Meikirch BE kämpft ums Bargeld
Ganoven sprengten Bancomat – Bank will ihn nicht ersetzen

In der Schweiz verschwinden immer mehr Geldautomaten. In Meikirch BE wehrt sich nun die Bevölkerung dagegen. Doch der Untergang des Bancomaten scheint unausweichlich. Dabei war er die kundenfreundlichste Erfindung der Finanzbranche.
Publiziert: 01.07.2023 um 00:59 Uhr
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Aktualisiert: 05.07.2023 um 14:37 Uhr
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Das Vorhaben von Hans Peter Salvisberg, dem Gemeindepräsident von Meikirch, ist gescheitert.
Foto: Zamir Loshi
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Nicola AbtReporter Sport

Die Kollekte ist spärlicher gefüllt als sonst. Ein älterer Herr steht mit seinem leeren Portemonnaie davor. «Es tut mir leid, heute erhaltet ihr nichts. Ich habe kein Bargeld. Auf die Schnelle konnte ich keines organisieren», erklärt er Susanne Bigler (52), der Abwartin der Kirche in Meikirch BE.

Das geschah im April. Jetzt steht die dreifache Mutter vor dem Kirchgemeindehaus. Sie trägt Handschuhe und hält einen Putzlappen in der Hand.

Das Problem steht ein Stück weiter unten im Dorf. Dort klafft in der Mauer der Käsereigenossenschaft ein Loch. Am 3. April, etwa um 3 Uhr nachts, hat ein Knall die 2500-Seelen-Gemeinde erschüttert. Drei Unbekannte sprengten den einzigen Bancomaten in die Luft. Seither liegt der nächstgelegene Automat in der Nachbargemeinde Uettligen BE. Diese liegt rund drei Kilometer entfernt, 40 Minuten sind es mit dem ÖV.

In Meikirch herrscht Unmut. Gemeindepräsident Hans Peter Salvisberg (60) kämpft seit Monaten um einen neuen Geldautomaten: «Ältere Leute, die das Bargeld schätzen, aber nicht mehr derart mobil sind, brauchen diesen Automaten.»

Ein Verlustgeschäft

Meikirch ist kein Einzelfall. Ende 2019 zählte die Schweizerische Nationalbank (SNB) rund 7250 Geldautomaten in der Schweiz. Im April 2023 existierten noch 6305. In weniger als drei Jahren sind fast 1000 Automaten verschwunden. Und der Sinkflug geht weiter.

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Für Gemeindepräsident Salvisberg (SVP) ist klar: «Schuld sind die Banken, die nur auf den Profit schauen, die Konsumenten, die ihn zu wenig oft benützen. Und die Versicherungen, die kein Risiko mehr tragen wollen.» Der gesprengte Automat in Meikirch gehörte der Raiffeisenbank Grauholz. An einer Nachfolgelösung war die Bank nicht interessiert. Die Gründe dafür sind finanzieller Natur. «Damit ein Bankautomat rentiert, muss am Standort eine hohe Frequenz gewährleistet werden können. Dies war in Meikirch nicht mehr der Fall», teilte die Bank auf Anfrage mit.

Das Defizit-Argument ärgert Salvisberg: «Es muss nicht immer alles rentieren, wenn es ein Service am Kunden ist. Der öffentliche Verkehr ist für uns auch ein Minusgeschäft. Trotzdem wollen wir den Leuten dieses Angebot bieten.»

Gemeinde schlägt Mietangebot aus

Wie hoch das Defizit in Meikirch war, wollte die Bank nicht preisgeben. Nur so viel: «Die wichtigsten Kostenfaktoren sind die Betriebskosten für die Wartung, Software-Lizenzen und der zentralen Informatik-Infrastruktur, Standortmiete, Amortisationskosten der Hardware und Betreuungskosten.»

Konkrete Zahlen verrät die Berner Kantonalbank. «Pro Standort kann der Verlust schnell einmal mehrere 10'000 CHF betragen. Die Tendenz ist aufgrund der zusätzlichen Sicherheitskosten steigend.» Im vergangenen Jahr wurden über 50 Bankomaten in der Schweiz gesprengt oder aufgebrochen.

Auch bei der Valiant Bank blitzte der Gemeinderat ab. Sie erklärt gegenüber SonntagsBlick: «Die Nachfrage nach Bargeld ist gesunken. Teilweise haben sich die Transaktionen auf die Hälfte reduziert. Deshalb bauen wir unser Bankautomaten-Netz nicht aus – ausser bei unseren eigenen Geschäftsstellen.»

In Meikirch schlugen die Banken der Gemeinde vor, sie solle einen Bankautomaten mieten. «Wir hätten einen geschlossenen Raum bieten müssen und eine Defizitgarantie von bis zu 30'000 Franken. Das kam nicht infrage», sagt Salvisberg. Letzte Woche verkündete der Gemeinderat der Bevölkerung: Der Bancomat wird nicht ersetzt.

Anwohnerin kämpft für das Bargeld

Im Dorf kam der Entscheid schlecht an. «Schade, ist er weg. Ich benutzte ihn regelmässig», sagt eine Frau. «In der Not lief ich ein paar Hundert Meter und liess mir das Sackgeld für die Kinder auszahlen.» Lachend fügt sie an: «Das schicke ich ihnen noch nicht virtuell.» Jetzt ist eine bessere Bargeld-Planung gefordert: «Sobald ich in Bern bin, suche ich einen Bancomaten. Das reicht dann wieder für einige Zeit.»

Eine Gruppe Teenager nimmt den Verlust locker. «Wir haben ja Twint», meint einer. Ein anderer ruft: «Mit dem Töff bin ich innerhalb weniger Minuten beim nächsten Bancomaten – wo ist das Problem?»

Mehr Mühe damit hat Susanne Bigler. Die dreifache Mutter wohnt seit zehn Jahren in Meikirch. Sie befürchtet einen Rückgang der Bargeldzahlungen im Dorf. «So wird der Job der Verkäufer und Verkäuferinnen weiter abgewertet. Diese Leute sind froh, wenn sie etwas zu tun haben. Ich möchte ihnen mit ein paar freundlichen Worten meine Wertschätzung für ihre Arbeit mitteilen. Deshalb bezahle ich immer mit Bargeld.»

Umfrage zeigt klares Bild

Auch in unseren Nachbarländern ist ein Bancomaten-Sterben zu beobachten. In Deutschland sank die Zahl im letzten Jahr um 3500 Exemplare. Aktuell sind es knapp 52'600 Stück. In Österreich war die Zahl 2022 erstmals rückläufig. Sie sackte von 9200 auf rund 8900 Geräte ab. Ähnlich ist es in Frankreich und Italien.

Wie lässt sich dieser Absturz erklären? «Die Corona-Pandemie hat den Trend hin zu weniger Bargeld verstärkt», erklärt Urs Birchler (73). Er war Mitglied der Direktion der SNB und Professor für Bank- und Geldwesen an der Universität Zürich.

Die letztjährige Zahlungsmittelumfrage der SNB unterstreicht seine Aussage. 13 Prozent der Befragten haben angeben, Bargeld täglich zu nutzen. 2020 waren es noch 17 Prozent und 2017 deren 32 Prozent. Ein Auslaufmodell – oder doch nicht?

«Unsere Schizophrenie dem Bargeld gegenüber ist folgende: Eigentlich will es im täglichen Leben kaum mehr jemand. Aber wenn es abgeschafft würde, gäbe es riesige Proteste. Die Mehrheiten wären ähnlich wie beim Impfen.» Rund 50 Prozent fänden es gut, weiteren 20 Prozent wäre es egal, und 30 Prozent würde sich wehren. «Ich wäre selber wohl bei der letzten Gruppe. Letztlich geht es beim Bargeld um eine Frage der Anonymität. Wie durchsichtig wollen wir Menschen sein?», sagt Birchler.

Der Finanzexperte rechnet nicht damit, dass Bargeld ganz verschwindet. Denn: «Jede Krise zeigt die Wichtigkeit von Bargeld. Nicht zu denken an einen – unwahrscheinlich scheinenden, aber nicht unmöglichen – bewaffneten Konflikt zwischen Nachbarländern von uns. Was geschieht in einem solchen Fall in der Schweiz? Die Leute würden sich auf das Bargeld stürzen. In einer derartigen Notsituation vertraut man nur noch auf das, was man in den Händen hat.»

Meikirch ist offen für Angebote

Klar ist aber: Geldautomaten lohnen sich immer weniger. Dazu kommt, dass es mittlerweile auch möglich ist, Bargeld an Ladenkassen zu beziehen. Doch Bichler sagt: «Sonderbarerweise scheint es so, als werde das weniger genutzt. Dabei wäre es das einfachste. Vielleicht wollen die Leute den Bargeldbezug und das Einkaufen mental trennen, oder die Umgebung an der Kasse ist ihnen nicht intim genug.»

Auch in Meikirch ist diese Form des Bargeldbezuges möglich. Ob dieses Geschäft seit der Sprengung besser floriert, will die Volg-Filiale nicht verraten. Auf Anfrage heisst es: «Die Bargeldbezüge in unseren Dorfläden bewegen sich auf einem erfreulichen Niveau. Detailzahlen – auch zu einzelnen Läden – kommunizieren wir generell nicht.»

Eine andere Möglichkeit wäre es, sich das Geld per Post schicken zu lassen. «Bei einem Notfall funktioniert diese Variante natürlich nicht», sagt Gemeindepräsident Salvisberg. Er hofft immer noch. Und fügt dann augenzwinkernd an: «Wenn sich eine Bank in der Schweiz durchringen könnte, bei uns einen Automaten aufzustellen, würden wir sie mit offenen Armen empfangen.»

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