Auf einen Blick
- Bundesgericht betont: Dauer der Vergewaltigung darf Täter nicht begünstigen
- Länge der Tat kann sich erschwerend auf Schuld des Täters auswirken
- Beschwerde eines 51-jährigen Portugiesen wegen milder Beurteilung abgewiesen
Vor gut drei Jahren ging ein Aufschrei durch die Schweiz. Der Grund: Weil eine Vergewaltigung in Basel «nur» sechs bis elf Minuten gedauert hatte, wirkte sich dies strafmildernd für den Täter aus.
Nun stellt das Bundesgericht klar, dass die Dauer einer Vergewaltigung für die Strafzumessung in keinem Fall zu Gunsten des Täters berücksichtigt werden dürfe. Umgekehrt könne es sich durchaus erschwerend auf die Schuld des Täters auswirken, wenn die Länge der Tat auf eine erhöhte kriminelle Energie schliessen lasse. Dies betonte es in einem am Dienstag publizierten Fall aus dem Kanton Wallis.
Täter forderte Strafmilderung
Das Bundesgericht hat die Beschwerde eines 51-jährigen Portugiesen abgewiesen. Dieser argumentierte, das Walliser Kantonsgericht hätte seine Schuld bei der Strafzumessung wegen der kurzen Dauer der Tat milder beurteilen müssen – er verwies dabei auf den Fall aus Basel.
Die SP-Nationalrätin Tamara Funiciello (34), Mitglied der Rechtskommission des Nationalrats, die einer parlamentarischen Initiative der Genfer SVP-Nationalrätin Céline Amaudruz (45) zur Änderung des Strafgesetzbuches zugestimmt hatte, äussert sich zum heutigen Urteil des Bundesgerichts: «Ich bin sehr froh um dieses Urteil, das Bundesgericht gibt uns darin recht. Es ist genau das, was wir wollen: Die Dauer einer Vergewaltigung darf nicht strafmildernd sein, denn jede Sekunde ist eine Sekunde zu viel.»
Bundesgericht rügt Formulierung als «Unding»
Seine eigene Formulierung zum Fall aus Basel bezeichnet das Bundesgericht heute als eine isolierte und unangemessene Formulierung. Damals hatte es geschrieben: «So ist bundesrechtskonform, dass die Vorinstanz die (im Vergleich relativ kurze) Vergewaltigung aber nicht weiter behandelt.»
Das höchste Schweizer Gericht hält fest, dass die Bezeichnung «Vergewaltigung von kurzer Dauer» ein Unding sei. Die Verletzung des geschützten Rechtsguts werde ab dem ersten Moment der sexuellen Handlung bewirkt. Ausserdem stehe die «Dauer eines sexuellen Übergriffs in keinem Zusammenhang mit der Schwere der Verletzung des geschützten Rechtsguts.» Dies bedeutet, dass schwere Verletzungen unabhängig von der Dauer der Tat entstehen können.
Erfreuliche Klarstellung
Dies deckt sich mit den Erfahrungen der Opferanwältin Lea Herzig (39). «Meine Klientinnen reagieren sehr unterschiedlich auf verschiedene Formen von Gewalt. Auch ein kurzer Akt der Gewalt kann massive Auswirkungen haben.» Aus Opfersicht sei es deshalb eine erfreuliche Klarstellung des Bundesgerichts, so Herzig.
Auch Agota Lavoyer (43), Autorin und Expertin für sexualisierte Gewalt, sagt: «Das Bundesgerichtsurteil ist sehr wichtig für Opfer.» Es sei begrüssenswert, dass das Bundesgericht nun einräume, dass die Formulierung im Fall Basel unangemessen gewesen sei.
Wichtiges Zeichen für Betroffene
Denn: Rede man über die «kurze Dauer» einer Vergewaltigung, impliziere dies, dass diese weniger schlimm sei. «Das ist verharmlosend und den Opfern gegenüber abwertend», so Lavoyer. «Der Fokus muss auf der Verletzung der sexuellen Integrität und nicht auf der Dauer liegen.»
Der momentane Fall aus dem Wallis zeige, dass die Befürchtungen nach dem Urteil aus Basel berechtigt gewesen seien. «Der Täter hat aufgrund dieses Urteils ein milderes Strafmass gefordert.» Deshalb sei die Präzisierung des Bundesgerichts «wegweisend» und für Betroffene von sexualisierter Gewalt ein «wichtiges Zeichen».
Es bleibt Handlungsbedarf
Auch Alexandra Müller von der Frauenzentrale Zürich, dem Dachverband von Frauenorganisationen im Kanton Zürich, bewertet das Urteil positiv. «Es zeigt, dass Sexualdelikte ernst genommen werden und die Justiz ein klares Zeichen gegen jede Form sexualisierter Gewalt setzt.»
Dennoch bleibe Handlungsbedarf: «Wir sehen nach wie vor Defizite im Umgang mit sexualisierter Gewalt in der Schweiz. Es braucht verstärkte Präventionsmassnahmen und mehr Unterstützung für Betroffene», so Müller. Auch die Strafverfolgung könnte häufiger und konsequenter sein – viele Täter würden nie zur Verantwortung gezogen.
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