Zunächst sah es nach einem gewöhnlichen Tag am Kreisgericht in Mels SG aus. Für einen Prozess kamen alle Parteien in den Saal. Richter, Angeklagter samt Anwalt. Nur einer fehlte: der Staatsanwalt. Er tauchte einfach nicht auf. Allerdings nicht wegen eines Unfalls oder sonst einem schwerwiegenden Grund. Der Staatsanwalt hatte den Termin schlicht und ergreifend vergessen, wie das «St. Galler Tagblatt» berichtet.
Also griff das Gericht zu einer Notlösung. Dank eines Gerichtsschreibers, der einen Laptop organisieren und eine gute Verbindung herstellen konnte, mussten die extra aus Bern angereisten Personen nicht unverrichteter Dinge zurückreisen. Und schon sass der Staatsanwalt virtuell im Kreisgericht Mels. Der Gerichtspräsident musste natürlich die etwas angepasste Situation erklären, da aber alle Personen damit einverstanden waren, konnte die Verhandlung 10 Minuten verspätet doch noch starten. Der Staatsanwalt konnte sich per Videocall dazuschalten.
Normalerweise sind Kameras im Gerichtssaal nicht erlaubt. In diesem Fall gab es nun sogar eine Live-Übertragung per Videocall, die Kamera war aber vor allem auf den Gerichtspräsidenten gerichtet – in wohl einer der ersten Onlineverhandlungen in der Schweiz. Wie das «Tagblatt» berichtet, verlief alles reibungslos, so waren auch keine Familienmitglieder oder Haustiere im Hintergrund des Büros des Staatsanwalts zu sehen. Der Prozess konnte beginnen.
Der Angeklagte wurde freigesprochen
Dabei ging es um einen Mann (30), der beschuldigt wurde, den neuen Partner seiner Ex-Freundin lebensbedrohlich bedroht zu haben. Passiert sei das bei der Übergabe des gemeinsamen Kindes an die Ex.
Er sei mit dem Auto zu schnell und äusserst gefährlich nahe an den Konkurrenten herangefahren. Dieser konnte sich mit einem Sprung im letzten Moment retten. Dafür sollte der Mann knapp eineinhalb Jahre ins Gefängnis. Der Angeklagte bestritt die Tat. Und so stand Aussage gegen Aussage. Am Ende wurde der 30-Jährige freigesprochen.
Dass ein Gerichtsprozess auch virtuell stattfindet, war in diesem Fall zwar eine Notlösung. Möglicherweise könnte dies aber auch die Zukunft sein. Geübt wurde es auf jeden Fall schon einmal, und zwar von Studenten und Studentinnen der HSG St. Gallen. Die Jus-Studierenden konnten einen fiktiven Fall virtuell durchführen, wie das «St. Galler Tagblatt» berichtet. Bis diese Praxis aber Schule macht, dürfte es noch dauern. Aktuell ist es per Gesetz nicht zulässig, eine ganze Gerichtsverhandlung virtuell durchzuführen. (rs)