«Habe kein Verständnis für solche Preiserhöhungen»
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Rollladenhersteller Regazzi:«Habe kein Verständnis für solche Preiserhöhungen»

Bisher 60'000 Franken, neu 1 Million für Tessiner Rollladenhersteller Fabio Regazzi
1600 Prozent mehr für den Strom!

Mitte-Nationalrat und Rollladenhersteller Fabio Regazzi (60) aus Gordola TI versteht die Welt nicht mehr. Fürs laufende Jahr zahlt der Tessiner 60'000 Franken an Elektrizität. Für 2023 will der Stromanbieter nun eine Million.
Publiziert: 10.09.2022 um 00:24 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2022 um 14:57 Uhr
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Mitte-Nationalrat und Unternehmer Fabio Regazzi (60) in der Rolladen-Produktionshalle in Gordola. Für seinen mittelständischen Betrieb soll der Tessiner 2023 eine Million Franken für Strom zahlen.
Foto: © Ti-Press / Ti-Press
Myrte Müller

Der Schock sitzt tief. Gut zwei Wochen ist es her, dass der Brief der Società Elettrica Sopracenerina (SES) ins Haus flatterte. Doch so ganz hat der Unternehmer aus Gordola TI die Botschaft noch immer nicht verdaut. «Als ich das Couvert öffnete und den Kostenvoranschlag las, dachte ich, dass sich ein Tippfehler eingeschlichen habe», sagt Fabio Regazzi. «Knapp eine Million Franken will mein Stromanbieter fürs nächste Jahr haben. In diesem Jahr lagen die Stromkosten bei gerade 60'000 Franken. Auch wenn man mir die Pistole auf die Brust setzen würde, eine Million kann und will ich nicht zahlen.»

Ein Anruf beim Stromanbieter SES bestätigt den unfassbaren Preisaufschlag: Der Preis auf dem freien Markt ist um 1600 Prozent gestiegen! «Das wäre, als würde plötzlich der Liter Benzin an der Tankstelle 25 Franken kosten», sagt Regazzi.

Unternehmer tappte in die Falle des freien Markts

Regazzis Firma beschäftigt 140 Mitarbeiter, setzt im Jahr rund 25 Mio. Franken um. Der Strom wird für Produktion, Beleuchtung, Heizung, Lackiererei und Büros gebraucht. «Wenn ich keine Lösung finde, dann muss ich Stellen abbauen. Wir haben bereits wegen der gestiegenen Materialkosten die Preise erhöht. Mehr geht nicht», klagt der Politiker. «Doch wo soll ich günstigeren Strom herbekommen? Die meisten Stromanbieter machen in diesen Zeiten nicht einmal mehr eine Offerte.»

Fabio Regazzi tappte in die Falle des freien Markts. 2009 wurde der Strommarkt für Unternehmen mit einem Verbrauch von mehr als 100'000 Kilowatt im Jahr liberalisiert. «Seit Bestehen, also seit gut 75 Jahren, ist unser Unternehmen Kunde bei der SES. Das Angebot mit dem sogenannten freien Markt war attraktiv, also haben wir zugegriffen. Doch ich habe nie den Lieferanten gewechselt oder international nach niedrigeren Preisen geschaut. Ich hatte ja keine Ahnung, dass uns so etwas drohen könnte.»

«Es drohen Konkurse und Abbau von Arbeitsplätzen»

Regazzi schloss immer mehrjährige Verträge ab. «Jetzt lief der Vertrag aus, und ich habe eine Offerte eingeholt», sagt der Tessiner. Bereits im März hatte er nachgefragt, «da war der Preis bereits fünfmal so hoch wie im Vorjahr. Ich habe mich dann entschieden, abzuwarten – in der Annahme, die Preise würden wieder runtergehen.» Doch das Gegenteil ist der Fall, stattdessen sind die Preise astronomisch hoch.

Auch als Präsident des Schweizerischen Gewerbeverbandes (SGV) ist Fabio Regazzi zutiefst besorgt. «Der Preisschock trifft viele kleine und mittlere Unternehmen wie Restaurants und Bäckereien. Die können die Rechnung nicht zahlen. Es drohen Konkurse und Abbau von Arbeitsplätzen», sagt Regazzi. «Jetzt muss die Politik schnell handeln.»

Auch Hotelier Fernando Brunner ist geschockt

Im Tessin sind es 40 KMU, die von der SES einen ähnlichen Kostenvoranschlag erhielten. Der Preis auf dem freien Markt sei in diesen Monaten um ein 15- bis 20-Faches gestiegen, bestätigt die SES. Gut 90 Prozent der Kunden hätten rechtzeitig neue Verträge geschlossen, zehn Prozent müssen nun in den sauren Apfel beissen. Wer einmal aus der tarifgeregelten Grundversorgung ausgetreten ist, darf nicht mehr zurück. Das hat die Eidgenössische Elektrizitätskommission (Elcom) beschlossen. Geschützt sind hingegen alle Firmen, die nie auf dem freien Markt Strom bezogen haben und alle privaten Haushalte, für die die Liberalisierung nie galt. Der Strom würde nach Tarif berechnet und der Preis sei nur um 18 Prozent gestiegen.

Den Schritt in den freien Markt bereut Fernando Brunner (73) heute. Der Tessiner besitzt vier Hotels und je ein Restaurant in Locarno TI und Lugano TI. Bislang kostete der Strom etwa 200'000 Franken im Jahr. «Jetzt werden über 900'000 Franken verlangt», sagt Brunner. «30 Prozent Preisanstieg wären zu schultern gewesen. Aber fast 500 Prozent schaffen wir nicht. Wir müssten die Zimmerpreise um 50 Franken pro Nacht erhöhen. Das macht kein Gast mit.» Wie Fabio Regazzi ist auch der Hotelier geschockt und ratlos.

Nur eines wissen beide schon jetzt: Den neuen Vertrag unterzeichnen sie nicht.

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