Was 2013 mit einem SRF-Dokfilm begann, fand am Freitag ein erfreuliches Ende. «Willkommen, Herr Keller!» Der Journalistentross begrüsste den Mann, der nach einem Gerichtsentscheid soeben aus mehrjähriger Haft entlassen wurde, wie einen Popstar.
Aus dem jungen Mann namens Brian Keller (28), der als Teenager mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, schuf Leutschenbach die Figur «Carlos». Und ein Artikel im Blick, der die monatlichen Kosten für das Sondersetting von 29'000 Franken auf die Titelseite gehoben hatte («Sozialwahn!»), entfesselte eine hitzige Debatte über Jugendstrafvollzug.
Der Delinquent der Nation absolvierte seitdem einen juristischen Spiessrutenlauf, der ihn durch diverse Vollzugsanstalten führte – und in jahrelange Einzelhaft.
Was im Getöse der Aktualität vergessen zu gehen droht: Die zehn Jahre andauernde Affäre hat Verlierer, über die jetzt wenig gesprochen wird oder die sogar völlig vergessen werden.
So etwa die beiden Pädagogen Rolf Riesen und Anna-Lisa Oggenfuss. Mit ihrer Sozialfirma gelten die beiden als «Erfinder» des Sondersettings für Brian. Im Zuge der politisch aufgeladenen Debatte wurden sie zur Zielscheibe wüster Attacken. Ein internes Protokoll zu ihrem prominentesten Klienten wurde ihnen entwendet und landete schliesslich bei den AZ Medien, die daraufhin Brians Wunsch nach «Rindfleisch und Armani-Deo» auf die Titelseite hievten.
Danach mussten Riesen und Oggenfuss auf Druck des Kantons die Betreuung einiger Jugendlicher wieder abgeben. Dem Vernehmen nach stürzten manche von ihnen wieder in die Sucht ab. Die einst erfolgreiche und renommierte Firma der beiden war ruiniert; der Fall zerstörte ihr Lebenswerk.
Bittere Ironie: Brian Keller wurde von ihnen damals auf eine ordentliche Lehre vorbereitet, er bewegte sich damit trotz «Rindfleisch»-Schlagzeilen in einem engeren Korsett als heute. Jetzt will er seine Boxkarriere weiter verfolgen.
Interessant ist nicht zuletzt die Frage, wer überhaupt für Brians Resozialisierung verantwortlich ist – und wer nicht.
Zweifellos hat er einige Unterstützerinnen und Unterstützer, nicht zuletzt aus dem kulturellen und linksurbanen Milieu, dem auch seine Rechtsanwälte entstammen. Dazu kommt die Aufarbeitung der Kosten: Hätte der Kanton damals nicht nachgegeben und am Sondersetting festgehalten, wären diese für den Steuerzahler zweifellos tiefer ausgefallen als Brians spätere Gefängnislaufbahn. Diesem Aspekt werden sich die verantwortlichen Behörden zu widmen haben.
Eine Schlüsselfigur ist der damalige Zürcher Justizvollzugschef Thomas Manhart. Vor wenigen Tagen hat er sich brieflich bei «Carlos» für die Haftbedingungen entschuldigt und dafür Applaus erhalten. Eine Entschuldigung ging auch bei der Justizvollzugsanstalt Pöschwies ein.
Ein persönliches «Sorry» erhielten all die Beamten, die er mit seinen Entscheiden hineingezogen hatte, nicht.
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