Für die Autolobby ist klar: Trotz drohender Stromversorgungskrise sollen wir weiter Elektroautos kaufen. Denn elektrisch angetriebene Fahrzeuge tragen aufgrund des Schweizer Strommixes mit einem niedrigen Anteil an fossilen Energieträgern massgeblich zur Senkung des CO₂-Ausstosses bei. Zudem zeigt eine Studie des Bundesamts für Energie, dass die gut 70’000 bis Ende September 2021 auf Schweizer Strassen fahrenden Elektroautos nicht mal 0,4 Prozent des landesweiten Stromverbrauchs ausmachen.
Analysiert man die aktuellsten Neuwagen-Immatrikulationszahlen, scheint die drohende Energieversorgungskrise den Boom von Elektroautos in der Schweiz bisher nicht auszubremsen. Die 21,6 Prozent im August neu eingelösten, übers Stromnetz aufladbaren Steckerfahrzeuge (reine E-Autos und Plug-in-Hybride) bedeuten einen ähnlich grossen Marktanteil wie in den ersten sieben Monaten dieses Jahres (durchschnittlich 24,2 Prozent). Allerdings muss man dabei berücksichtigen, dass es sich bei einem Grossteil dieser im vergangenen Monat neu immatrikulierten elektrifizierten Fahrzeuge um Neuwagen handelt, die bereits viel früher im Jahr oder gar schon Ende 2021 bestellt wurden – als noch niemand von einer drohenden Stromkrise sprach.
Aussagekräftiger als diese Immatrikulations-Statistik von Auto Schweiz sind deshalb Auskünfte direkt von der Verkaufsfront. Blick hat sich umgehört und wollte wissen, ob die drohende Stromkrise zu Verunsicherung bei Konsumentinnen und Konsumenten führt: Wie verhalten sich die Kundinnen und Kunden beim Autokauf? Und was raten die Verkäuferinnen und Verkäufer?
Stromkrise noch kein Thema
Eine Neuwagen-Verkäuferin bei der Ernst Ruckstuhl Mobility AG in Kloten ZH, verrät: «Erstaunlicherweise war die drohende Stromkrise bei unserer Kundschaft bislang noch kein Thema.» Bis jetzt wurden weder sie noch ihre Kollegen bei einem Verkaufsgespräch auf diese Thematik angesprochen. «Vielleicht ist es noch etwas zu früh», vermutet sie, «fragen Sie mich in zwei, drei Wochen wieder.» Aber was würde sie verunsicherten Kunden raten? «Gute Frage. Ich weiss es aktuell nicht», gibt sie ehrlich zu. «Momentan verkaufen wir alles noch gut. Elektro, Hybrid, Benzin und Diesel.»
Ähnlich tönts bei Christian Fischer (56), Miteigentümer der gleichnamigen Volvo-Vertretung in Beinwil am See AG. «Bis jetzt wurde ich noch von keinem Kunden, der bei mir ein E-Auto gekauft hat, gefragt, ob ich ihm einen Ersatztreibstoff habe», gibt Fischer lachend Auskunft. Dann wird er ernst: «Aber bestimmt mehr als die Hälfte unserer E-Autokäufer generiert ihren eigenen Strom via Solarzellen auf dem Hausdach. Die haben alles richtig gemacht.» Auch Fischer vermutet, dass die drohende Stromkrise noch zu weit weg ist. «Noch gibts ja genügend für alle. Aber die Thematik kann uns schon einholen», gibt er zu. Und was er dann seinen Kunden rät, weiss er nicht. «Wir sind jetzt wenigstens noch in der komfortablen Lage, dass Volvo weiterhin das ganze Antriebssortiment vom Verbrenner bis Elektro anbietet.»
Die grösste Auto-Importeurin unseres Landes, die Amag, empfiehlt Kundinnen und Kunden bei der Wahl eines Neuwagens, E-Autos weiterhin unbedingt in die Evaluation miteinzubeziehen. «Vor allem mit Blick auf bidirektionales Laden», so Amag-Sprecher Dino Graf. Also der Möglichkeit, dass E-Autos nicht nur Strom laden, sondern auch abgeben können. Natürlich verteidigt auch Auto-Schweiz-Präsident und SVP-Nationalrat Albert Rösti (55) die Elektromobilität: «Der Verkehr ist systemrelevant für unsere Gesellschaft. Dies wurde mir in einer Antwort auf meine parlamentarische Anfrage vom Bundesrat bestätigt: Bei möglichen Interventionsmassnahmen bei der Stromversorgung will er der Bedeutung der Mobilität Rechnung tragen.»
Verbrennerverbot überdenken
Ob diese Antwort des Bundesrats allerdings aktuelle und künftige E-Autobesitzerinnen und -besitzer beruhigen kann? Rösti gibt zu, dass die drohende Stromkrise Gift für die weitere Marktentwicklung der E-Mobilität sei. Und fordert deshalb, «dass das von der EU angepeilte Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2035 infrage gestellt werden muss, weil es die Flexibilität bei der Nutzung von verfügbaren Energieträgern massiv einschränkt». Ob sich allerdings Röstis EU-Politkollegen vom eingeschlagenen Verbrenner-Verbotskurs noch abbringen lassen, scheint eher fraglich.