Sein Umfeld fürchtete, dass der Zürcher ausrasten könnte. Doch davon bekam der Regisseur nichts mit.
Publiziert: 16.04.2021 um 17:58 Uhr
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Aktualisiert: 17.04.2021 um 18:04 Uhr
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Vorher/nachher: So kennen wir Tschanun vom Fahndungsplakat 1986 – und rechts während seiner Zeit im Tessin (2007).
Foto: Keystone/zvg
Johannes Hillig

Ruhig und zufrieden genoss Günther Tschanun (†73) seinen Lebensabend im Tessin. Unter dem Namen Claudio Trentinaglia jobbte er unter anderem als Hüttenwart in Brissago TI. Er liebte Merlot, Nordic Walking und sein Velo.

Keine Spur mehr von dem eiskalten Killer. Keine Spur mehr von dem Tschanun vom 16. April 1986. Damals tötete er als Leiter der Zürcher Baupolizei vier Mitarbeiter mit Kopfschüssen. Eine regelrechte Hinrichtung. 20 Jahre sollte er dafür in den Knast, kam wegen guter Führung nach 14 Jahren bereits raus und lebte unter neuer Identität.

Als freundlich, zuverlässig und kultiviert wird der Deutschschweizer vor Ort beschrieben. Tschanun schien ein anderer Mensch. Doch im Frühjahr 2008 zeigte der Vierfachkiller sein anderes Gesicht, als er durch seine Bewährungshelferin von einem Filmprojekt erfuhr. Titel: «Amok». Darin sollte es um seine Tat gehen, die Hinrichtung seiner Kollegen.

Amt für Justizvollzug besorgte Drehbuch zum Tschanun-Film

Der SonntagsBlick titelte am 6. April 2008: «Tschanun wird Filmstar». Und der Architekt rastete aus. Er fühlte sich «massiv als Opfer, betrachtet es als Frechheit und Zumutung, dass seine Tat erneut thematisiert und vor allem beurteilt und qualifiziert wird, obschon er seine Strafe verbüsst hat», notierte seine Bewährungshelferin damals, wie der «Tages-Anzeiger» berichtet. Sie machte sich Sorgen, hatte Angst, dass Tschanun rückfällig wird. Die Bewährungshelferin wollte sogar versuchen, das Drehbuch zu ändern.

Auch das Amt für Justizvollzug schaltete sich ein und besorgte schliesslich das Drehbuch. Anmerkungen wurden notiert, was problematisch sein und geändert werden könnte. Darunter der Titel «Amok». Gleichzeitig wurde ein Notfall-Plan erstellt, um Tschanun im Verborgenen zu behalten.

Regisseur hätte den Film geändert

Von all dem wusste Cihan Inan (52), der Regisseur des Films, nichts. «Ich habe erst jetzt erfahren, was da im Hintergrund ablief und man den Film sogar verhindern wollte», sagt der Berner zu Blick. Die Behörden hätten auf jeden Fall mit ihm Kontakt aufnehmen müssen, findet der Filmemacher. «Allein um die Bevölkerung zu schützen. Es war ja nicht klar, wie er reagieren würde. Ich hätte es mir wohl nie verziehen, wenn Tschanun wegen des Films erneut Menschen getötet hätte. Das möchte ich mir gar nicht vorstellen.»

Hätte er davon gewusst, dass die Behörden Angst hatten, dass Tschanun nochmals ausrasten könnte, hätte er das Drehbuch geändert und entschärft.

Inan zu Blick: «Vielleicht hätte ich ihn dann treffen können und wer weiss, wie der Film dann geworden wäre. Vermutlich hätte ich die Figur Tschanun noch weniger sympathisch dargestellt. Unnahbarer, selbstverliebter und überheblich.»

Der Film dürfte ihm gefallen haben

Was der Vierfachmörder über seinen Film gedacht hat, habe er sich schon öfters vorgestellt. Auch beim Drehbuchschreiben. «Ich habe mir schon vorgestellt, was Tschanun über den Film denken könnte. Und ich war mir sicher, dass er ihn mögen würde. Er wirkte auf mich wie ein Narzisst. Alles, was sich mit seiner Person beschäftigt, dürfte ihm gefallen haben.»

Ob Tschanun den Film jemals gesehen hat oder wie er dazu stand, ist unklar. Nur so viel ist sicher: Der befürchtete Ausraster blieb aus – und der Vierfachmörder lebte weiter friedlich im Tessin. Bis ihn 2015 ein Velo-Unfall aus dem Leben riss.

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