Auf einen Blick
An über 92'000 Kinder und Erwachsene haben Ärzte im vergangenen Jahr Ritalin verschrieben. Die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wird seit längerer Zeit vermehrt gestellt und medikamentös behandelt.
Dennoch überraschen die Messresultate von Abwasserproben aus Kläranlagen, die das ETH-Wasserforschungsinstitut Eawag und die Universität Lausanne im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) regelmässig präsentieren: In Zürich vor allem haben die Werte für Ritalinsäure im ersten Quartal dieses Jahres eine Höchstmarke erreicht, nach einem enormen Anstieg seit der Messung Ende 2023. Bereits im Jahr zuvor hatten die Ritalinsäure-Spuren markant zugenommen.
Die Wissenschaftler weisen aus, wie viele Rückstände sie in Milligramm pro Tag und 1000 Personen finden. Da fällt auf, dass die Mengen deutlich höher sind als an den anderen neun Schweizer Messstandorten und entsprechend weit über dem nationalen Durchschnitt liegen.
Rätselhafte Entwicklung
Selbst Fachleute sind erstaunt, dass der Nachweis von Ritalinsäure nicht eine kontinuierlich steigende, sondern eine sprunghafte Kurve zeigt. Die Anzahl Personen, denen das Medikament gegen ADHS verschrieben wird, nimmt demgegenüber in den letzten vier Jahren konstant um 10'000 zu.
Für die Diskrepanz und die wellenartige Entwicklung haben selbst Fachleute keine schlüssige Begründung. BAG-Sprecher Daniel Dauwalder sagt, sein Amt habe keine Grundlage, um über die Ursachen zu spekulieren. Und fügt an: «Wir sind daran, eine Methodik zu entwickeln, um die Trends von Medikamentenrückständen im Abwasser mit Entwicklungen in der Verschreibung abzugleichen.»
Mögliche Erklärungen, warum es zu einer Zunahme kommt: vermehrte Diagnosen von ADHS, eine schnellere ärztliche Verschreibung von Ritalin, höhere Dosierungen pro Person, aber auch den Konsum des Medikaments als Partydroge sowie als Hirndoping – Ritalin ermöglicht es, über lange Zeit konzentriert zu lernen.
Vermehrt Erwachsene behandelt
Alwin Bachmann von der Schweizerischen Koordinations- und Fachstelle Sucht Infodrog vermutet, dass die Zunahme auf vermehrte ADHS-Diagnosen bei Erwachsenen sowie den häufigeren Ritalin-Konsum in nicht-medizinischem Kontext zurückzuführen sei. Bachmann verweist weiter darauf, dass Jugendliche ab 15 Jahren das Medikament laut einer Studie öfter zur Steigerung der Aufmerksamkeit einnehmen.
Eine Zürcher Erhebung zeigt zudem, dass der nicht ärztlich verordnete Gebrauch von Ritalin häufig zu Hause angesiedelt ist, im Zusammenhang mit Studium und Arbeit. Bachmann hält fest, es existiere ein Onlineschwarzmarkt, über den verschiedenste Substanzen – darunter Ritalin – gekauft werden könnten.