Prozess um den mutmasslichen Mord an Luiza D. (†29) in Kehrsatz BE
Der denkwürdige Auftritt von Lukas D. (36) lässt tief blicken

Mord oder Suizid? Für den Beschuldigten Lukas D. (36) steht alles auf dem Spiel. Die Staatsanwaltschaft fordert 18 Jahre Haft. Die Verteidigung einen Freispruch. Nun müssen die Richter entscheiden – ganz ohne eindeutige Beweise. Eine Analyse.
Publiziert: 07.08.2024 um 00:01 Uhr
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Aktualisiert: 07.08.2024 um 13:10 Uhr
Er soll ein kaltblütiger Mörder sein: Rettungssanitäter Lukas D. (36) stand diese Woche vor Gericht.
Foto: zVg
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Helena GrafReporterin

Ein Mensch – zwei Gesichter. So erleben die Zuschauer des Mordprozesses den Angeklagten Lukas D.* (36). Er könnte im Dezember 2022 in Kehrsatz BE seine Frau Luiza D.* (†29) mit drei Kabelbindern erdrosselt haben. Er könnte aber auch ein Justizopfer sein: ein trauernder Ehemann, der sich nach dem Suizid seiner Frau vor Gericht verantworten muss.

Die fünf Richter müssen entscheiden: Ist Lukas D. unschuldig – oder einfach ein guter Schauspieler? Nach dem zweiten Prozesstag am Amtsgericht Bern zeigt sich eine klare Tendenz.

Als Lukas D. zum ersten Mal vor den Richtern spricht, verschluckt er die Worte, wimmert zwischen einzelnen Sätzen. «Der Tod meiner Frau ist das eine», schluchzt er. «Doch alles, was danach kam, war noch unerträglicher.» 

«Er war für uns wie ein Sohn»

Seit über 500 Tagen sitzt der Rettungssanitäter aus Bern in Untersuchungshaft. Unschuldig, wie er beteuert. «Ich glaube, dass meine Frau sich selbst getötet hat», sagt er. Sein anfängliches Wimmern ist verschwunden, als er diesen Vorwurf erbarmungslos ausspricht.

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Am 16. Dezember 2022 wurde Luiza D. tot in ihrer Wohnung in Kehrsatz gefunden. Gemäss der rechtsmedizinischen Untersuchung wurde sie betäubt und erdrosselt.
Foto: zVg

Sein Verteidiger zeichnet Lukas D. als warmherzigen, selbstlosen Mann: «Im Gefängnis ist er Everybodys Darling.» Auch die Familie des Opfers Luiza D. hat ihn als gutmütig beschrieben. «Er war für uns wie ein Sohn», bestätigt D.s Mutter.

Doch die Anklage zerreisst dieses Bild. In den knapp zwei Jahren vor der mutmasslichen Tat hatte Lukas D. eine Affäre mit seiner Arbeitskollegin Sonja P.*. Ihr versicherte er stets, seine Frau zu verlassen. Sein Glaube sei ihm aber im Weg gestanden, erklärt die Staatsanwältin. So erzählt ein Freund aus der Kirchengemeinschaft von D. gegenüber den Ermittlern: «Eine Scheidung wäre für ihn die grösste Schande gewesen.»

Die grössere Schande, als einen Mord zu begehen? Wenn dieses Motiv stimmt, zeugt es von einem völlig irrsinnigen und egoistischen Glaubensverständnis.

Staatsanwältin liest aus Tagebuch vor

Vor Gericht trägt er ein kariertes Hemd, an seinem Hals baumelt ein silbernes Kreuz. Die Auswertung seines Handys ergab, dass er in den Wochen vor dem Mord Sätze mit «erwürgen» gesucht und zum Schlafmittel Dormicum recherchiert hatte. Spuren des Medikaments fanden die Ermittler in Luiza D.s Blut. Es scheint, als hätte der Beschuldigte die Tat im Internet recherchiert. 

Die Staatsanwältin liest den Tagebucheintrag von Lukas D. am Tag des Todes seiner Frau vor: «Agieren ist besser als reagieren. Agieren kann ich nur, wenn ich von niemandem eingeschränkt werde. Warum gab es keine andere Lösung?»

Ein Raunen geht durch den Saal. Der Tagebucheintrag klingt wie ein Geständnis. Die Staatsanwältin doppelt nach, zitiert einen zweiten Eintrag: «Wie soll ich mich nicht als Mörder fühlen?», hatte Lukas D. geschrieben. Am Prozess gibt er sich ahnungslos.

Sein Verteidiger verweist indes auf die Suizid-These. In seinem Plädoyer zählt er die mutmasslichen psychischen Belastungen im Alltag von Luiza D. auf. Zwei Arbeitskolleginnen hätten bestätigt, «dass Luiza Suizidabsichten geäussert habe.»

Keine Tatzeugen, kein Geständnis

Aussagen, die einen zweifeln lassen. Schliesslich erscheint es wenig plausibel, dass Luiza D. mit ihren Mitarbeitern über Suizid gesprochen haben soll, während sie ihrer Mutter eröffnete, sie wolle nächstes Jahr schwanger werden. 

Der Prozess gegen Lukas D. ist dennoch heikel, weil er allein auf Aussagen, auf Indizien basiert. Man spricht von einem Indizienprozess: Es gibt keine Tatzeugen, keinen eindeutigen Beweis, kein Geständnis. Der Verteidiger betont entsprechend mehrfach den Grundsatz: «In dubio pro reo – im Zweifel für den Angeklagten.»

Die Strategie leuchtet ein, schliesslich ist es in einem Indizienprozess unmöglich, alle Zweifel beiseite zu räumen.

Und so bleibt der Staatsanwaltschaft nur, die Widersprüche zwischen den Aussagen von D. und den objektiven Fakten aufzuzeigen. Zum Beispiel sei Luiza D. auf dem Bauch liegend gefunden worden, mit drei Kabelbindern um den Hals, von hinten zugezogen. Ihre Haare seien sorgfältig nach oben gestrichen worden, um den Hals freizulegen. «Wie soll sie sich in dieser Position umgebracht haben?», fragt die Staatsanwältin.

«Ich bin unschuldig»

Lukas D. begründete seine Google-Suchen mit seiner Arbeit als Rettungssanitäter. Dass sein Suchverlauf exakt die mutmassliche Tat widerspiegele, sei ein Zufall. Einer von vielen Zufällen, reines Pech, wenn man den Aussagen des Beschuldigten glaubt. 

In seinem Schlusswort sagt er nur kalt: «Ich bin unschuldig.» Doch die Stimmung im Prozessaal lässt vermuten, dass seine Aussagen von der Mehrheit bezweifelt wird.

Nach eineinhalb Tagen beenden die Richter die Parteiverhandlungen. Während der nächsten zwei Tage werden sie sich hinter verschlossenen Türen beraten. Das Urteil soll am Freitag um 14.30 Uhr verkündet werden.

*Namen geändert 

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