Bührle-Streit erreicht Bundesrat
Berset will Kommission für Nazi-Raubkunst

Die Verwaltung sträubte sich jahrelang – doch jetzt setzt sich Kulturminister Alain Berset für ein nationales Gremium ein, das sich mit NS-belasteter Kunst beschäftigen soll.
Publiziert: 19.12.2021 um 00:30 Uhr
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Aktualisiert: 19.12.2021 um 10:05 Uhr
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Der Patron: Emil G. Bührle 1954 inmitten seiner Sammlung.
Foto: The LIFE Picture Collection/Gett
Reza Rafi

Zürich rast beim Kunststreit in eine Sackgasse. In der Kontroverse um die Werke aus dem Nachlass des Rüstungsfabrikanten Emil G. Bührle (1890–1956) sind die Fronten verhärtet.

Erst recht nach dem denkwürdigen Medienauftritt vom Mittwoch, als die Vertreter von Kunsthaus und Bührle-Stiftung versuchten, sich mit Buchhalter- und Juristendeutsch einer hochmoralisierten, längst entglittenen Debatte zu bemächtigen. Museumsdirektor Christoph Becker setzte auf Gegenangriff – ohne Erfolg. Stattdessen erzielte die Truppe vom Heimplatz beim Publikum dieselbe Wirkung wie Erwin Wurms «One Minute Sculptures», die skurril posierenden Alltagsfiguren des österreichischen Künstlers: wortloses Staunen mit einem Schuss Verstörtheit.

Ein Begriff, den Zürich vermeidet

Im Schatten der Zürcher Selbstpersiflage indessen tut sich im Bundeshaus Erstaunliches. Die Raubkunst-Debatte erreicht die Landesregierung – mit einer bemerkenswerten Positionierung des federführenden Magistraten.
Anlass ist die mittlerweile bekannte Motion des Bündner SP-Nationalrats Jon Pult. Mit dem Support von 34 Ratskollegen fordert er die Schaffung einer unabhängigen Kommission für Kunstwerke, die im Zusammenhang mit der Nazi-Diktatur den Besitzer wechselten. Im Streitfall würde diese Expertengruppe eine unverbindliche Empfehlung abgeben.

Pult redet von «NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern», ein Begriff, den Zürich vermeidet. Dort hält man an Kategorien Raubkunst und Fluchtgut fest, die einst von der Bergier-Kommission geprägt wurden.

Das Bundesamt für Kultur wehrte sich jahrelang gegen die Einrichtung eines solchen Gremiums, wie Pult es verlangt: Es gebe schlicht keinen Bedarf dafür. Dass die Schweiz sich mit internationalen Abkommen wie den Washingtoner Prinzipien und der Theresienstädter Erklärung dazu verpflichtet hat, blieb dabei unberücksichtigt.

Mehrheit im Bundesrat ist ungewiss

Wie SonntagsBlick jedoch aus bestens unterrichteten Quellen erfuhr, kann Pult nun auf die Unterstützung von Alain Berset zählen: Der Kulturminister halte das Anliegen für «absolut sinnvoll» und sei dafür, eine solche Kommission einzurichten. Bundesratsnahe Kreise bestätigen dies, offiziell will man den Sachverhalt auf Anfrage im Innendepartement allerdings nicht kommentieren.

Bis zur Frühjahrssession im März 2022 muss sich die Landesregierung auf eine Haltung zu Pults Motion einigen. Ob Berset eine Mehrheit finden wird, bleibt abzuwarten – auch Vertreter des Kunsthandels lobbyieren in Bern.

Empfiehlt der Gesamtbundesrat die Ablehnung, wird der Vorstoss seine lange Wanderung durch die Institutionen antreten.

In Zürich hingegen muss früher etwas geschehen, um das verloren gegangene Vertrauen wiederherzustellen. Die Pläne zur Offenlegung des bestehenden und des neuen Leihvertrags zwischen Bührle-Stiftung und Kunsthaus, die SonntagsBlick letzte Woche publik machte, könnten ein erster Schritt in die richtige Richtung sein.

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