Wo steht Papst Franziskus (85) im Ukraine-Krieg? Diese Frage beschäftigt Gläubige weltweit – auch in der Schweiz. Ausgelöst hat die Unruhe ein Interview in der italienischen Tageszeitung «Corriere della Sera». Es beinhaltet Aussagen des Pontifex Maximus mit Zündstoff: «Vermutlich» habe der Westen dazu beigetragen, Putin «zu provozieren». Wörtlich sprach der Papst vom «Bellen der Nato vor Russlands Tür».
Der Krieg in der Ukraine – bloss eine russische Reaktion auf die militärische Expansionspolitik des Westens? Mit seinen Aussagen stellt sich der Papst quer zur Haltung von EU und Uno sowie einem Grossteil der westlichen Welt, die einzig und allein Russland für den Angriffskrieg in der Ukraine verantwortlich machen. Doch es sind nicht die einzigen umstrittenen Aussagen: Weiter hinterfragt der Papst Waffenlieferungen in die Ukraine – und will vorläufig nicht in die Ukraine fliegen, trotz einer Einladung durch Präsident Selenski. Zuvor wolle er nach Russland reisen. «Ich fürchte aber, dass Putin im Moment kein Treffen will.»
Entsetzen in Ukrainer-Gemeinde
Bei den Ukrainern in der Schweiz lösen die Aussagen blankes Entsetzen aus. Nazar Zatorsky (43) ist als bischöflicher Delegierter für die ukrainische Gemeinde der griechisch-katholischen Kirche zuständig. Über vier Millionen Ukrainer gehören dieser Konfession an, die Teil der katholischen Kirche ist und Rom untersteht. Papst Franziskus ist ihr Vorsteher. Zatorsky sagt gegenüber Blick: «Die ukrainischen Gemeindemitglieder in der Schweiz fühlen sich vom Papst nicht nur im Stich gelassen, sondern geradezu hintergangen.»
Der Papst habe eine «verzerrte Wahrnehmung», wenn er die Ausrede Putins wiederhole, die Nato sei an diesem Krieg schuldig. «Das ist nichts anderes, als wenn man die Soldaten, die Jesus kreuzigten, als Mitgekreuzigte darstellt. Russland ist nicht Opfer, sondern Täter.»
Der oberste Schweizer Katholik befürwortet eine Reise des Papstes nach Moskau
Bei den offiziellen Stellen der katholischen Kirche in der Schweiz tut man sich dagegen mit klaren Aussagen schwer. Bischof Felix Gmür (55), Vorstehender der Schweizerischen Bischofskonferenz, sagt auf Anfrage von Blick zu den Aussagen von Papst Franziskus einzig: «Ich freue mich, dass der Papst bereit ist, nach Moskau zu reisen, denn dort wird über den Frieden entschieden.»
Die Zurückhaltung mag aber auch damit zusammenhängen, dass die Aussagen des Papstes bei vielen Katholiken einen wunden Punkt treffen: Einerseits engagieren sich viele Pfarreien und Kirchgemeinden in der ganzen Schweiz für ukrainische Flüchtlinge und stellen Räumlichkeiten zur Verfügung, wie zum Beispiel die katholische Kirche des Kantons Zürich, die im bisherigen Alterszentrum St. Peter und Paul in der Stadt Zürich ein Durchgangszentrum für 200 Menschen eröffnete.
Andererseits gehört Pazifismus für viele Vertreter der katholischen Kirche zu ihrem Glauben, sie lehnen Waffenlieferungen grundsätzlich ab – und stehen Militärbündnissen wie der Nato kritisch gegenüber.
«Verbreitung von Verschwörungstheorien»
Wolfgang Bürgstein (61), Generalsekretär der bischöflichen Ethikkommission Justitia et Pax, sagt dazu: «Wir müssen zwei Dinge trennen. Wir verurteilen entschieden den völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg und sind solidarisch mit den ukrainischen Opfern. Andererseits muss man auch darüber diskutieren dürfen, wie wir an den Punkt gelangt sind. Das versucht der Papst mit seinen Aussagen. Für ihn hat Frieden Priorität.»
Der ukrainische Pfarrer Zatorsky sieht das anders. Der Papst spiele mit seinen Aussagen dem Aggressor in die Hände. Wenn er behaupte, der Krieg in der Ukraine sei von anderen Akteuren provoziert worden, dann sei das nichts anderes als «die Verbreitung von Verschwörungstheorien, die in allem, was geschieht, das Werk einer geheimen Weltregierung» sehen. Zatorsky: «Der nächste Schritt wäre, wenn der Papst Dan Browns «Sakrileg» als verlässliche historische Quelle zum Leben von Jesus zitieren würde.»