Von wegen Alpenidylle: Die heutige Schweiz wurde im Drama geboren. Fast einen Monat lang steckt das Land im November 1847 im Bürgerkrieg. In zwölf Kantonen erneuern die Liberalen die Verfassung, fordern mehr Demokratie und vor allem: weniger Macht der Kirche.
Die Mächtigen der Kirche sind natürlich dagegen. Nach gewalttätigen Auseinandersetzungen schliessen sich die katholischen Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Obwalden, Nidwalden, Zug, Freiburg und das Wallis zum Sonderbund zusammen, um gegen die liberalen Kräfte anzukämpfen.
Die Konservativen wollen die Selbstbestimmung der Kantone bewahren, die Liberalen träumen von einem Zentralstaat. Ein Bürgerkrieg bricht aus, der die Schweiz vom Staatenbund in den Bundesstaat verwandelt. Diese vier Persönlichkeiten haben den Krieg entschieden.
Constantin Siegwart-Müller (1801–1869): Der katholische Bösewicht
Ein «ungewöhnlich grosser Kopf, der im Gehen beständig im Tempo des Schrittes hin und her wackelte», ein «glattes, ausdrucksloses Gesicht» und eine «leicht dämonische» Ausstrahlung: Der eigentliche Initiant des Sonderbundes kommt in den historischen Quellen gar nicht gut weg.
Liberale wie Konservative scheinen sich einig gewesen zu sein: Siegwart-Müller war ein unsympathischer Zeitgenosse. Ihm habe die seelische Mitte gefehlt, sein «absoluter Charakter» habe zum Extremismus geneigt. Eine mögliche Erklärung dafür vermuten Historiker in Siegwart-Müllers liebloser Kinderstube. Mit nur siebzehn Monaten verlor er beide Eltern, wechselte danach häufig die Pflegeeltern.
Mit dem Dichten fing Gottfried Keller (1819-1890) hauptsächlich an, um sich im Sonderbundskrieg politisch äussern zu können. Bei den Freischarenzügen versuchte er, die Katholiken zu stürzen. Ein Gedicht aus dieser Zeit lässt er folgendermassen enden:
«O Schweizerland, du schöne Braut,
Du wirst dem Teufel angetraut!
Ja, weine nur, du armes Kind!
Vom Gotthard weht ein schlimmer Wind:
Sie kommen, die Jesuiten!»
Mit dem Dichten fing Gottfried Keller (1819-1890) hauptsächlich an, um sich im Sonderbundskrieg politisch äussern zu können. Bei den Freischarenzügen versuchte er, die Katholiken zu stürzen. Ein Gedicht aus dieser Zeit lässt er folgendermassen enden:
«O Schweizerland, du schöne Braut,
Du wirst dem Teufel angetraut!
Ja, weine nur, du armes Kind!
Vom Gotthard weht ein schlimmer Wind:
Sie kommen, die Jesuiten!»
Nach dem Studium an der Universität Würzburg wird er zuerst radikaler Liberalist, doch schon bald verschlägt es ihn ins andere Extrem. Siegwart-Müller wird Anführer der Katholisch-Konservativen. Sein grosser Traum ist ein Schweizer Staatenbund mit katholischem Übergewicht. Siegwart-Müller fordert sogar Österreich dazu auf, Truppen zu entsenden.
Bevor es zum internationalen Eingreifen kommt, kapituliert der Sonderbund. Siegwart-Müller flüchtet nach Österreich. Doch im Exil ergreift ihn so starkes Heimweh, dass er 1857 in die Schweiz zurückkehrt. Seine Gegner fürchten seinen erneuten Aufstieg, wie bei Napoleon. Eine Angst, die erst mit Siegwart-Müllers Tod 1869 weicht.
Guillaume Henri Dufour (1787–1875): Der Retter der Schweiz
Wer ist eigentlich der Mann, nach dem wir unseren höchsten Berg benannt haben? Guillaume Henri Dufour, der «Dux Helvetorium», Anführer der Schweiz. General, Politiker, Ingenieur, Kartograf. Es scheint unmöglich, Dufours Werk kurz zusammenzufassen. Noch heute gilt er als eine der herausragendsten Persönlichkeiten der Schweizer Geschichte.
Als Dufour zwei Jahre alt ist, zieht seine Familie von Konstanz in die Schweiz. Er studiert in Paris, dient danach der französischen Armee und kehrt nach Genf zurück. Kurz vor Beginn des Sonderbundskriegs wird der gemässigte Konservative zum Befehlshaber der liberalen Truppen ernannt – mit dem Auftrag, den Sonderbund aufzulösen.
Dies gelingt ihm mit dem fast vierwöchigen Feldzug, der vergleichsweise wenig Opfer fordert. Dufour will so wenig Blut wie möglich vergiessen. Der zentrale Satz in seinem Befehl vor dem Angriff auf Luzern lautet: «Wir müssen aus diesem Kampf nicht nur siegreich, sondern auch ohne Vorwurf hervorgehen.»
Mit seiner behutsamen Kriegstaktik legt Dufour den Grundstein für die Versöhnung der zerstrittenen Kantone. Dank ihm entsteht bereits ein Jahr nach dem Krieg ein gemeinsamer Bundesstaat – also die Schweiz, die wir heute kennen.
Und damit ist Dufours Vermächtnis noch lange nicht zu Ende. Er einigte die Kantone ein weiteres Mal – nämlich auf der ersten topografischen Landkarte der Schweiz, die «Dufourkarte». Ausserdem war er einer der Gründer des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Weil er die Schweiz zu dem gemacht hat, was sie heute ist, trägt die Dufourspitze seinen Namen.
Johann Ulrich von Salis-Soglio (1790–1874): Der reformierte Konservative
Rückblickend bezeichnet Salis-Soglio den Sonderbundskrieg als «Trauerspiel, in welchem mir eine zu schwere Rolle aufgezwungen worden ist». So kämpfen zwar Konservative gegen Liberale, aber ist es nicht so, dass sich die beiden Kriegsparteien eindeutig in Katholiken und Reformierte spalten. Manche Konservative kämpfen für die Liberalen, manche Reformierte sind auf Seiten der Konservativen. Wie bei Dufour ist das auch beim reformierten Johann Ulrich von Salis-Soglio der Fall – er ist General des Sonderbundes.
Eigentlich war der Bündner Oberst im eidgenössischen Generalstab, also auf Seiten der Liberalen. Doch weil er mit dem Sonderbund sympathisiert, wird er 1847 entlassen. Stattdessen übernimmt er im Oktober das Oberkommando der Luzerner Truppen – wenn auch widerstrebend. Denn die Sonderbundstruppen sind strategisch wie materiell unterlegen.
Nach der Niederlage harrt Salis-Soglio zuerst in Luzern aus, beschimpft seine flüchtenden Kameraden als «Schurken». Nachdem die Behörden kapitulieren, flüchtet auch Salis-Soglio ins Ausland. Gegen ihn wird Anklage wegen Landesverrats erhoben. Doch weil die Versöhnung der Kantone im Vordergrund steht, folgt kein Verfahren. 1855 kehrte Salis-Soglio nach Chur zurück.
Ulrich Ochsenbein (1811–1890): Der erste Bundesrat der Schweiz
Während die historischen Quellen Constantin-Siegwart-Müller verschmähen, loben sie Ulrich Ochsenbein in den Himmel. Der «schönste Mann seiner Zeit» sei er gewesen, sein edles Wesen habe ihm nicht nur den Beifall der Menge, sondern auch «das günstige Interesse des schönen Geschlechts» eingebracht.
Ulrich Ochsenbein, ehemaliger Anwalt, steht an der Spitze der Berner Liberalen. Als seine Soldaten im Sonderbundskrieg Luzern erreichen, mahnt er sie, sich zivilisiert zu verhalten. Auf dem Friedhof besucht die Truppe noch ihre gefallenen Kameraden.
Nach dem Sieg wird Ochsenbein 1848 zum ersten Bundesrat der Schweiz gewählt. Dort zerstreitet er sich mit den Falschen, und die perfekte Fassade des Traumschwiegersohns bröckelt. Ochsenbeins Temperament und seine Empfindlichkeit mache es schwierig, mit ihm zusammenzuarbeiten. Konservative als auch Liberale halten ihn für unzuverlässig. Er wird nicht wiedergewählt.